Bad Homburg (a.ber). Ungewaschene Achseln, faules Gemüse oder nasser Hund, Krankenhaus und Kloake – Düfte gefällig? Starke Nerven brauchte der Zuschauer beim Theaterstück „Das Parfum“, das die Dramatische Bühne Frankfurt vor dem Kaiser-Wilhelms-Bad darbot. Starke Nerven, um sich bei den akribischen und opulenten Beschreibungen der Geruchswelt im Paris des 18. Jahrhunderts nicht vor Ekel zu schütteln. Die Geschichte des von einer lieblosen Mutter zwischen Fischresten auf dem Markt ausgesetzten Säuglings und als Waisenkind aufgewachsenen Jean-Baptiste Grenouille, wie sie der Romancier Patrick Süskind in seinem 1985 erschienenen Bestseller „Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders“ beschreibt, lässt seither Menschen immer wieder erschaudern. Und selbst die von Komik und Komödiantik geprägte Bühnen-Adaption des Romans durch das bekannte Frankfurter Theaterensemble konnte und wollte wohl auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass man hier Zeuge der Entwicklung einer schrägen Persönlichkeit wurde, die ihre Umgebung immer weiter in alptraumhafte und dämonische Umstände hineinzieht.
Die Namen des Romans waren verfremdet, eine kommentierende Erzählerin trieb die Handlung voran; immer wieder hatte die Dramatische Bühne Frankfurt, die sich seit ihrer Gründung 1988 auf die Bearbeitung von Klassikern fürs Bühnenpublikum spezialisiert hat, aktuelle fantasievolle und witzige Anspielungen in Texte, Kostümierung und Handlung eingebaut. Doch ein Gefühl der Beklemmung blieb Grundtenor an diesem Sommertheater-Abend im Rahmen des Bad Homburger Sommers. Schon der von vier Schauspielerinnen und Schauspielern gekonnt vorgetragene Epilog führte direkt ins unangenehme Thema: „Ganz Paris stank. Rattendreck, Urin, modernder Müll in den Gassen … die Bauern und Edelleute stanken“ – und dann kommt einer, der sich für den Erlöser der Menschheit aus dieser Kloake hält. Ein von der Mutter extrem gekränktes, vernachlässigtes Kind mit der Gabe eines aufs Feinste ausgebildeten Geruchssinns, das nach Liebe und Anerkennung hungerte, alles tat, um dazuzugehören, das zum Einzelgänger heranwuchs und in grandioser Selbstüberschätzung Macht über Menschen besitzen wollte. Ein Mensch schließlich, der andere mit seiner Fähigkeit, Düfte zu kreieren, manipuliert, verängstigt und schließlich zu Opfern seiner Mordgelüste macht. Eine übersteigert dargestellte narzisstische Persönlichkeit? Indem er seinen Lehrmeister, den Parfumeur Maitre Baldini, übertrifft, der ihn in die höhere Pariser Gesellschaft einführt, öffnen sich für Jean-Baptiste Grenouille Räume, die seine Grandiosität anstacheln auf der Suche nach dem ultimativen „Geruch der Unendlichkeit“. Und das Ende der Jagd nach Perfektion, nach „reinen Mädchen, deren Schweiß nach Milch und Honig riecht“, den Grenouille abzapfen kann? Leichen über Leichen.
Verblüffend war es für den Zuschauer, wie vielfältig allein die Wörter sind, mit denen Gerüche beschrieben werden können. Insbesondere die Erzählerin ließ ein Sprachfeuerwerk an Geruchszuständen von der Bühne herniederprasseln. Überzeugend die Auftritte des ältlichen Maitre Baldini, gekränkter entlassener Parfum-Meister am Pariser Hof, der den Damen peinliche Avancen macht; differenziert die Darstellung des Grenouille zwischen Selbstabwertung, Impulsivität und Aggression. Eine junge Adelige, die den Charakter Grenouilles durchschaut, spricht als Realistin aus, dass dieser den Düften diene: „Wir glauben, ein Selbst zu sein, und sind in Wahrheit nur Sklaven unserer Wollüste!“ Dass und wie das Duft-Genie schließlich über seine zur Abartigkeit missratene Fähigkeit stolpert, stellten die Schauspieler der Dramatischen Bühne Frankfurt überzeugend und mit großer Könnerschaft dar. Die herrlichen Kostüme trugen dazu bei, dass „Das Parfum“, ein Schlüsselwerk der Postmoderne, auf der Theaterbühne rundherum gelang.