Gleichstellung der Geschlechter: „Fortschritt ist eine Schnecke“

Professor Dr. Uta Meier-Gräwe spricht am internationalen Frauentag in der Stadtbibliothek. Foto: ad

Bad Homburg (ad). Für Samstag, einen Tag vor dem Internationalen Frauentag, hatte das „Netzwerk Frauen“ zum Vortrag „Gleichstellung im Fokus – Wie geschlechtergerecht ist die aktuelle Familien- und Erwerbsarbeit?“ in die Stadtbibliothek eingeladen. Bei der sehr gut besuchten Veranstaltung sprach Professor Dr. Uta Meier-Gräwe und machte deutlich, dass die Gleichstellung der Geschlechter auch im 21. Jahrhundert trotz erzielter „Fortschritte“ in Deutschland keine Realität ist. Fortschritt sei eine Schnecke und die wünschenswerte, gelebte Gleichstellung der Geschlechter noch lange nicht erreicht. Dies zeige sich in der Unterpräsenz von Frauen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sowie in der ungleichen Verteilung der meist unbezahlten Sorgearbeit. Die Lohn- und Sorge-Lücke werde als ein entscheidendes Hindernis für die Chancengleichheit von Frauen und Männern gesehen und hänge eng mit traditionellen Rollenbildern von Frauen und Männern zusammen.

Auch wenn es kein Naturgesetz gibt, wer die Verantwortung für die private Sorgearbeit übernimmt, wird durch tradierte Rollenbilder diese Arbeit zum größten Teil von Frauen ausgeführt. Private Sorgearbeit umfasst unbezahlte, fürsorgende Tätigkeiten wie Kindererziehung, Haushalt und die Pflege von Angehörigen. Um den Fürsorgeverantwortlichkeiten im privaten Bereich nachkommen zu können, arbeiten berufstätige Frauen sehr viel häufiger in Teilzeit als Männer dies tun. Das hat überwiegend strukturelle Gründe und ist nicht, wie von skeptischen Stimmen häufig geäußert, auf die ganz individuelle und „freie“ Entscheidung der Frauen zurückzuführen. Die Wirtschaft greift auf diese Arbeit von Frauen unentgeltlich zurück.

Aber auch bezahlte fürsorgende Tätigkeiten wie Pflegeberufe oder pädagogische Berufe werden häufiger von Frauen ausgeübt und vergleichsweise deutlich schlechter bezahlt. Es sollten politisch nicht nur „High-Tech“-Berufe gefördert werden, sondern auch „High-Touch“-Berufe, so Meier-Gräwe. Frauen stecken größtenteils in Berufen mit einem eingebauten Verarmungsrisiko, macht sie deutlich. Dazu zählen auch „Minijobs“, in denen sich oft hochqualifizierte Frauen nach den Kindererziehungszeiten wiederfinden. Hier profitiere der Markt von hochkarätigen und teilweise teuer ausgebildeten Fachkräften, die zu einem Mindestlohn arbeiten. All dies kann für Frauen weitreichende Konsequenzen haben. Nicht nur der „Gender Pay Gap“ – Frauen müssen fast drei Monate länger arbeiten, um rein rechnerisch genauso viel Geld verdient zu haben wie Männer – stellt viele Frauen vor Schwierigkeiten, sondern auch der daraus resultierende „Pension Pay Gap“ – Frauen, die ein Leben lang aufgrund der strukturellen Gründe weniger verdient haben als Männer, bekommen im Durchschnitt eine deutlich niedrigere Rente als Männer. Dies führt dazu, dass der Frauen-Anteil bei den von Altersarmut betroffenen Menschen deutlich höher ist. Hochrechnungen zufolge wird bei bis zu 75 Prozent der heutigen 35- bis 50-jährigen Frauen die gesetzliche Rente unter dem jetzigen Hartz-IV-Niveau liegen.

Rückzug nicht freiwillig

Frauen erzielen oft deutlich bessere Abiturnoten und haben dementsprechend eine höhere Chance auf einen Medizinstudienplatz. Die ersten Mediziner aber fordern schon jetzt eine „Männerquote“, um die Versorgung der Bevölkerung zukünftig zu sichern, da die Frauen ja ohnehin ausfallen würden, so die Einschätzung. Oder Ärzte aus Osteuropa müssten die Lücke füllen. Aber: Diese extrem gut ausgebildeten Frauen ziehen sich nicht freiwillig zurück. Man gehe jedoch automatisch davon aus, dass sie dies tun werden, sobald sie Kinder haben. Es sei ein strukturelles Problem, das in Deutschland vorherrsche. Als Beispiel können die skandinavischen Ländern dienen, in denen Familie und Karriere besser vereinbar scheinen. Besonders kritisch ist für Frauen der Übergang vom Beruf zur Familiengründung. Quer durch über alle Bildungs- und Qualifikationsgruppen komme es nach der Geburt von Kindern zur Retraditionalisierung von Geschlechterrollen.

Dies habe auch mit der noch immer vorherrschenden nicht fairen Arbeitsteilung in Paarbeziehungen zu tun, so die Referentin. Die „mental load“ der Familienführung fällt in den allermeisten Fällen den Frauen zu. Es sollte zu fairen Aushandlungsprozessen in der Partnerschaft kommen, so Meier-Gräwe. Um diesen Aushandlungsprozess aber konstruktiv führen zu können, sie die ökonomische Situation der Frauen maßgeblich. Noch immer ist in Deutschland das männliche Allein- oder Hauptverdienermodell vorherrschend. Der Beitrag von Müttern zum Haushaltseinkommen durch eigene Erwerbsarbeit liegt bei lediglich 23 Prozent. Damit ist Deutschland Schlusslicht unter 15 ausgewählten Ländern.



X