Kappensitzung gegen „Katerstimmung“

Kirdorf brennt! Die Tanzgruppe „Unique Spirit“ goss richtig Feuer ins Narrenschiff der Kolpingfamilie im Bürgerhaus Kirdorf. Foto: a.ber

Bad Homburg (a.ber). „Ma gucke, wer alles da is.“ So die Devise vieler Besucher der Kappensitzung des Kolpingvereins Kirdorf am vergangenen Faschingswochenende. Schnell füllte sich das Bürgerhaus Kirdorf: Fliegenpilz und Mickey Maus, Glitzer-Hippie und Piratin bevölkerten die Tische vor der Bühne, Federboas wurden geworfen, Fächer und Säbel gezückt, und ein Jugendlicher, der mit zwei Freunden dem bunten traditionellen Faschingstreiben zuschauen wollte, setzte sich eines der vielen bunten Papp-Hütchen auf, die die Fastnachtsabteilung der Kolpingfamilie nebst Luftschlangen und Bonbons ausgelegt hatte. „Genau die Bonbons, die ich mag!“, frohlockte ein Narr mit Schiebermütze, der, über und über mit Luftschlangen behangen, auch gleich zur Speisekarte für diesen Abend griff. Essen im Faschingskostüm ist zwar mitunter nicht einfach und ruiniert auch oft die Schminke, aber eine Fritte zwischen Luftschlangen durch in den Mund zu schieben, funktioniert auf jeden Fall. Vom Ehrentisch Reihe vier tönte ein „Schön, dass ich da bin!“ – ob das von OB Alexander Hetjes kam oder von einem anderen der politischen Celebrities wie der Landtagsabgeordneten Elke Barth oder Stadtverordnetenvorsteher Dr. Alfred Etzrodt, war nicht zu eruieren, aber Narren strotzen ja bekanntlich immer vor Selbstbewusstsein. Stadtrat Tobias Ottaviani, zum ersten Mal bei der traditionellen Kolping-Kappensitzung dabei, war’s wohl eher nicht. Der junge Bad Homburger Dezernent trat bescheiden in Khaki auf – ach was, nicht Bundeswehr, sondern „Navy Flyer von Top Gun“, wie er lachend klarstellte.

Die Kolping-Fastnacht ist für ganze Generationen von Kirdorfer Ur-Familien und Gäste aus der nahen Kurstadt ein Treffpunkt in der kalten Jahreszeit. Vier Stunden Programm, „gemeinsam singen, lachen, tanzen – unsere wunderbare Tradition, die Einheit und Frohsinn ermöglicht“, wie eine mächtige Stimme aus dem Off verkündete. Etwas politisch wurde es gleich nach dem Einzug der Damen und Herren des Elferrates, als Sitzungspräsident Volker Göbel sinnierte: „Politisch war das Jahr eine Qual, wir hatten die Wahl – danach war ich benommen.“ Der politische Farbentopf und seine möglichen Mischungen wurde mit einem dreifach donnernden „Helau!“ gleich wieder zugeklappt. Die quirlige Truppe der „Stöpsel“ – 22 Kinder ab vier Jahren und der ganze Stolz der Kolpingfamilie – zerstreuten die aufkommende Katerstimmung angesichts der jüngsten Auftritte von Bundespolitikern und deren Attitüden. Kinder und Jugendliche sollten sich eben die Freude am Leben nicht einfach nehmen lassen, so führten die sportlichen „Stöpsel“ vor.

Doch die Reflexion des Lebens ist die Nahrung der Büttenredner. Was folgte, waren originelle Reden zu allgemein menschlichen und lokalen Themen: Was sich tut in Massage- und Friseursalon, wenn die Ambitionen groß sind und die Realität hinterherhinkt (Waldemar Wehrheim und die Fastnachterinnen Andrea Bous und Maike Hofmann); was sich in der Fußball-Landschaft Kirdorfs ändert (Esther Rupp und Tim Hundhausen) oder dann, wenn sich ein Talahon und ein Kirdorfer treffen. Also „Talahon“ ist ein junger Mann, der seine arabische Kultur eben so ganz raushängen lässt und das friedliebende und feministisch geschulte Taunus-Urgestein provoziert (Philipp Eichholz und Matthias Knappitsch). Herausragend war die dialogische Büttenrede der beiden Vereins-Jugendlichen Clara Schmidt und Inken Plumpe! Ihr erster Auftritt in den blaubunten Rede-Fässern – und es sprühte von Schalk, Witz und Frechheit aufs begeisterte Publikum hinunter. „Ich bin Gretel, ein Ökokind, unsere Eltern waren Hippies und sind damals nach der Kirdorfer Kerb zusammengezogen“. Als Hänsel und Gretel nahmen die Jungtalente mit zahlreichen Anspielungen auf Grimm’sche Märchen ihr Familienleben mit Demos, Hausbesetzung und der schamlosen Ausnutzung des „Sozi-Amts“ aufs Korn. „Und weil man bei der Aldi-App mit seinem Namen zahlen kann, gaben wir einfach den von OB Hetjes an: und so hat er zum ersten Mal in seinem Leben euer Geld sinnvoll ausgegeben!“ Gejohle von den Fassenachtern im Saal.

Auch der Auftritt der „Kirdorfer Tontauben“ war ein Genuss: Wir haben wieder Nonnen und Mönche im Kirdorfer Schwesternhaus! Eine Parodie auf die lange Sanierungszeit des markanten Hauses der katholischen Kirche in der Ortsmitte – und die „Kersch“ bekam auch gleich noch ihr Fett weg passend zur kalten Jahreszeit: „In Sankt Johann und Schwesternhaus da geht sehr gern die Heizung aus, es frieren Mensch und Kirchenmaus.“ Ein frierender Käfer, ein frostiger Schneemann, Mönch und Pater und die rockenden Nonnen machten die Bühne zum Ort der Karikatur von Zeit- und Kirchengeist. Texter Klaus Ernst ließ auch den Nationalstolz des Kirdorfer Völkchens ertönen: „Man ließ euch den Dom im Ort, andere zogen hinaus und ließen in Kirdorf die Häuser zurück. Die Neue sin ja nett, aber sie heiße halt nich mehr ‚Wehrheim‘ un ‚Hett‘ und sin auch nemmer all katholisch.“ – Tusch, Zugabe! Die Nonnen begeisterten mit „I Will Follow Him“ aus „Sister Act“, der Mönch schürzte sein Kartoffelsack-Gewand und tanzte mit nackten Beinen zu „I Love Him, Forever“.

Die diesjährige Kolping-Kappensitzung mit tollen Auftritten der Kolping Böbbcher als Luftpumpen-Orchester, der Kolpingcapella mit einem A capella-Gesang auf ihre Heimat, mit Tänzen und Sketchen von großen und kleinen Aktiven des rührigen Vereins war auch deshalb so gelungen, weil Sitzungspräsident Volker Göbel offenbar noch nicht „verbrannt“ ist – wie das Bühnenbild der „Unique Spirit“ mit ihren 14 Feuer-Tänzerinnen suggerierte. Humorvoll und schlagfertig heizte der langjährige Präsident die Stimmung an und dankte den Narren im Saal mit seinem Solo-Lied „Ohne Dich.“ Die Bad Homburger Fastnachtsprinzessin vom FdC in ihrem hinreißenden Tüllkleid, Anna-Lena I., hatte sich da mit ihrem Hofstaat längst verabschiedet. Die Kirdorfer, so der Eindruck, feiern so oder so, unabhängig von politischer und anderer Prominenz – egal wie mies die Stimmung politisch und sonst auch ist.

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