Hauff’sche Märchenwelt mit aktuellen Anspielungen

Puppenspieler Dieter Malzacher vom Figurentheater Malzacher verwandelt seine selbstgebauten Klappmaul-Puppen in der Geschichte „Kalif Storch“ in Windeseile vom Mensch zum Tier. Die kleinen und großen Zuschauer gucken fasziniert auf die Bühne, die hinter den Louisen Arkaden zum Figurentheaterfestival „Puppet Convention“ aufgebaut ist. Foto: a.ber

Bad Homburg (a.ber). Der eine wird enteignet und fristet sein Leben als Sklave und Palm-Wedler, der andere kleidet sich täglich in Goldbrokat und quengelt in willkürlicher Pascha-Allüre nach seiner Lieblings-Delikatesse Froschschenkel. Und die Bedeutung des Personals am Hofe des Kalifen steigt mit der gewollten und devoten Verstrickung in die Hofschranzen-Hierarchie. Einzig die Frauen, die eigentlich nicht viel wissen dürfen, intrigieren als Power-Group in Richtung Freiheit und schlagen dem Herrscher ein Schnippchen. Und der verwöhnte Kalif selbst entpuppt sich am Ende als wenig praktisch, hilflos und – ja, sagen wir es ruhig – entsetzlich dumm.

Das Figurentheater „Kalif Storch“ nach dem Märchen von Wilhelm Hauff, grandios gespielt von dem Ein-Mann-Tournee-Theater Malzacher in Person von Dieter Malzacher, führte Kindern und Erwachsenen beim Festival „Puppet Convention“ der Louisen Arkaden eine Parabel vor Augen, die – ja, sagen wir es ruhig – irgendwie an die politische und menschliche Krisenbewältigung unserer Tage erinnerte. Nur dass im Märchen in der Regel alles gut ausgeht.

Dieter Malzacher aus Bad Dürkheim, geboren 1948 und nach längerer Zeit als Schauspieler im Jahr 1990 in die Figurentheater-Szene übergewechselt, fügte dem vielschichtigen Hauff’schen Märchen von 1826 über die Machenschaften und Missstände an einem orientalischen Hof in Bagdad noch jede Menge Vergnügliches, Modernes und Nachdenkenswertes hinzu. Hinter einem großen Spieltisch, auf dem der Puppenspieler seine selbstgebauten Stoffpuppen mit Klappmäulern agieren ließ, entpuppte sich der zerzauste ältere Herr in morgenländischer Kleidung als glänzender Erzähler, der mit kabarettistischer Mimik, Masken und Gestik aus der Sicht des kleinen Sklaven „Palmwedel“, der er früher einmal gewesen sei, die ganze Geschichte ausbreitete und kommentierte. „Das Volk wird ausgepeitscht“, schrie der Kalif, der wegen eines „Blues“ mit viel schlechter Laune ständig nach Froschschenkeln verlangte – und sein Wesir stellte eilfertig klar, dass es einen „Hofsklavenauspeitschverwaltungsbeamten“ gebe. Die Kalifin mit ihren Leidensgenossinnen im „Frauengarten“ und der Kalifen-Sohn Selim, dem kleinen Palmwedel zugetan, hätten den Sklaven nicht vor der Willkür bewahren können; allein seine Fähigkeit, dem Kalifen die Fliegen zuverlässig wegzuwedeln, rettete Palmwedel von Tag zu Tag vor den 17 Peitschenhieben auf den nackten Po.

Die Störche im Moor belauscht

Doch wie es oft ist im wahren Leben: Irgendeiner stört die eingefahrenen Bahnen am Hofe. Der weitgereiste Händler Ahab bietet dem Kalifen ein Zauberpulver an, das Menschen in die Lage versetzt, Tiere sprechen zu hören. „Mutabor!“ Kalif und Wesir verwandeln sich mit Zauberwort und Pulver in Störche – um die echten Störche im Moor zu belauschen, wo es die meisten Frösche gibt. Der kleine Sklave und sein Freund Selim spielen das Spiel mit; doch nur Palmwedel weiß am Ende noch das Zauberwort für die Rückverwandlung – und er lässt die anderen schmoren, die sich im Moor verirren. Dass die Geschichte für den dummen und gierigen Herrscher am Ende gut ausgeht, weil er bei Rückkehr an seinen Hof gerade noch verhindern kann, dass eine Palastrevolte erfolgreich ist, ist dem kleinen Palmwedel und seiner geliebten Eule zu verdanken.

Wenn es denn so leicht wäre wie im Märchen „Kalif Storch“, sich die eigene Unfähigkeit einzugestehen, auf Macht zu verzichten und die nächste Generation ans Ruder zu lassen! Dieter Malzacher, dem die kleinen und großen Zuschauer fasziniert folgten, verstand es mit seinen wunderschön gestalteten Figuren, Zweifel und Hoffnung auf eine bessere Welt in der Waage zu halten. Der Schauspieler und Puppenspieler holte jedoch alle immer wieder aus dem Märchen in die Realität: denn dass wir uns mit dem Risiko des Irrtums stets weiterentwickeln, ist fraglich.

Aber eine Vision vom Besseren schob Dieter Malzacher den Zuschauern dennoch unter: „Es gibt keine Sklaven mehr, die Stadt heißt jetzt ‚Storch-City‘, und mittlerweile verbieten die Frauen den Männern alles und nicht umgekehrt!“ Wie wär’s mit einem Stress-Test an der Wirklichkeit?



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