Unterwegs in anrüchigen Berliner Amüsierschuppen

„Die Damen und Herren Daffke“ begeistern mit Schlagern aus den 1920er-Jahren ebenso wie mit Liedern aus dem Exil und politischen Chansons ihr Publikum. Foto: fch

Bad Homburg (fch). Mit dem Slogan „Raus aus dem Korsett, rein ins Charlestonkleid“ nahmen „Die Damen und Herren Daffke“ ihr Publikum in der Englischen Kirche mit auf eine musikalische Zeitreise ins Berlin der 1920er- bis 1940er-Jahre. In der Hauptstadt spielte sich in den berühmt-berüchtigten Zwanzigern das Leben nachts in anrüchigen Amüsierschuppen ab. Dort wurde bei schlüpfrigen Schlagern und wilden Tänzen an Absinth seligen Abenden kräftig gefeiert.

„Ideal und Wirklichkeit“ wie in Kurt Tucholskys bekanntem, von Hanns Eisler vertontem und der Daffke-Gruppe gesungenem Gedicht gingen in den schummrigen Etablissements trügerische Beziehungen ein. Musik, Texte und Kleidung der Künstler ließen die Atmosphäre einer Kneipe oder eines Cafés im Berlin der Zeit vor, in und nach der Nazidiktatur erahnen. Da ertönten zum unverkennbaren Duft der „L’heure bleue“ (Spoliansky) die „Stoßseufzer einer Dame in bewegter Nacht“ (Hollaender/Tucholsky) zur klaren Ansage „Baby, wenn du unartig bist“ (Spoliansky/ Schiffer) unterlegt mit den Klängen des „Kitschtango“ (Hollaender) durch die Luft. Gleich nebenan lustwandelte „Die zersägte Dame“ ungeniert neben der „Kleptomanin“ durch die Lokale.

Der überdrehten Unterhaltungsmusik der 1920er-Jahre stellte die Gruppe politische Lieder wie „Der Spuk persönlich“ aus dem Jahr 1931, in dem Friedrich Holländer über Hitler spottete und Chansons aus dem Exil wie „Hotelzimmer 1942“, „Über den Selbstmord“ oder „Und ich werde nicht mehr sehen“ (alle Eisler/Brecht) gegenüber. Singend und tanzend verkündeten Friederike Kühl, Franziska Hiller, Dennis Kuhfeld und Markus Paul am Piano begleitet von Ilan Bendahan einen Abend lang gekonnt, „Es liegt in der Luft“ (Spoliansky/Schiffer). Zu Gehör gebracht wurden auch die „Ballade zum §218“, die „Ballade von der Judenhure Marie Sanders“ (beide Eisler/Brecht) oder Informationen „Über die Bezeichnung Emigranten“ (Brecht).

Ob leichte Muse, Hinweis auf Missstände oder politisches Bekenntnis, eines haben alle Lieder und Chansons gemeinsam: Sie erzählen bewegende Geschichten von Flucht, Vertreibung und Identitätssuche. Dabei verlieren sie nie die Hoffnung aus dem Blick („Eine kleine Sehnsucht“ von Hollaender), das Glück „Irgendwo auf der Welt“ (Heymann/Gilbert) und die Menschlichkeit „Reich’ mir zum Abschied noch einmal die Hände“ (Abraham/Grünwald/Löhner-Beda).

„Ich bin ein Vamp!“

Immer wieder gelang es der munteren Truppe mal ergreifend, mal elegant die Türen zu den verborgenen Amüsierschuppen des Berlins der 20er-Jahre sowie der folgenden Angst und Einsamkeit „An den kleinen Radioapparat“ (Eisler/Brecht) von Flucht, Exil und Internierung aufzustoßen. Auch die Identitätssuche in unruhigen Zeiten „Ich bin ein Vamp!“ (Spoliansky), „La bella Tagolita“ (Abraham/Grünwald/Löhner-Beda) oder „Die Dorfschöne“ (Heymann/Tucholsky) fehlten nicht. Am Ende waren sich alle sicher: „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder!“ Den Künstlern gelang es, ein differenziertes Bild der Zeit von den Goldenen Zwanzigern bis zu den Kriegsjahren zu vermitteln. Und sie informierten darüber, woher der Name Daffke kommt: „Das Wort stammt aus dem Jiddischen und bedeutet, etwas aus Trotz, nur zum Spaß oder aus Eigensinn zu tun. Das gefiel den Berlinern: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand das Wort Eingang in die Berliner Mundart, und es hat auch uns überzeugt.“



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