„Mit starken Schwingen“ stellt sich eine Frau dem Leben

Gabriele von Lutzau steht in der Englischen Kirche inmitten der „Soulbirds“ , die jugendlichen Terroropfern gewidmet sind. Foto: Staffel

Bad Homburg (ks). „Mit starken Schwingen“ steht als Leitgedanke über der Ausstellung der Holzbildhauerin Gabriele von Lutzau in der Englischen Kirche, und solche starken Schwingen müssen es auch sein, die die Künstlerin durch das Leben tragen. Mit Anfang zwanzig überlebte sie als Stewardess auf der „Landshut“ zusammen mit anderen die fünftägige Geiselnahme palästinensischer Terrorristen und hatte noch die Stärke, den Mitleidenden Trost zu spenden und Mut zu machen. Dafür wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und mit dem Ehrentitel „Engel von Mogadischu“ geehrt, der sie bis heute begleitet. Das Ehepaar hatte später einen schweren Unfall, bei dem ihre rechte Hand zertrümmert wurde. Seitdem kann sie nur noch mit der elektrischen kleinen Säge arbeiten, und erst kürzlich hat Gabriele von Lutzau eine schwere Erkrankung überstanden. Aber sie lasse sich nicht unterkriegen, denn die Kunst helfe ihr über viele Widrigkeiten hinweg. „Auch diese Ausstellung tut mir gut. Die habe ich gebraucht“, bekannte sie. Ihre Kunst kommt gut an, und sie hat bereits einige Objekte verkaufen können

Gabriele von Lutzau ist inzwischen 35 Jahre erfolgreich künstlerisch aktiv, und diese Jahrzehnte stehen eigentlich in keinem Verhältnis zu den zweieinhalb Jahren als Flugbegleiterin bei der Lufthansa. „Ich möchte heute lieber als Künstlerin wahrgenommen werden, die ihre Arbeiten in Museen wiederfindet“, sagte sie, aber Mogadischu klebt fester an ihr. Damit habe sie sich abgefunden. Und so ganz ist sie die Traumata auch nicht losgeworden, die in ihrer Seele schlummern und sich in der Kunst Ausdruck verschaffen. „Traumata kann man auch erben“, ist sie sicher, wie sie überhaupt an Dinge glaubt, die außerhalb des rational Erfassbaren liegen. „Ich denke mit der Seele. Das fließt in meine Kunst mit ein. Ich plane nicht, mache keine Vorgaben, sondern lasse mich überraschen“. Die vielen halben Flügel stehen für „Freiheit und Aufbruch“, und auch für Hoffnung und für den Glauben an das Gute in dieser Welt.

Das gilt auch für Arbeiten, „die im Schatten von Buchenwald“ entstanden sind. Einer diese einzelnen Flügel ist dem Schicksal der vielen Toten im einstigen Konzentrationslager gewidmet und hat die Bad Homburger Besucherin Inge Marziniak so berührt, dass diese dazu eine Art „Haiku“ verfasst hat, das wir mit ihrer Erlaubnis abdrucken. Die aufgereihten kleineren Flügel, die die Künstlerin auch „Fiederungen“ nennt, nehmen das Thema auf seltsam berührende Weise ebenfalls auf. Den Vorschlag, sie auf einem Stock aufzureihen, hatte ein neunjähriger Junge gemacht. Als er nach dem Warum gefragt wurde, antwortete er: „Einer musste es doch tun“. Die Künstlerin hat diese Antwort als „ wunderbares Geschenk“ empfunden. Sie nannte das Objekt „Chasing Waterfalls“ nach einem Song, in dem gerade davon abgeraten wird, Wasserfällen nachzujagen, sondern auf das feste, sichere Ufer zu vertrauen.

Auf anrührende Art „beseelt“

Das Holz für ihre Arbeiten findet Gabriele von Lutzau manchmal sogar im eigenen Garten im Odenwald, wohin die kleine Familie einst der Kinder wegen gezogen ist. Jetzt sind Sohn und Tochter längst erwachsen, und es gibt bereits ein Enkelkind, das zurzeit mit Papa und Opa in Neuseeland unterwegs ist.

Sie selbst befinde sich gerade in einem Zustand, in dem sie die kunstvoll geschwärzten Objekte nicht mehr ertrage. „Meine Seele braucht Licht“, gestand sie. Deshalb fallen die zwei weißen Kunstwerke, die der Ausstellung ihren Titel gaben, besonders auf. Das bedeute vielleicht den Aufbruch in eine neue Phase, eine Weiterentwicklung“, vermutetet die Künstlerin, der „staatsbürgerliche Verantwortung mit entsprechenden Pflichten“ wichtig ist. Das lebt sie bis heute vor und bleibt auch in ihrer Kunst nahe an Phänomenen der Zeit. Das bestätigen auch die vielen „Soulbirds“ in der Apsis. Diese langbeinigen eigenartigen „Seelenvögel“ sind den jugendlichen Opfern gewidmet, die bei dem Anschlag auf ein Jugendcamp auf der norwegischen Insel Utoya getötet wurden. Sie verstärken den Eindruck, dass Gabriele von Lutzaus Kunstwerke auf anrührende Art „beseelt“ sind.

!Die Ausstellung in der Englischen Kirche, Ferdinandstraße 16, ist noch bis Sonntag, 28. Juli zu sehen und Donnerstag und Freitag von 16 bis 19 Uhr sowie am Samstag und Sonntag von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Die Künstlerin ist anwesend und freut sich über Besucher.

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