„Der Krieg hat unmittelbare Auswirkungen auf Georgien“

Georgien als Spielball zwischen geopolitischen und militärischen Interessen: Spannend bis ins Detail berichtet der Freie Journalist Rainer Kaufmann auf Einladung des Fördervereins Taunus-Tiflis aus 40 Jahren Erfahrung am Ort. Foto: a.ber

Bad Homburg (a.ber). Georgien als Spielball zwischen den globalen Fronten? Das ist nichts Neues, meint Rainer Kaufmann, freier Journalist und seit 1980 für deutsche Medien in dem Land am Kaukasus und seinen Anrainerstaaten unterwegs. Der 1950 geborene Herausgeber der „Kaukasischen Post“, einer deutschsprachigen Monatszeitung für den Südkaukasus, der seit vielen Jahren gemeinsam mit seiner Frau auch ein Gästehaus und Restaurant in Tiflis betreibt, gab auf Einladung des Bad Homburger Fördervereins Taunus-Tiflis im Kurhaus unter dem Titel „Georgien heute – den Westen im Blick, den Norden im Nacken“ einen spannenden Einblick in die wechselvolle Geschichte Georgiens seit dem Ende der UdSSR im Jahr 1990 und seine Situation heute.

Aktueller konnte der Einblick in die Situation des 3,7 Millionen-Einwohner-Landes nicht sein, dessen wichtiger Wirtschaftszweig Tourismus derzeit durch die Pandemie fast vollständig zum Erliegen gekommen ist, und das als Durchgangsland für Öl-Pipelines für die EU und die USA gleichermaßen geostrategisch wichtig ist, um die Abhängigkeit von russischem Ölexport zu verringern. Rainer Kaufmann schilderte die immer beklemmender werdende Armut der georgischen Bevölkerung durch die fehlenden Einnahmen im Land und die Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel.

Auch die etwa 600 000 Georgier, die in Russland arbeiten und ihren Familien normalerweise finanziell helfen, fielen als Ressource nun aus, so Kaufmann. „Der Krieg um die Ukraine und seine Folgen haben unmittelbare Auswirkungen auf Georgien.“ Was jetzt in der Ukraine geschehe und das Handeln des russischen Machthabers Wladimir Putin „war absehbar und hat eine lange Vorgeschichte“, so der Referent. „Putin ist ein Kriegsverbrecher, und sein Handeln ist nicht zu rechtfertigen, aber die bittere Pille ist: Auch der Westen hat dazu beigetragen, dass die Situation so ausweglos ist.“ Kaufmann zitierte den ukrainischen Präsidenten Selenskij, der kürzlich sagte, die Ukrainer hätten von der Nato jahrelang von offenen Türen gehört, jetzt aber erfahren, „dass wir dort nicht eintreten dürfen“. Auch in Bezug auf Georgien klaffe da „zwischen der Rhetorik des westlichen Militärbündnisses und der Realität eine riesige Lücke“, meinte Rainer Kaufmann.

Viele Jahre schon verfolgt der Journalist die Auftritte und Einmischungen von Russland einerseits und der USA andererseits direkt am Ort. „Und als Kneipier in der Hauptstadt bekommt man vieles mit, was Militärs, Politiker und Berichterstatter ‚off the record‘ sagen.“ Georgien als parlamentarische Republik im kaukasischen Raum, in dem 40 Sprachen von verschiedensten Ethnien gesprochen werden, hätte nach dem Zerfall der Sowjetunion unter seinen Präsidenten Gamsachurdia und Schewardnadse trotz großer Schwierigkeiten immer wieder zu Lösungen gefunden, um sein Völkergemisch zusammenzuhalten. „Es gab in Georgien russische, armenische, aserbaidschanische und deutsche Dörfer, sogar ein Dorf mit schwäbisch schwätzenden Mütterlein. Abchasen und Georgier feierten trotz politischer Differenzen abends in Tiflis gemeinsam in Restaurants. Trotzdem: Die grundsätzlichen Konflikte da waren“, berichtete Kaufmann aus eigener Erfahrung. Gewalt sei auch immer im Spiel gewesen. Er zeigte Fotos von den Zerstörungen 1992 nach dem Putsch gegen Gamsachurdia und sprach über Schewardnadses Versuch 1997, aus Georgien, der Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien einen „Übergangsraum mit gewisser Neutralität“ zu formen. „Vielleicht wäre das ein Format, das man nun wieder ausgraben könnte?“, stellte Kaufmann in den Raum.

Mit dem Südossetien-Krieg habe Russland unter Putin 2008 aber Fakten geschaffen, genau mit derselben Taktik der Unabhängigkeitserklärung des georgischen Teilstaats und Anerkennung Südossetiens durch Russland, wie er sie nun bei Donezk und Luhansk in der Ukraine anwende.

Die Nato habe auf dem Bukarest-Gipfel 2008 der Ukraine und Georgien die Aufnahme versprochen: „Eine heuchlerische Diplomaten-Nummer. Putin wusste, dass die beiden Länder nicht in die Nato kommen würden und hat damit gnadenlos gespielt.“ Während Georgien bis heute hoffe und die Aussagen der Nato so interpretiere, dass eine Aufnahme möglich sei und das Bündnis aber seinerseits die Nato-Osterweiterung gar nicht vorantreibe, nutze Putin diese Hinhalte-Taktik für seine Handlungen aus. Diese Nato-Politik ist vollkommen schiefgegangen“, urteilte Rainer Kaufmann.

Der Journalist hatte schon 2002 bei der sogenannten Pankisi-Krise aus eigener Anschauung erlebt, wie die USA – nach dem 11. September 2001 auf der Suche nach Al Kaida-Kämpfern in georgischen Pankisi-Tal – den Landstrich am Kaukasus zum militärischen und politischen Kampffeld erklärt hatten und mit dem Anspruch der Terrorismus-Bekämpfung dort in Konkurrenz mit russischen Interessen getreten waren: Spannend erzählte Kaufmann von „einer großen Diplomaten-Rundfahrt im Tal, bei der sich der amerikanische Botschafter als Ordnungsmacht aufgespielt und russische Diplomaten gedemütigt hatte. Die Russen hatten 2002 die Gegend bombardiert, auch ein Unrecht; doch die von den USA den internationalen Berichterstattern präsentierten fünf Toten gab es gar nicht, es war ein alter toter Mann, der dann mit öffentlichem Staatsbegräbnis beerdigt wurde – und dieser war gar nicht im Pankisi-Tal umgekommen. Aber die USA trat dann als Schutzmacht für Georgien auf und begann, georgisches Militär zu trainieren. Absurditäten wie eine ins amerikanische Fernsehen übertragene Modenschau einer georgischen Oligarchen-Frau am Schlagbaum im Pankisi-Tal, wo wenig später eine US-Eingreiftruppe stationiert wurde, war eine makabre Show“, so Kaufmann, der später darüber drastisch schrieb: „Eine Verarschung von Journalisten, Politikern und ein zynisches Spiel mit den Einwohnern des Tals von Al Kaida-geilen Berichterstattern.“

Doch die „Seifenoper mit betrogenen Betrügern auf der westlichen und der russischen Seite“ gehe weiter und werde nun durch die prekäre wirtschaftliche Situation in Georgien noch verschärft. Beide Global Player inszenierten sich über militärische Beratungen in das Land Georgien hinein. Es gebe die Bereitschaft des Westens, Georgien und anderen ehemaligen Sowjet-Staaten EU-Entwicklungsprogramme zu offerieren, „aber weiter wird sich nichts tun“, resümierte Kaufmann, der mit seinem Hotel- und Restaurantpersonal, das er nicht entlassen möchte, seit zwei Jahren eine Suppenküche in der georgischen Hauptstadt für 50 arme Menschen betreibt, bis sich die touristische Lage der Kaukasus-Republik wieder bessert. Eigentlich habe er geplant, im April ein großes Dankeschön an die vielen auch deutschen Spender zu schicken, die Suppenküche zu schließen und sich in Tiflis wieder seiner Zeitung und dem Hotel-Restaurant zu widmen – „aber die politischen Ereignisse und vor allem diejenigen, die sie bestimmen, nehmen keine Rücksicht auf irgendein ‚Eigentlich‘, das urplötzlich nicht mehr gilt, weil Machtinteressen mehr gelten als das Wohl der Menschen.“

Der Förderverein Taunus-Tiflis Bad Homburg ist seit 1997 als Forum für Begegnungen und Kulturaustausch mit Georgien tätig, unterstützt eine Schule in Tiflis und fördert Schüleraustausche zwischen Bad Homburg und Tiflis. Informationen gibt es über Renate Wacker, Telefon 06172-44756 oder per E-Mail an info[at]taunus-tiflis[dot]de



X