Bad Homburg (jas). Obwohl sie noch kein einziges Wort gelesen hat, ist ihr die Zuneigung des Publikums schon sicher. Mit Jubel und dankbarem Applaus wird Schauspielerin Katharina Thalbach am Mittwochabend im Kurhaus begrüßt, kaum dass sie die Bühne betreten hat. „Was für ein Empfang!“, freut sich die vielfach ausgezeichnete Berlinerin, geht mit schnellem Schritt zum Tisch, der für sie in der Mitte der Bühne platziert ist und rückt das Wasserglas zurecht. „Mich hat die Sommergrippe erwischt. Ich habe so einen Kopf“, sagt Katharina Thalbach. „Ich werde viel trinken müssen. Aber die Champagnerluft in Bad Homburg wird mich beschwingen.“
Und ob. Trotz Erkältung hat Katharina Thalbach an diesem Abend, dem Premierenabend des 15. Bad Homburger Poesie- und Literaturfestival, nichts von ihrer Energie eingebüßt. Kaum hat sie – bekleidet mit schwarzem Oberteil und schwarzer Lederhose – im Rampenlicht Platz genommen, geht es auch schon los. Denn die Zeit ist knapp. Katharina Thalbach muss gleich nach der Lesung weiter, nächste Projekte warten, die Autogrammstunde fällt aus.
Das Homburger Publikum nimmt das gerne in Kauf, Hauptsache sie ist da, um aus David Safiers Bestseller „Miss Merkel. Mord in der Uckermark“ zu lesen, der auch als Film mit Katharina Thalbach in der Hauptrolle ein großer Erfolg war. „Mein Dank geht an Angela Merkel dafür, dass sie meine Rente aufbessert“, schickt die Protagonistin humorvoll vorweg, bevor es für das Publikum geradewegs nach Kleinfreudenstadt am schönen Dumpfsee geht, wo Ex-Bundeskanzlerin Merkel mittlerweile mit Mann Achim, liebevoll Puffel genannt, Mops Helmut und dem wortkargen Personenschützer Mike lebt. Doch so richtig spannend ist es nicht in der Uckermark, und nur zu backen und zu kochen wird schnell fad, findet Angela. Ihr ist langweilig. Und dank Katharina Thalbach, die mit unvergleichlicher Stimme, Gestik und Mimik zu Frau Merkel wird, kann sich das Publikum in das Dilemma der Ex-Bundeskanzlerin hineinversetzen. Denn was sind schon Ruhestands-Gassirunden mit Helmut gegen das Managen von großen Krisen im Bundestag? Nichts. Da kann auch die Party bei Freiherr Philip von Baugenwitz nichts dran ändern. Zwar kommt dort mal wieder einer der vielen zeitlosen Blazer von Angela Merkel zum Einsatz, sonst aber passiert wenig – bis der Freiherr schließlich vergiftet in einem von innen verriegelten Schlossverlies gefunden wird. Da erwacht der Spürsinn der Ex-Bundeskanzlerin wieder zum Leben, und auch Katharina Thalbach läuft zu Hochtouren auf – zur Begeisterung der Zuschauer.
Als Miss Merkel nimmt die Schauspielerin die Ermittlungen auf. So witzig, lebendig und temporeich, dass jeder Einzelne im Theater meint, er sei live dabei. Als Cher getarnt steht die Ex-Politikerin neben dem Pathologen am Seziertisch, stapft mit Achim an ihrer Seite durch Geheimgänge, liegt unterm Himmelbett, als Alexa und der texanische E-Auto-Hersteller sich näher kommen, weicht Pfeilen aus, die vibrierend an ihr vorbeizischen, und steht bis zum zweiten Knopf ihres Kanzlerblazers im Wasser des Grabens, in den sie sich im letzten Moment hineingerettet hat.
Es ist ein großer Spaß, Katharina Thalbach als umtriebige, neugierige Miss Merkel auf Mörderjagd zu erleben – Kanzlerraute inklusive. Im Publikum wird viel gelacht, über den amüsanten Krimi von David Safier auf der einen, vor allem aber über die Lebendigkeit, den Humor und die Lust am Darbieten von Katharina Thalbach auf der anderen Seite. Ein Festivalauftakt, wie er besser nicht hätte sein können. So darf es gerne weitergehen.
!Am Freitag, 7. Juni, um 20 Uhr liest Ronald Zehrfeld im Speicher des Kulturbahnhofs von Franz Kafka „Die Verwandlung“. Am Samstag, 8. Juni, steht um 20 Uhr eine Lesung mit Sebastian Koch im Programm. Er liest im Kurtheater aus E. C. Conte Cortis Werk „Der Zauberer von Homburg“.