Tyrannische Väter wie Otto gibt es auch in anderen Familien

Im vergangenen Jahr überreichte Stadtverordnetenvorsteher Dana von Suffrin den Hölderlin-Förderpreis. Foto: Archiv

Bad Homburg (ks). Dieser „Otto“, von der Autorin und Förderpreisträgerin 2020 Dana von Suffrin ins Leben gerufen, ist ein schwieriger Mensch und despotischer Vater, der seine „Befehle“ in „eine schöne Bitte“ verpackt. Nach einem Schlaganfall liegt er im Krankenhaus, doch kaum hat er die Sprache wiedergefunden, ist er wieder der alte Tyrann. Er verlangt von seinen Töchtern, dass sie ihn jeden Tag besuchen. Denn Otto, dem Juden mit Wurzeln in Siebenbürgen, geht die Familie über alles. Da kommen andere, insbesondere nichtjüdische Menschen, nicht mit. Und er ist stolz auf seine Wurzeln in Kronstadt, wo die Vorfahren in der K.-u.-k.-Monarchie Österreich gedient haben. Die Adressen der Freunde aus Siebenbürgen hat er sorgfältig in seinem Adressbuch notiert.

Es ist seltsam: Nach der Lesung von Dana von Suffrin aus ihrem Roman „Otto“ in der Stadtbibliothek ist einem dieser pensionierte Diplom-Ingenieur sehr vertraut und trotz seiner „Macken“ nicht unsympathisch. Tyrannische Väter gibt es auch anderswo. Und dass die Familie von Otto, seiner zweiten Frau und seinen Töchtern Timna und Babi ein wenig „meschugge“ ist, was soll’s? „Jahrelang dacht ich, meine Familie sei normal, bis mir mein Freund das Gegenteil bewiesen hat“, sagt Timna. Aber „Verrückte“ und Chaoten kommen auch in anderen Familien vor. Was also ist so besonders an Otto und den Seinen?

Er ist Jude, 1938 geboren, hat die Shoa überlebt, ist 1962 nach Israel ausgewandert und wieder zurückgekehrt, „ausgerechnet nach Deutschland“ wie andere Juden auch. Kulturelle Bande und eine gemeinsame „Muttersprache“ lassen sich nicht so schnell über Bord werfen. Das haben Menschen immer wieder bestätigt, die zur Emigration gezwungen wurden. Die Verbundenheit mit Familienmitgliedern, mit Freunden und Orten scheint langfristig stärker und „wesentlicher“ zu sein als alles persönliche Unrecht, aller Horror, der damit verbunden ist. Das ist eine Erkenntnis, auf die sich dieser Debüt-Roman stützt.

Für ihre Geschichte von Otto ist Dana von Suffrin in die Rolle seiner Tochter Timna geschlüpft. Wie sie selbst ist diese eine promovierte Philosophin, die biographische Hinweise der Autorin mit deren freier Fabulierkunst vereint. Es geht nicht besonders dramatisch zu, es sind eher die kleinen Begebenheiten des Alltags, der Zoff um Nichtigkeiten, die aufgebauscht werden und sich verselbstständigen, Erfahrungen, die jeder Erwachsene gemacht hat.

Auch das ist keinesfalls „typisch jüdisch“, sondern „typisch menschlich“ in einer Familie oder Gemeinschaft unseres Kulturkreises. Aber Otto besteht darauf, dass „seine Geschichte“ ebenso erzählt wird wie die einer untergegangenen Kultur, die nicht vergessen werden sollte. Aber bitte ohne Lamoryanz: „Es ist wie es ist, darum geht die Dinge ruhig an, so, wie es sein soll“, rät Otto. Und die Autorin hat sich daran gehalten und ihrer lockeren und anschaulichen Erzählweise genügend Humor beigemischt.

In der anschließenden Diskussion wurden der Autorin in der im Corona-Modus gut besuchten Stadtbibliothek auch persönliche Fragen gestellt, die Dana von Suffrin locker und heiter beantwortete. Es sei ein bisschen aus der Mode gekommen, eine Geschichte von heute zu schreiben, sagte sie . Aber gerade das habe sie gereizt. Auch im Hinblick auf die Erfahrungen des eigenen Vaters. Vielleicht hatte auch dieser, wie Otto, immer ein Täschchen mit den wichtigsten Papieren dabei, „falls wir wieder deportiert werden“. Das wiederum steht für jüdisches Schicksal, das keiner freiwillig teilen möchte.

Dana von Suffrin hat ihren Aufenthalt in der Villa Wertheimber vorzeitig abgebrochen. Dort ist es in Corona-Zeiten besonders ruhig und einsam. Immerhin konnte sie sich mit Büchern aus der Bibliothek trösten, die dort zur Zeit deponiert sind. Auch der Hausmeister sei sehr hilfreich gewesen, berichtete sie. Aber je nach dem, was man als Gastgeber und Gast voneinander erwartet, stellt sich die Frage, ob es eine glückliche Idee war, die „Hölderlin-Wohnung“ als Gastresidenz dort unterzubringen, zumal, wenn die Gäste nur das Fahrrad benutzen.



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