Grapefruit zum Frühstück

Der Nachname verrät es schon: Da trägt eine Frau auf der Bühne ihre Lyrik vor, die sich mit ihren unschuldig schönen Sätzen eine Welt geschaffen hat, in der Glitzer den Boden der Tatsachen verdeckt. Foto: nl

Bad Homburg (nl). Sie kommt auf die Bühne mit Haarspange und schulterlangem Pagenkopf, unaufgeregt an der Seite gescheitelt. Ihr Blick zögernd bis schüchtern. Kommt da ein Star? Aber ja! Julia Engelmann ist mit 31 Jahren eine der gefragtesten Poetry-Slammerinnen. Das Psychologiestudium hat sie zugunsten des Schreibens an den Nagel gehängt. Ihre Eltern hat sie als Manager ihrer Karriere fest eingeplant.

Überhaupt ist das Thema Familie ein großes für sie. Julia Engelmann erzählt, dass sie kurz vor ihrem Auftritt in Bad Homburg noch mit ihren Großeltern telefoniert hat, um an ihnen die Wirkung eines neuen Texts auszuprobieren. Die Großmutter roch den Braten und meinte zu ihr trocken: „Julia, du rufst mich doch bloß an, um zu testen, ob dein Text funktioniert!“ Ist es das, was sie so bezaubernd macht? Was ihre Fans so großartig an ihr finden? Diese Normalität? Die hochgezogenen Schultern, die Bereitschaft, über ihre eigenen Texte in Tränen auszubrechen?

Da steht eine junge Frau auf der großen Bühne des Kurtheaters mit Brokatbluse inklusive Flügelärmeln und schwarzen Sneakers. Hinter ihr ein selbstgebasteltes Herz, das wie zwei verlorene Puzzleteile auseinanderklafft. Diese junge Frau will nichts anderes als ihre Texte vorzutragen. Fast möchte man auf die Bühne zu ihr springen, sie kurz in den Arm nehmen und ihr aufmunternd zurufen, dass alles gut wird. Dass alle sie mögen. Wer könnte schon etwas gegen sie haben? Und vielleicht ist das der einzige Kritikpunkt. Da schreibt eine junge Frau Texte über ihre Befindlichkeit und über den Hund der Familie. Sie findet keine Worte über die große Liebe oder etwa das große Glück. Da schwingt keine überzogene Erwartung ans Leben mit, sondern das Glück im Kleinen. „Rasierwasser und Kastanie“ heißt sinnfälligerweise einer ihrer Texte oder „Grapefruit zum Frühstück“. Julia Engelmann ist nicht die, die den Geschmack von Champagner und Austern vermisst. Sie ist nicht der Typ, der die Top-Adressen fürs Glätten der ersten Mimik-Fältchen kennt. Sie ist der Gegenentwurf zur Selbstoptimierung. Und genau das macht aus ihr die Frau mit dem Heldinnen-Appeal. Sie traut sich was.

Die Stimme manchmal ein bisschen dünn und der Ton beim Singen knapp daneben. Aber dafür klingt alles so ehrlich und fast ein bisschen eine Spur zu banal. Julia Engelmanns Talent für die leise Stimme, für die Zwischentöne sucht ihresgleichen. Beim Schreiben über sie hat die Autorin zwei Möglichkeiten, sich zu fragen, ob mit Julia Engelmann nun unsere nächste Lyriker-Generation die Stimme erhebt und was sie uns wohl zu sagen hat, außer, dass alles, so wie es ist, ok ist. War es das etwa schon? Wo sind die Träume, wo der Anspruch, mehr zu wollen oder gar die Grenzerfahrung zu suchen?

Glaubt man Julia Engelmann, dann ist da mit ihr zusammen eine Generation groß geworden, deren Eltern die besten Freunde ihrer Kinder sind. Das ist die Welt des Teletubbies-Appeals oder von „Alice in Wonderland“. Die Wolken sind wieder lila – so eine Textzeile, die die Poetry-Slammerin einem Lied entnommen hat. Aber ob sie den Alptraum verbergen, der sich hinter der Unschuld der Textzeilen tummeln könnte oder die Leere einer TV-Studiowelt mit Acrylrasen und hüpfenden kleinen Babymonstern – das werden die Gäste des Abends, die für eine knappe Stunde Programm bis zu 60 Euro für die Karte aufbringen – wahrscheinlich nicht herausfinden wollen. Denn die Welt von Julia Engelmann ist für die Dauer ihres Auftritts einfach zu bezaubernd und dabei so unbedarft ehrlich.



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