Den Schalk im Nacken und mit ungebremster Energie

Katharina Thalbach schlüpft gern in verschiedene Rollen und tanzt aus der Reihe.

Bad Homburg (hw). Ihre kleine runde Nickelbrille sitzt ihr auf der halben Nase. Verschmitzt blickt Katharina Thalbach von ihrem Lesetisch im Kurtheater aus ins Publikum. Der Kontakt zu ihren Zuhörern ist damit geritzt. Das Eis gebrochen. Keine zehn Sekunden hat’s gedauert. Kurz zuvor ist sie auf die Bühne gehüpft, die kleine Frau mit der Schiebermütze auf dem Kopf und weiten Hosen im modischen 7/8-Chinoschnitt.

Ihre Erscheinung gleicht mehr einem klabauternd liebevollen Rumpelstilzchen als einer großen Theaterfrau, die die Würde vor sich herträgt. Vor ihr sitzen Väter mit ihren kleinen Töchtern auf dem Schoß, und Mamis und Papis, die zwischen sich etwas ältere erwartungsvoll dreinblickende Märchenfans im besten Vorlesealter platziert haben. Draußen glüht die Sonne.

Doch Literatur- und Poesiefestivalbesucher zieht’s an diesem Tag mal ins kühle Dunkle. Überdimensional große Scherenschnitte, projiziert an die Bühnenwand, warten mit passendem Bildprogramm zu jedem der vorgetragenen Märchen auf. Und sogar an Musik wurde gedacht.

Goran Kovacevic begleitet die Lesung der Extraklasse am Akkordeon. Der Künstler mit dem für hiesige Ohren recht kompliziert klingenden Namen hat eine Professur am Musikkonservatorium Feldkirch in Österreich und ist einer der Gefragtesten seines Fachs. Nur kann er leider nicht all das zum Klingen bringen, was in ihm und seinem Instrument steckt. Gekonnt weiß er sich zurückzunehmen und damit Katharina Thalbach beim Lesen akustisch geschickt zu unterstützen. Das ist seine Glanzleistung. Wenn auch eine bedauerliche. Ab und zu ertönt ein schneller Akkordeonklang, wenn Katharina den schnarchenden Teufel gibt, der erbost aufwacht, während ihm seine drei goldenen Haare ausgerissen werden. Der Musiker lässt den Teufel noch ein bisschen bedrohlicher wirken, als er es eh schon ist. Denn die kugelrunden Katharina Thalbach-Augen weiten sich furchterregend, wenn ein Märchen einem nicht zimperlichen Höhepunkt entgegengeht.

Das Publikum fiebert mit

Die grandiose Verwandlungskünstlerin Katharina Thalbach ist ganz der große dickfellige Bär und brummelt dann so raumfüllend und selbstverständlich in ihr Mikrofon wie sie genauso und unversehens in das schüchterne Schneeweißchen oder das eitle Rosenrot in der gleichnamigen Geschichte schlüpft.

In der Hanni-und-Nanni-Verfilmung, dem Mädchenbuch-Klassiker, gibt die kleine Blonde mit dem Schalk im Nacken die warmherzig bis mega überdrehte Französischlehrerin des Internats. Und ihre so leichtfüßige Lust an der Verwandlung und schier ungebremste 100 000-Volt-Energie tragen auch diesen Nachmittag mit ihr als überragender Märchenerzählerin und machen ihn zu einem alles überflügelnden Erlebnis.



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