Mit Haubrücke und Hammer zur richtigen Größe

Dachdeckermeister Mario Horbach markiert die Breite des Anschlusssteines, um ihn dann auf der Haubrücke mit dem Hammer in die benötigte Größe zu bringen. Fotos: fch

Bad Homburg (fch). Wer fleißige Handwerker sehen will, der ist an der evangelischen Erlöserkirche richtig. Dort haben derzeit die Dachdecker, Zimmerleute, Gerüst- und Fensterbauer das Sagen. Dachdeckermeister Mario Horbach und seine zwischen sechs und zehn Mitarbeiter sind gerade dabei, die 1400 Quadratmeter große Dachfläche neu in Altdeutscher Schieferdeckung einzudecken. Dazu benötigen die Handwerker rund 90 000 jeweils mehr als ein halbes Kilogramm schwere Schiefersteinplatten.

Die belasten allein das Dachgebälk mit 45 Tonnen Gewicht. Befestigt wird jeder Schieferstein mit je drei Kupfernägeln. Diese harmonieren mit den ebenfalls aus Kupfer bestehenden Dachhaken, Schneegittern, Regenrinnen, Blitzableitern und den bestehenden Kupfereindeckungen der jeweils zwei Nord- und Südtürme. Geschickt legen die Dachdecker jeden Schieferstein in luftiger Höhe auf eine Haubrücke. Dann nehmen sie mit den Augen kurz Maß und hauen mit dem Hammer den Anschlussstein auf die gewünschte Größe zurecht. Das kann für den Fuß, Ortgang, Kehle oder First sein. „Der Dachhaken wird extra zugeschlagen“, informiert der Dachdeckermeister. Er gibt sein Wissen an junge Kollegen weiter, die er bei schwierigen Teilen zum Mitmachen einlädt. Dazu gehören unter anderem die in vier bis fünf Wochen anstehenden Anschlüsse an die Türme. „Das sowie die Eindeckung des Chors wird für Klempner und Dachdecker wegen der vielen Rundungen eine Herausforderung“, kündigt Architekt Thomas Heinrich an.

Auf der Westseite der Kirche sind Abbruch und Neueindeckung bereits abgeschlossen. Durch undichte Kehlen war Nässe in den Dachraum eingedrungen. Das anfallende Niederschlagswasser von zwei Dachflächen wird über die Kehle abgeleitet. Hier bauen drei Gerüstbauer das Gerüst bereits teilweise wieder ab. Auf der Ostseite ist die Neueindeckung noch im vollem Gang. „Je steiler das Dach, desto länger hält der Schiefer“, weiß Mario Horbach. Das Dach der Erlöserkirche hat eine Neigung von 53 Grad. Damit hält die Schieferneueindeckung rund 80 Jahre lang. Die letzte Altdeutsche Schieferdeckung wurde in den 1960er-Jahren aufgebracht und bot den Protestanten 99 Jahre lang Schutz.

Das Arbeiten bei den hochsommerlichen Temperaturen hoch oben auf dem Dach der Erlöserkirche ist schweißtreibend, wie Dachdecker Oliver Dressen berichtet. Die Temperaturen können hier leicht auf 68 Grad Celsius steigen. Da hilft es, viel zu trinken, für ausreichenden Sonnenschutz zu sorgen und zeitlich verkürzt zu arbeiten. Eine Stunde dauert es, bis ein- bis eineinhalb Meter Dachfläche neu eingedeckt sind. Mit einem der drei Personen-Aufzüge geht es 18 Meter nach oben, dann auf dem Gerüst weiter. „Der First liegt in 24 Metern Höhe, die Türme sind mehr als 40 Meter hoch“, berichtet Volker Weher, Bauausschussvorsitzender des Kirchenvorstands.

Hoch oben auf der Kreuzspitze hatte es sich ein Uhu bequem gemacht, der den früheren Zoodirektor Professor Dr. Manfred Niekisch auf den Plan rief. Der in der Kurstadt wohnende Biologe, der von Anfang 2008 bis Ende 2017 die Geschicke des Frankfurter Zoos lenkte, sorgte sich vor Baubeginn um das Wohl des Vogels, wie Kirchenvorstandsvorsitzende Petra Kühl berichtet. Zum Glück für die Kirchengemeinde zog der Vertreter der größten heimischen Eulenart in den gegenüberliegenden Schlosspark um. Auch die Bienen haben ein neues Zuhause gefunden. „Nur die Falken sind noch da“, berichten die Dachdecker.

Die Mitglieder des Kirchenvorstands loben bei dieser Gelegenheit die gute Zusammenarbeit mit der Stadt, dem Naturschutzbund (Nabu) und anderen Behörden und Vereinen. Glück hat die Kirchengemeinde auch mit den 100 Fenstern ihrer Kirche, die derzeit einen Monat lang von vier Fensterbauern gewartet werden. Bauherr Kaiser Wilhelm hatte die Fenster der im neuromantischen Stil in fünf Jahren Bauzeit errichteten Erlöserkirche, die am 17. Mai 1908 feierlich ihrer Bestimmung übergeben worden war, von außen einfach verglasen lassen. So werden die Kunstgläser innen vor der Witterung perfekt geschützt. Bisher liegen alle nach Ostern begonnenen Arbeiten im Zeitplan. Der Kirchenvorstand sieht der Fertigstellung aller Arbeiten bis Jahresende optimistisch entgegen.

Zeitkapseln unterm Kirchendach

Ebenfalls erfreulich entwickelt haben sich die Finanzen. Die Gemeinde muss von den 1,2 Millionen Euro Gesamtkosten 240 000 Euro aufbringen. Durch die Stadt, Spender und Sponsoren konnten bisher 180 000 Euro aufgebracht werden. „Rund ein Drittel des Betrages wurde mit dem Verkauf von Zeitkapseln finanziert“, berichtet Petra Kühl. Insgesamt stehen getreu des Gemeinde-Mottos „Sanieren. Erhalten. Zukunft gestalten“ 123 aus Edelstahl hergestellte Zeitkapseln zum Befüllen für Spender bereit. Pro Kapsel müssen 999 Euro berappt werden, um beim Projekt „Per Zeitkapsel in die Zukunft“ dabeizusein.

„Alle verschweißten Kapseln werden bei Fertigstellung des Daches an Erntedank mit einem Buch, in dem die Inhalte der Kapseln samt Projektdokumentation notiert sind, in eine Box gelegt. Diese wird luft- und wasserdicht verschweißt.“ Gelagert wird die Box mit den Zeitkapseln unterm Kirchendach. Reservierungen für eine Zeitkapsel sind unter Telefon 06172-21089 im Gemeindebüro möglich.

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