Stolpersteine helfen, Erinnerung und Neuanfang zu verbinden

Künstler Gunter Demnig verlegt die Stolpersteine für die ermordeten fünf Bewohner des Hauses Louisenstraße 23: Louise und Thekla Dinkelspühler, Minna Dörnberg sowie Frieda und Hedwig Sandberg. Foto: fch

Bad Homburg (fch). Mitten auf der geschäftigen Louisenstraße reflektieren 13 neue Stolpersteine das Sonnenlicht. Sie vergrößern das weltweit größte Denkmal. Doch viel wichtiger als dies ist, dass die von der Initiative Stolpersteine durch Künstler Gunter Demnig verlegten Steine „noch einmal den Menschen in den Mittelpunkt rücken und die Erinnerung an ihn wachhalten“, wie Stadträtin Lucia Lewalter-Schoor, die zugleich Schatzmeisterin der Initiative ist, betonte.

Das tragische Schicksal jüdischer Bewohner in der NS-Zeit vor dem Vergessen zu bewahren, ist ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungs- und Mahnkultur. Bereits zum fünften Mal erinnerte die Initiative mit der Verlegung an das Schicksal und Leiden der Bürger jüdischen Glaubens zur Zeit des Nationalsozialismus. Die Stolpersteine machen auf das Leid der Menschen aufmerksam, rücken es in den Blickpunkt. Nachdem die Aktion im vergangenen Jahr aufgrund der Corona-Pandemie aussetzen musste, freute sich Wolfram Juretzek, der Vorsitzende der Initiative Stolpersteine, über das Interesse und die große Teilnahme an der Verlegung einen Tag vor dem jüdischen Neujahrsfest.

Er wies daraufhin, dass „dieses Jahr die Verlegung mitten im Geschäftszentrum stattfindet. Jüdische Geschäftsinhaber wurden so lange gedemütigt und entrechtet, bis sie ihre Geschäfte verkauften“. Mit Anzeigen zur „Geschäftsübernahme“ und der „Eröffnung als deutsches Geschäft“ bringen die Nazis „der verehrten Einwohnerschaft von Bad Homburg und Umgebung“ den Kauf jüdischer Geschäfte durch Deutsche zur Kenntnis.

Mit Blick auf die zahlreichen Schüler aus der Humboldtschule, der Gesamtschule am Gluckenstein und der Maria-Ward-Schule lobte Vorsitzender Juretzek: „Wunderbar, wie fünf Jahre lang die Homburger Schüler vorbereitet durch die Lehrkräfte, die Schicksale, die durch die Stolpersteine repräsentiert werden, wachhalten.“ Zudem pflegten die Jugendlichen zwei Mal im Jahr die Stolpersteine vor den ehemaligen Wohnhäusern der Vertriebenen, Entrechteten, Gedemütigten, Gequälten, Deportierten, Gefangenen, Erschossenen, Hingerichteten und/oder Vergasten, um die Inschriften lesbar zu erhalten. Jede Inschrift beginnt „Hier wohnte…“, dann folgen Namen und wichtige Daten. Jeder verlegte Stolperstein wird mit einer weißen Rose geschmückt. Die neuen Stolpersteine erinnern vor dem Haus Louisenstraße 23 an das Schicksal von fünf jüdischen Bewohnern, von denen nur eine, Louise Dinkelspühler durch Flucht mit der Queen Mary nach New York, den Terror überlebte. Thekla Dinkelspühler, Minna Dörnberg sowie Frieda und Hedwig Sandberg verloren ihr Leben.

In der Louisenstraße 10 bis 12 erinnern zwei Stolpersteine an das Schicksal von Emma und Richard Solling. In der Louisenstraße 40 befand sich einst Wohnung und Geschäft von Rudolf und Rosa Riess, geborene Lewy. In der Louisenstraße 46 befanden sich bis 1933 das Manufakturwarengeschäft und die Wohnung von Rosa Kahn und ihren Kindern Fritz, Max und Ernst. Den Holocaust als Hilfsarbeiter in Australien überlebte nur Ernst Kahn im Gegensatz zu seiner Mutter und seinen beiden Brüdern. Bevor Imrich Donath jeweils ein kurzes Gebet auf Hebräisch sprach, betonte er: „Mit den Steinen erhalten die Toten ihre Würde zurück.“

Vor der Verlegung der Stolpersteine hatten sich Organisatoren, Politiker und Teilnehmer auf dem Marktplatz versammelt. Musikalisch umrahmt wurde der Auftakt der fünften Bad Homburger Stolpersteinverlegung vom Frankfurter Streichertrio „Mara“. Geigerin Cornelia Ilg, Pilar Carvajal an der Viola und Cellistin Stefanie Mehnert spielen vorwiegend Literatur des 20. Jahrhunderts, insbesondere Werke jüdischer Komponisten.

Bürgermeister Dr. Oliver Jedynak sprach in seinem Grußwort von der Aufgabe und der Pflicht zu erinnern. Vor allem die junge Generation müsse das Thema aufgreifen. Die Stolperstein-Aktion trage dazu bei, Erinnerung und Neuanfang zu verbinden. Alle Redner sagten, dass es eine wichtige Aufgabe der Schüler und ihrer Altersgenossen ist, den „Staffelstab der Erinnerung von der Kriegskinder- und Enkelgeneration langsam aber sicher an diejenigen weiterzureichen, die kaum mehr die Möglichkeit haben, sich mit Zeitzeugen dieses dunkelsten Kapitels der Deutschen, und eben auch der Homburger, auszutauschen“.

Das Unrecht an den jüdischen Bürgern Bad Homburgs fand „in der Mitte der Stadt, in der Mitte der Gesellschaft“ vor aller Augen statt. Pfarrer Andreas Hannemann von der evangelischen Erlöserkirche appellierte an die Schüler angesichts von Antisemitismus und Rassismus, die bis heute in der Gesellschaft präsent sind, mutig zu sein und Fake-News und Unwahrheiten in den sozialen Netzwerken und Foren zu widersprechen. Wolfram Juretzek ist optimistisch, dass im kommenden Jahr die nächsten Stolpersteine verlegt werden können. Dann auch wieder mit Nachfahren Überlebenden als Gäste.

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