Steinbach (HB). Matthias Bergmann hat den Ablauf noch ganz genau im Kopf. Vergangenen Donnerstag erreichte ihn der Einsatzbefehl um 11.20 Uhr. Um 23 Uhr rollten die Fahrzeuge auf das Basislager auf dem Düsseldorfer Messegelände. Mit Sonnenaufgang war Wecken angesagt und tagsüber prüften die Helfer die Lage in Erftstadt. Am Samstag wurden in Stolberg die Pumpen angeworfen und zehn Feuerwehrleute aus Steinbach waren mitten drin im Hochwassereinsatz in NRW. Aus den verstörenden TV-Bildern wurde für die Freiwilligen der Ernstfall.
Bergmann leitet seit vier Jahren die heimische Wehr. Er ist mit Begeisterung dabei, hat in Lehrgängen die Qualifikation zum Zug- und Verbandsführer erworben Vergangene Woche rückte er mit dem Katastrophenschutzzug des Hochtaunuskreises erstmals aus – als Zugführer für drei Dutzend Einsatzkräfte, die von Donnerstag bis Sonntag im hessischen Verband gemeinsam mit Berufsfeuerwehrleuten aus Frankfurt, Kameraden aus dem Maintaunus- und dem Wetteraukreis an der Wasserfront standen.
Als der Stadtbrandinspektor in seiner Einsatzabteilung nachfragte, wer sich innerhalb der nächsten drei Stunden in der Feuerwache neben dem Rathaus einfinden wolle, gab es mehr Meldungen als Plätze. Die neunköpfige Besatzung rekrutierte der Zugführer aus dem Personenkreis mit bestandenem Grundlehrgang und Corona-Impfschutz. Der Konvoi fuhrt mit Blaulicht unter blauer Flagge und verschaffte sich im Autobahnstau mit Martinshorn eine Rettungsgasse.
Um es vorweg zu nehmen: Es war ein physischer Kraftakt, denn Schlaf war in den ohnehin kurzen Nächten kaum zu finden. Von den 600 Personen auf den Feldbetten in der Düsseldorfer Messehalle hat nach Bergmanns Einschätzung die Hälfte geschnarcht. Dagegen halfen auch Ohrstöpsel nicht so richtig. Zudem mussten die Steinbacher, kaum dass sie wieder im eigenen Bett lagen, bereits am späten Sonntagabend zum Hochhaus in der Daimlerstraße im alten Gewerbegebiet ausrücken. Für nichts und wieder nichts, weil es ein Fehlalarm war.
Im Hochwassergebiet pumpte die Gruppe in Stolberg neun Stunden lang Keller um Keller in 20 Objekten leer. Zur körperlichen kam die psychische Belastung, denn das Ausmaß der Zerstörung sprengte die Vorstellungswelt der Einsatzkräfte. Zwar war die gewaltige Flutwelle, die aus harmlosen Bächen reißende Ströme machte, abgeebbt. Doch Brücken- und Straßenschäden, demolierte Autos, Berge aus Geröll, Gehwegplatten und Hausrat, der nur noch Sperrmüll war, ließen erahnen, was über die Region südlich von Köln hereingebrochen war. Matthias Bergmann stand in Erftstadt an der Abbruchkante einer Straße, im Angesicht von zerbrochenen Kanalrohren und zerbröselten Asphaltbrocken. Einmal brachen die Steinbacher die Tür zu einem Wohnhaus auf. Zum Glück erwiesen sich die Befürchtungen, man werde dahinter Tote finden, als unbegründet.
In den Katastrophengebieten stieg das Wasser bis zu acht Meter hoch. Der Steinbach würde dann die komplette Aue und etliche Keller fluten. Der Stadtbrandinspektor sieht zwar aktuell keinen Grund die Gefahrenlage neu zu bewerten, aber er will mit dem Bürgermeister und dem Bauamt darüber reden, ob die Stadt über genügend Rückhaltebecken verfügt. Steffen Bonk ließ sich zeitnah telefonisch von Matthias Bergmann über den Einsatzverlauf unterrichten.