„Wir holen Eltern und Kinder aus der Sprachlosigkeit“

Erzieherin Domna Magaritidou führt einigen Kindern der Kita ein „Kamishibai-Theater“ vor. Im Hintergrund (v. l.) Einrichtungsleiterin Ilka Stratmann, Stadträtin Lucia Lewalter-Schoor, Sprachfachkraft Annett Spielmann und Elternbeiräti, Christiane Schiller. Foto: lis

Bad Homburg (lis). „Jetzt gerade geht es erst richtig los“, sagt Sprachfachtkraft Annett Spielmann. Die Kindertagesstätte Engelsgasse feiert Halbzeit im Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“. Im Jahr 2015 wurde das Programm erstmals aufgelegt, seit November 2017 hat sich Einrichtungsleiterin Ilka Stratmann mit ihrem Team angeschlossen. Wie nach und nach acht weitere Einrichtungen in Bad Homburg und Umgebung.

Das Team betreut aktuell 45 Kinder aus verschiedensten Herkunftsländern, die teilweise zwei- oder dreisprachig aufwachsen. Momentan werden 22 unterschiedliche Muttersprachen gesprochen – von Türkisch über Polnisch und Rumänisch bis hin zu Brasilianisch und Koreanisch ist alles dabei. Es sei kein guter Weg, die Fremdsprachen in den Kitas zu verbieten. „Die Kinder verständigen sich verbal beziehungsweise nonverbal untereinander sehr gut“, sagt Ilka Stratmann. Außerdem lernen die Erzieher auch immer wieder ein paar Wörter in einer anderen Sprache dazu. In der Kindertagesstätte bilden Ilka Stratmann und Annett Spielmann ein sogenanntes „Tandem“. Spielmann begleitet, berät und qualifiziert das Kita-Team, sprachliche Bildung in den Kita-Alltag einzubringen. „Wichtig ist es, Situationen und Sprachanlässe zu schaffen, in denen sich die Kinder trauen zu sprechen. Es geht nicht nur darum, den Kindern ein ‚Feedback‘ zu geben, sondern den Dialog inhaltlich zu erweitern“, betont Spielmann.

Gleiche Bildungschancen

Sie arbeitet als Teilzeitkraft mit den insgesamt zwölf weiteren Mitarbeitern der Einrichtung zusammen. Sie gibt zudem Impulse für die alltägliche Arbeit und sorgt zusammen mit der Leiterin für das schrittweise Umsetzen der Anforderungen. Außerdem gehört die Dokumentation und Evaluation zu ihren Aufgabenfeldern. Fachberaterin Eva Jethon qualifiziert, coacht und begleitet Leiterin, Fachkraft und Kita-Team. Des Weiteren koordiniert sie die Zusammenarbeit der Kita mit der Stadt und dem Ministerium.

„Auch wenn der Fokus auf der Sprache liegt, soll für die Kinder keine Sonderwelt geschaffen werden, es gibt keine Sprachfördergruppen für ausgewählte Kinder.“ Das Erlernen und Festigen der Sprache erfolgt spielerisch. Die Werte Verantwortung, Gleichheit und Vielfalt sollen praktisch umgesetzt werden. Sprachkompetenzen eröffnen allen Kindern von Anfang an gleiche Bildungschancen. Die Kinder in der Kita befinden sich momentan im „goldenen Lernzeitalter“, das bis zum etwa sechsten Lebensjahr andauert, so Stadträtin Lucia Lewalter-Schoor. Das Programm baut sich aus drei Aspekten auf: Die alltagsintegrierte sprachliche Bildung soll Kindern eine frühe Chance auf einen erfolgreichen Bildungsweg geben. Sprache ist für Kinder der Schlüssel zum Entdecken der Welt. Eine inklusive Pädagogik ermutigt Kinder und ihre Eltern, Vorurteile, Diskriminierung und Benachteiligung kritisch zu hinterfragen sowie eigene Gedanken und Gefühle zu äußern. Leitziel des Programms ist es, Kindertageseinrichtungen als sicheren und anregenden Lernort zu gestalten, an dem es normal ist, dass alle verschieden sind. Die Art und Weise, wie pädagogische Fachkräfte auf Familien zugehen und wie beide Gruppen miteinander kooperieren, ist für die sprachliche Bildung von großer Bedeutung.

Kita-Tür für Eltern öffnen

Die Kita bietet ein monatliches Elterncafé an, bei dem die Elternteile während der morgendlichen „Bringzeit“ oder nachmittags während der „Abholzeit“ zusammenkommen. Hierdurch werden die Eltern viel besser erreicht, und die Kita öffnet ihre Türen für sie. Stratmann: „Es ist auch immer schön zu sehen, wenn die Eltern zwischen den Kindern sitzen und mit ihnen spielen.“

Elternbeirätin Christiane Schiller befürwortet das Programm. Es sei gut von den Eltern angenommen worden. Es habe auch schon Eltern-Kind-Ausflüge wie zum Beispiel eine Wanderung im Oktober vergangenen Jahres gegeben. Ihre sechsjährige Tochter Sophie sei bisher immer ein schüchternes Kind gewesen. Durch die neueingebrachten Ideen von Annett Spielmann habe sich die Offen- und Zugänglichkeit ihrer Tochter stark verändert. Schiller: „In unserem Wohnzimmer hängt seit der Waldwanderung ein Plakat mit Fotos. Dies regt Sophie auch jetzt immer noch zum Sprechen an, das ist toll!“ Mit den „Leserucksäcken“ aus der mobilen Bibliothek wurden auch Eltern motiviert, ihren Kindern aus Büchern vorzulesen und sich die Bilder anzuschauen. Dies hilft auch Eltern, die Probleme mit der deutschen Sprache haben, ihre Kenntnisse zu verbessern. „Wenn man einmal ein Wort gehört hat, lässt sich später besser darauf aufbauen, dies bringt einen Vorteil auf lange Sicht“, sagt Christiane Schiller. „Wir holen Eltern und Kinder aus der Sprachlosigkeit.“

Kita-Team, Stadträtin und Eva Jethon von der pädagogischen Fachberatung hoffen, dass das Programm, welches vorläufig im September 2020 ausläuft, fortgeführt wird. „Es würde schon sehr weh tun, wenn die Finanzierung der Stadt plötzlich weg wäre“, sagt Lewalter-Schoor.



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