Bad Homburg (hw). Auf der Bühne stehen raumgreifende Musikinstrumente bereit: Xylophon und Marimbaphon. Stefan Weinzierl ist der Percussionist des Abends. Es beginnt mit sphärischen Klängen und dem rhythmischen Ticken einer Art Uhr. Dann setzt die große Claudia Michelsen ein. Sie ist eine der besten ihrer Zunft.
Erst ein paar Beschreibungen der großen Stadt, in die Michael Ende seinen Roman verlegt hat, dann folgt gleich die Einführung der Figur der Momo. „Könntet ihr mich nicht einfach hier wohnen lassen?“, fragt Momo am Rande der Stadt die Bürger, die sie entdecken. Es stellt sich heraus, sie brauchten Momo sogar. Denn sie kann zuhören. Zuhören, wirklich zuhören, können nur ganz wenige Menschen. Momo kann so gut zuhören, dass die Leute, wenn sie ihr begegnen, ihr Leben anschließend für immer ändern. Denn Momos Zuhörqualität hat etwas Selbstoffenbarendes. „Alles sprach zu ihr auf seine Weise. Wenn sie alleine war, horchte sie in die Stille und hörte eine ganz eindringliche Musik, die ihr seltsam zu Herzen ging“, so liest Claudia Michelsen aus dem Roman. Und dann hört das Publikum die Musik, die sich sanft und beruhigend über das Innere des Kurtheaters legt.
Beppo Straßenkehrer und Gigi Fremdenführer sind Momos Freunde und Claudia Michelsen erzählt von den Figuren so eindringlich und mit ihrer klaren Stimme, die sich so gut versteht mit den Klanguntermalungen der Percussion-Instrumente, die die Lesung zu einer Klangcollage machen, die einen in Bann zu ziehen versteht. Unheimlich klingt das alles. Vor allem dann, wenn die grauen Herren auftreten vor dem geistigen Auge des Zuhörers. Die Kälte, mit der die grauen Herren auftreten, wird sehr gekonnt und authentisch in Musik umgesetzt. Schnelle Schläge wie dumpfes Grollen von weither, das beklemmend nahe rückt, erzeugt Stefan Weinzierl. Dazu die nuancierten Tonlagen der Vorleserin, die mal, wenn es passt, durch den Text rast – wenn sie die Zahlen der Lebenszeit-Sekunden vorlegt – und die Stimme gespannt drohend verlangsamt, wenn sie die unmissverständlichen Fragen an den Friseurmeister vorträgt, der den Grauen Herren erliegen wird.
Claudia Michelesen liest sich im Laufe des Abends immer mehr in den Text ein, läuft sich förmlich warm und scheint sich schließlich so sehr mit der Geschichte zu verbinden, dass sie dahinter zu verschwinden scheint. Was für eine Professionalität, wenn eine der Besten sich in den Dienst des Textes zu stellen versteht und mal die Schildkröte Cassiopeia intoniert und dann im nächsten Atemzug wieder ein anderes Szenario heraufbeschwört. Claudia Michelsen liest nicht vor, sie wird zu den Figuren und evoziert sie auf der Bühne.
Wer glaubt, das Vorlesen nur etwas für die Kleinen ist, der weiß nichts von den allgemeingültigen, lebensumspannenden, philosophischen Tiefen von Momo und schon gar nichts vom Genuss eines Samstagabends, an dem Phantasie die Realität überstimmt.