Sieben neue Stolpersteine gegen das Vergessen

Künstler Gunter Demnig verlegt vor dem ehemaligen Hotel „Englischer Hof“ in der Louisenstraße 98 zum Gedenken an Familie Miltenberg fünf Stolpersteine. Zahlreiche Schüler und Bürger Bad Homburgs sehen zu.  Foto: fch

Bad Homburg (fch). Seit 2016 werden in Bad Homburg Stolpersteine verlegt. Die ersten auf dem Platz der zerstörten Synagoge. Seither sind es 66 Stolpersteine. Diese verlegt Künstler Gunter Demnig bereits seit 1992 in ganz Deutschland. Mit den Steinen erinnern die Mitglieder der „Initiative Stolpersteine“, die Stadt und vor allem die Bürger an frühere Einwohner der Kurstadt. Jeder einzelne Stolperstein ist ein Symbol der Erinnerung an einem Menschen, dem Unrecht widerfahren ist, der gedemütigt, seiner Würde, seines Eigentums und seiner Existenz beraubt und oft auch ermordet wurde.

Die inzwischen überall in der Stadt verlegten Stolpersteine erinnern an das Schicksal einstiger Bad Homburger, die der Menschenfeindlichkeit und dem Hass der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Am Dienstag fand unter großer Anteilnahme von Bürgern, darunter zwei Klassen des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums (KFG), die siebte Verlegung von Stolpersteinen statt. Dieses Mal verlegte Künstler Gunter Demnig sieben neue Stolpersteine. Fünf vor dem ehemaligen Hotel „Englischer Hof“ in der Louisenstraße 98 zum Gedenken an Isaak Miltenberg und seine Frau Adelheid „Adele“ sowie ihre drei Kinder Selma Wolfes, Hermann und Albert Emil Miltenberg. Und vor der ehemaligen Pension „Villa Renaissance“ erinnern zwei Stolpersteine an Max Groß und seine Frau Margarete.

Diese sieben Steine vergrößern das weltweit größte Denkmal. Im Vorwort der aktuellen Broschüre schreibt Oberbürgermeister Alexander Hetjes, dass „am 26. Mai 2023 der 100 000ste Stolperstein in Nürnberg verlegt wurde. Mit ihn wird an Johann Wild erinnert, der 1941 mit dem Tod durch Fallbeil hingerichtet wurde. Sein „Verbrechen“ bestand im Hören ausländischer Rundfunksender und der freien Meinungsäußerung.

Eröffnet wurde die siebte Verlegung der Stolpersteine am Agnondenkmal im Kurpark durch Stadtverordnetenvorsteher Dr. Alfred Etzrodt und Wolfram Juretzek, Vorsitzender der „Initiative Stolpersteine“. Etzrodt betonte, dass es ihm eine besondere Ehre ist, „heute als 1. Bürger dieser Stadt die siebte Stolpersteinverlegung zu eröffnen“. Das Agnondenkmal erinnert an Samuel Agnon, den ersten jüdischen Schriftsteller, dem 1966 der Literatur-Nobelpreis verliehen wurde und der mit seiner Familie von 1921 bis 1924 in der Kurstadt gelebt hatte. „Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 bahnte sich dann die Schreckensherrschaft an. Nach der Zerstörung der 1866 erbauten Synagoge in der Po-gromnacht 1938 und der Deportation der letzten Bad Homburger Juden im Jahre 1942 hörte die jüdische Gemeinde auf zu existieren.“ Alle waren dem Terror hilflos ausgeliefert ohne Hilfe von Nachbarn oder Mitbürgern. „Erst wurde ihnen die Würde genommen, dann das Leben. Die Steine sollen erinnern an die Menschen, die in der Zeit des NS-Terrors von einem Unrechtstaat verfolgt, ermordet oder deportiert wurden. Ihnen soll Würde und ein Gesicht zurückgegeben werden an dem Ort, wo sie gelebt haben“, sagte Etzrodt. Und an die KFG-Schüler der Klassen 9b von Annemarie Hollstein und 9e von Carine Brunk gewandt sagte er: „Stolpersteine sind Rückblick und gleichzeitig Mahnung für die Zukunft. So etwas darf nie wieder geschehen. Diese Verantwortung müssen wir, dann unsere Kinder, in unserer Gesellschaft weitertragen.“ Rabbiner Shalom Dov Ber Rabinovitz sprach ein Gebet auf Hebräisch, bevor die Teilnehmer zu den beiden ehemaligen Wohnorten der jüdischen Mitbürger gingen. Musikalisch umrahmt wurde die Stolpersteinverlegung von der ukrainischen Sopranistin Daria Tymoschenko mit Liedern aus ihrer Heimat.

Doris Stennert erinnerte an das Schicksal der Familie Miltenberg. Metzgermeister Isaak Miltenberg, der 1867 in Köppern geboren wurde und in der Wallstraße eine Metzgerei betrieb, meldete am 15. Juni 1922 seinen Hotelbetrieb an und zog mit seiner Familie in eine Fünfzimmerwohnung im Haus. Er hatte das 1864 eröffnete Hotel „Englischer Hof“ gekauft, das ab 1914 unter dem Namen „Hotel National“ weitergeführt wurde. Das Gebäude wurde 1968 abgerissen, heute befindet sich dort Möbel Meiss.

Bereits 1926 wurde der Hotelbetrieb infolge der Weltwirtschaftskrise wieder abgemeldet. Im September 1933 musste die Familie ihr Haus an Franz Dinter zwangsverkaufen. Der weit unter dem Wert entrichtete Kaufpreis wurde auf einem Sperrkonto bei der Reichsbank eingefroren. Isaak Miltenberg starb am 10. März 1940 in seinem ehemaligen Haus. Seine Frau und seinen Kindern gelang 1941 die Flucht in die USA. An das Schicksal von Max und Margarete Groß, die aus Schlesien und Pommern nach dem Ersten Weltkrieg nach Bad Homburg zogen, erinnerte Angelika Rieber. Die Basis ihres Lebensunterhalts bildete die Lederwarengroßhandlung von Max Groß in Frankfurt. In der Kurstadt betrieben sie die „Diätetische Kurpension Villa Renaissance“.

Das Haus ist erst kürzlich wieder im alten Glanz erstrahlt. Das Ehepaar wurde am 28. August 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Er wurde dort am 16. Oktober 1943 ermordet, seine Frau am 31. Mai 1944 im Vernichtungslager Auschwitz.

Steine, die an die Schicksale von Isaak Miltenberg und seiner Frau Adelheid sowie die ihrer drei Kinder Selma Wolfes, Hermann und Albert Emil Miltenberg erinnern. Foto: fch

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