Das Hochwild war den Bauern ein Dorn im Auge

Dr. Wolfgang Bühnemann, studierter Landwirt und seit 1955 passionierter Jäger, referiert im Gemeindehaus der Waldensergemeinde aus seinen heimatgeschichtlichen Forschungen über die Jagd. Foto: a.ber

Bad Homburg (a.ber). Walt Disney ist schuld an der Verwirrung: Das „Bambi“ in dem berühmten Film von 1942 – ein Rehkitz? Mitnichten. Es ist ein Weißwedelhirsch-Kalb. Und Hirsche, diese „Geweihträger“, sind eine Säugetierfamilie aus der Ordnung der Paarhufer – dazu gehört das Reh ebenso wie der Rothirsch, der Damhirsch, das Rentier und der Elch und mehr als 80 weitere Arten. Alles klar? In seinem Vortrag „Der Hirschgarten und die Jagd im Taunus“ stellte der Bad Homburger Dr. Wolfgang Bühnemann so manches klar: Der Gemeinde-Gesprächskreis „Regenbogen“ der evangelischen Waldensergemeinde Dornholzhausen hatte den erfahrenen Landwirtschafts-Berater und Jäger eingeladen, und der Referent sagte gleich am Anfang, dass die Vorstellung vieler Homburger, im Hirschgarten ästen heute außer den Mufflons friedlich Hirsche und Rehe, irrig sei – „da gibt es keine Rehe!“

Mit Rehen, die wie Hasen oder Schafe zum sogenannten „Niederwild“ gehörten, hätte sich Landgraf Friedrich II. von Hessen-Homburg, der Dornholzhausen gründete, ähnlich wie die Adeligen späterer Zeiten sicher nicht abgegeben. Als der Landgraf 1698 die Tannenwald-Anlage „zu Pläsier und Ergötzlichkeit“ anlegen ließ, wollte er wahrscheinlich die Rotwild-Population im Taunus stärken, vermutet Wolfgang Bühnemann, der zum Thema geforscht hat. Rotwild, also Rothirsche, gehörten ebenso wie Luchs, Wildschwein, Bär, Adler, Schwan und Auerhahn zum „Hochwild“ – und darauf hatte der Adel vor dem Jahr 1848 das alleinige Jagdrecht. Am Anfang hieß der Hirschgarten noch „Wildgarten“ oder „Thiergarten“. Das Rotwild äste und vermehrte sich unweit des Taunuswaldes in einer Umzäunung, und Landgraf Friedrich II. erließ auch Gesetze zum Schutz der Tiere in freier Wildbahn rundherum. Er selbst und seine Nachfolger dehnten die kleine Anlage zwischen Dornholzhausen und Oberstedten immer weiter aus: 34 Hektar habe sie schließlich umfasst, schilderte Bühnemann die Entwicklung des Hirschgartens. Doch der Spaß, den die Landgrafen als Oberste Jagdherren und ihr Hofstaat an der Jagd hatten, war den Bauern am Taunus bald ein Dorn im Auge, wie der Referent mit einem Homburger Dokument aus dem Jahr 1777 belegte: Das Hochwild beschädige die Remisen, niedriges Gebüsch, das Hasen, Schafe und Geißen von den Feldern fernhalten sollten, war die Klage.

Ärger mit den Hirschen

Das Thema Wildschaden war auch im 19. Jahrhundert in Dornholzhausen und Umgebung ein wiederkehrendes Problem. Da nicht nur Bauern, sondern auch Handwerker und Pfarrer von Landwirtschaft im Nebenerwerb lebten und ihre Felder und Gärten am Taunus lagen, sannen sie auf Abhilfe. Der 1827 in Homburg geborene Paläontologe Friedrich Rolle schrieb, auf der südlichen Seite des Taunus in den landgräflichen Jagden gebe es „Hirsche in großer Zahl“, die Streifzüge nach Dornholzhausen unternähmen, weshalb ein langer Stangenzaun zum Schutz gezogen worden sei. „Aber wenn Getreide und Hafer grün stehen, sucht der Hirsch die offenen Stellen an Straßen.“ Auch Wachen, die nachts am Kirdorfer Gemeindewald und an der Elisabethenschneise standen, halfen offenbar nicht viel: Das Hochwild brach durch. Oft wiesen die Homburger Landgrafen die Klagen ab und wollten „Gegenbeweis von den Querulanten“; doch irgendwann wurde eine Begrenzung des Wildbestands festgesetzt. Dass der Wald damals noch nicht so nah an die Ortschaft herangewachsen war, betonte Bühnemann.

Mit der Märzrevolution 1848 sei die Forderung nach einer Demokratisierung der Jagd und des Jagdrechts erfolgt; im Taunus erfolgte die Gründung der Hohemark-Waldgenossenschaft unter Führung des Homburger Landgrafen, die erst 1972 im Zuge der hessischen Gebietsreform aufgelöst wurde. Dr. Wolfgang Bühnemann schilderte den Zuhörern die heutige Aufteilung von Jagdrevieren, die Entstehung von Jagdgenossenschaften und den Erwerb eines Jagdscheins sowie den heutigen Gedanken des Jägers als Naturschützer. „Welche und wie viele Tiere welchen Alters dürfen geschossen werden? Manchmal sitzt der Jäger heutzutage 20 Mal auf dem Ansitz, um einmal zum Schuss zu kommen, und bei den vielen Spaziergängern in Corona-Zeiten wird das Ansitzen noch schwieriger.“

Für die Untertanen und später die Bürger war der Hirschgarten ab 1822 ein „Ansitz“, um Wild zu beobachten und sich zu verlustieren. Landgraf Friedrich VI. und seine Gattin Eli-zabeth ließen Wege bauen, Obstbäume pflanzen und den Wiesengrund malerisch anlegen. „Für das Wild im Gehege verzeichneten die Bücher Futter-Zukauf von 200 Zentnern Heu und 80 Malter Katoffeln, also enorme Mengen“, so Bühnemann. 1840 bis 1873 hatten die Gebrüder Blanc den Wildpark mit 65 Stück Damwild gepachtet, eine Gastwirtschaft war eingerichtet worden, reiche Spielbank-Kunden vergnügten sich dort. Später ging der Hirschgarten in den Besitz der Stadt Bad Homburg und dann der Kurverwaltung über. Diese versteigerte jährlich die abgeworfenen Geweihe der Hirsche in der Kurhaus-Galerie. Paradiesische Berichte vom Hirschgarten als Ausflugsort, Picknicks am Bach, „wo Wild und Mensch nicht getrennt waren und die alte Wirtin die Hirsche einlud, die ihr von den Gästen gereichten geschnittenen Kartoffeln zu fressen“, zitierte der Referent aus detailreichen Zeitungsberichten. So über ein Volksfest im Jahr 1900, bei dem 1000 Bürger aus der Stadt über die Tannenwaldallee zogen und sich zu Musik und Tanz im Hirschgarten trafen, oder über das Waldfest 1903, als die Kurdirektion die Kurgäste unterhielt „in herrlicher Luft und reizender Umgebung, wo ab und zu große Augen des Damwilds hervorlugten und eine Anzahl von Kellnern leider eigene häusliche und geschäftliche Differenzen lautstark diskutierten“.

Die ausgesuchten Berichte über Feiern im Hirschgarten, Geschichten über die Wilderei im Taunus und die Bad Homburger Jagdvereine sowie die Geschichte des Hirschgartens hat Dr. Wolfgang Bühnemann, studierter Landwirt, der viele Jahre lang eine Landwirtschaftliche Beratungsfirma in Dornholzhausen führte und unter anderem für das Bundeslandwirtschaftsministerium tätig war, in einer umfangreichen Schrift zusammengetragen, die leider noch nicht veröffentlicht werden konnte. Der 89-jährige Heimatforscher, der Mitglied im Geschichtskreis Dornholzhausen ist und unter anderem über Ackerwirtschaft, Gutsbetriebe und den Marstall des Homburger Schlosses forschte, unterhielt und beeindruckte den Gesprächskreis der Waldensergemeinde an diesem Nachmittag mit seiner umfassenden Kenntnis der Jagd-Geschichte im Taunus.

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