Bad Homburg (hw). Digitale Medien sind aus der gegenwärtigen Welt nicht mehr wegzudenken und prägen die Lebenswirklichkeit der Menschen des 21. Jahrhunderts entscheidend. Die technische Basis ihrer Entwicklung reicht jedoch weit ins vergangene Jahrhundert zurück: Der Computer wurde in den 1940er-Jahren als Maschine entwickelt, die in erster Linie komplexe Rechenoperationen lösen sollte und die zunächst nicht als künstlerisches Werkzeug gedacht war. Er geriet jedoch in 1960er-Jahren, als die ersten bildhaften Grafiken mit dem Computer hergestellt wurden, schnell in den Radius künstlerischer Möglichkeiten. Mit den frühesten computerbasierten Zeichnungen war der Grundstein für eine neue Bildgenerierung der Kunst gelegt, die unser ästhetisches Verständnis seitdem fortwirkend verändert.
In der Ausstellung „Illusion Natur. Digitale Welten“ zeigt das Museum Sinclair-Haus vom 10. November bis zum 2. Februar 2020 Arbeiten von zwölf nationalen und internationalen Künstlern. In diesen nähern sie sich mit ihren digitalen Kompositionen einem traditionellen Thema der Kunst an – der Natur. Es entstehen virtuell komponierte Sehnsuchtsorte, deren Idyll jedoch immer wieder durch die kühle Hyperrealität der künstlichen Animation durchbrochen wird. Die digitalen Landschaften erscheinen fremd und vertraut zugleich. Mit ihren Werken loten die Künstler die Grenze zwischen Wirklichkeit und Abbild aus und hinterfragen die menschliche Wahrnehmung der Welt. Es werden digitale Arbeiten zum Thema „Natur“ von den 1980er-Jahren bis heute gezeigt.
Ein umfassendes Vermittlungs- und Begleitprogramm mit Führungen, Workshops, Literatur und Expertengesprächen zum digitalen Wandel in Gesellschaft und Kunst vertiefen das Ausstellungsthema. Zu Gast sind unter anderem der Galerist Wolf Lieser (Digital Art Museum/Gallery Berlin), die Expertin für digitalen Wandel, Karin Bjerregaard Schlüter, Professorin an der Universität der Künste Berlin, und die Künstlerin und die Digital-Art-Pionierin Christa Sommerer. An den Vormittagen steht das Museum exklusiv Gruppen aus Schule, Hochschule und Kindergarten offen für Führungen und Workshops.
Mit Werken von Arno Beck, Eelco Brand, Miguel Chevalier, Driessens & Verstappen, Joanie Lemercier, Vera Molnár, Casey Reas, Michael Reisch, Laurent Mignonneau & Christa Sommerer, Studer/van den Berg, Jennifer Steinkamp und Tamiko Thiel. Eelco Brand schafft in seinen 3D-Animationen bewegte Landschaftsbilder, die die Natur nahezu fotorealistisch abbilden oder sogar über die Realität hinausgehen. So zeigt er beispielsweise einen Wiesenhügel, dessen gemächliche und gleichsam menschliche Bewegung erst auf den zweiten Blick sichtbar wird: Der Hügel scheint zu atmen. In Miguel Chevaliers Projektion „Trans-Nature“ schweben digital erzeugte Pflanzen scheinbar schwerelos über die Leinwand.
Das Künstlerduo Driessens & Verstappen fotografierte über ein Jahr hinweg wöchentlich eine Landschaft aus der gleichen Perspektive. Diese 52 Bilder fügten sie digital zusammen und manipulierten die Übergänge zwischen den einzelnen Fotografien, sodass eine fließende Bildabfolge entstand. Durch die Verschmelzung der einzelnen Bilder wird der natürliche Ablauf der Jahreszeiten für den Besucher innerhalb von acht Minuten zwar in kurzer Zeit sichtbar, aber bleibt, wie auch in der Realität, für das menschliche Auge kaum wahrnehmbar.
Michael Reisch fotografiert zunächst ebenfalls reale Landschaften und bearbeitet die entstandenen Bilder digital: Mit extremen Eingriffen in das Kompositionsgefüge und einzelnen Farbbearbeitungen kreiert er schließlich ein Landschaftsbild, das nun teils real, teils fiktiv ist. Reisch erschafft damit ein Wechselspiel zwischen realer Natur, die künstlich erscheint und fiktiver Landschaft, die überraschend real wirkt. Christa Sommerer & Laurent Mignonneau arbeiten an der Schnittstelle von Kunst, Naturwissenschaft und Technologie. In ihrer interaktiven Arbeit „Interactive Plant Growing“ werden reale und digitale Wirklichkeiten verflochten: Der Besucher ist dazu aufgefordert, Topfpflanzen zu berühren – durch diesen Impuls werden die gleichen Pflanzenarten auf einer Leinwand digital zum Wachsen gebracht. Auch die Umgebung des Museums ist in die Ausstellung miteinbezogen: Mit ihrer Augmented-Reality-Installation verwandelt die amerikanische Künstlerin Tamiko Thiel den Hof des Museum Sinclair-Haus in eine Unterwasser-Szenerie mit Korallenriffen.
!Das Museum Sinclair-Haus, Löwengasse 15, eröffnet die Ausstellung „Illusion Natur. Digitale Welten“ am Sonntag, 10. November, um 11 Uhr. Öffnungszeiten: Dienstag von 14 bis 20 Uhr, Mittwoch bis Freitag von 14 bis 19 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr. Am 25. und 26. Dezember ist das Museum Sinclair-Haus von 12 bis 18 Uhr geöffnet.