Bad Homburg (jas). Mitten hinein in die bürgerliche Gesellschaft des wilhelminischen Kaiserreichs nahmen am Sonntagnachmittag zwei Schauspieler ihr Publikum mit, die nicht erst seit „Babylon Berlin“ zur ersten Garde ihrer Zunft gehören: Jeanette Hain und Peter Kurth. Lange hatten ihre Fans auf den Auftritt in Bad Homburg warten müssen, denn ursprünglich war das Duo bereits für das 14. Bad Homburger Poesie- und Literaturfestival im vergangenen Frühsommer angekündigt gewesen. Doch daraus wurde nichts. Stattdessen machten Kurth und Hain nun den Auftakt für die 15. Ausgabe des Festivals, die Literaturfans vom 29. Mai bis zum 16. Juni (plus Weihnachtslesung im Dezember) erwartet. Mitgebracht hatten sie Heinrichs Manns Werk „Professor Unrat“, das im Jahr 1905 erschienen war. Die Verfilmung mit Marlene Dietrich unter dem Titel „Der blaue Engel“ im Jahr 1930 hatte Weltruhm erreicht.
Auf der Bühne im Kurtheater dominiert an diesem Nachmittag die Farbe Schwarz. Die beiden Tische, an denen die Vorleser Platz nehmen, sind links und rechts zum Vorhang hin platziert und mit schwarzen Tüchern verhangen. Dazwischen stehen vier Pulte, versehen mit Mikrofonen. Dahinter nehmen die „German Gents“ Platz, vier junge Männer in schwarzen Anzügen und roter Rose in der Jackettasche, die die Lesung mit Hits aus den 1920er-Jahren genial ergänzen. Die „TenorBoygroup“ singe schon seit der Kindheit zusammen, verrät der künstlerische Leiter des Festivals, Bernd Hoffmann.
Und schließlich kommen die beiden Hauptdarsteller, die mit Spannung erwartet werden. Peter Kurth nimmt auf der linken Seite Platz, legt das Buch bereit, richtet die Lampe aus und gießt sich Wasser in das bereitgestellte Glas. Seine Kollegin Jeanette Hain, ebenfalls schwarz gekleidet mit einem schwarzen Tuch um den Hals, die Haare offen, nimmt rechts Platz. Und dann geht es los.
Der Bühnenhintergrund leuchtet in einem knalligen Grün, dann in Pink, manchmal auch in einem kräftigen Blau. Die beiden Schauspieler nehmen ihr Publikum mit auf das Gymnasium, wo Professor Raat unterrichtet und ein strenges Regiment führt. Er hat Legendenstatus erreicht, denn zahlreiche Sprösslingen des Orts hat er Zucht und Ordnung beigebracht. Der Spitzname „Unrat“, mit dem er hinter seinem Rücken betitelt wird, hat mittlerweile Tradition. Raat selbst sieht in der Verunglimpfung seines Namens einen Angriff auf seine Person und ein Zeichen von Respektlosigkeit. „Ab ins Kabuff“, donnert Peter Kurths Stimme, der in die Rolle des verärgerten Professors geschlüpft ist, durch den Theatersaal. Nach und nach schickt er die aufsässigen Pennäler – von Ertzum, Kieselack und Lohmann – aus dem Klassenzimmer.
Bei Rosa im „Blauen Engel“
Der dichterisch begabte Lohmann wagt es, sich zu wehren, und Unrat konzentriert seinen ganzen Hass auf diesen Schüler. In Lohmanns Aufsatzheft entdeckt der Professor Gedichte an eine Künstlerin, die er im Lokal „Zum Blauen Engel“ aufspürt, um dem Schüler zu schaden. Die Künstlerin – wunderbar gelesen von Jeanette Hain – entpuppt sich als Rosa Fröhlich, Amüsierdame und Prostituierte.
Die Geschichte nimmt ihren Lauf. Der Spießbürger Unrat kann den Reizen der Künstlerin nicht widerstehen, ist von ihr fasziniert und verspielt durch die Verbindung seine soziale und berufliche Stellung. Schließlich heiratet er Rosa und lebt mit ihr und ihrem Kind zusammen als Familie. Nach zwei Jahren Ehe mit Rosa ist Raat finanziell ruiniert. Eine Freundin Rosas gibt ihm den Rat, Griechisch zu unterrichten. Der Sprachunterricht entwickelt sich bald zu allabendlichen Trinkgelagen. Im Hause des Professors wird Roulette gespielt, und auch das Pfänderspiel, bei dem es um Heimlichkeiten unter der Decke geht, ist beliebter Zeitvertreib. Die Entsittlichung einer Stadt erreicht ihren Höhepunkt.
Schließlich eskaliert die Situation, denn Raats einstiger Schüler Lohmann taucht auf und trifft Rosa in ihrer Wohnung. Der eifersüchtige Professor stürzt aus dem Nebenzimmer und versucht, ihr die Kehle zuzudrücken. Dann greift er nach Lohmanns Geld. Kurz darauf wird das Ehepaar Raat verhaftet. Das Licht auf der Bühne geht aus.
Viel Applaus gibt es am Ende für die beiden Schauspieler, die die Geschichte nicht nur sehr gut und mit zahlreichen schauspielerischen Zugaben gelesen, sondern auch Ausdauer bewiesen haben. Erst nach vier Stunden – inklusive Pause – ist der sonntägliche Literaturabend beendet. Mit reichlich Beifall werden vom Publikum auch die „German Gents“ belohnt. Mit Hits wie „Veronika, der Lenz ist da“, „Wochenend und Sonnenschein“, „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ und „In einem kühlen Grunde“ haben sie gekonnt die passende Atmosphäre geschaffen.