Bad Homburg (hw). „Sie gestand, dass sie eine Zauberin sei, in des Teufels Namen getauft worden sei und mit diesem Unzucht und Hurerei getrieben, andere Menschen und Vieh grausam ermordet und Früchten Schaden zugefügt habe“: Als der Bad Homburger Heimatforscher Heinz Humpert vor einigen Jahren begann, sich im Zuge seiner Genealogie-Forschung mit dem Thema Hexenverfolgung zu befassen, stieß er auch auf das Schicksal der Gertrude Lorey, Tochter des Gonzenheimer Schulmeisters Conrad Peter Lorey, einer Mutter von acht Kindern im Alter zwischen vier und 21 Jahren. Dass sie am 20. Oktober 1654 als „Hexe“ verurteilt und hingerichtet worden war und im Stammbaum seiner eigenen Frau, Waltraud Humpert geb. Fritzel, auftauchte, ließ Heinz Humpert keine Ruhe. Er fuhr ins Hessische Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden und begann dort, die alten Prozessakten der Gonzenheimer „Hexen“ zu durchforsten. „Mir wurde immer mulmiger, als mir klar wurde, wer da alles hingerichtet worden war“, sagt Humpert.
Einige Jahre lang dauerte es, bis der Heimatforscher das Ausmaß der systematischen Massentötung sogenannter Hexen und Hexer im 17. Jahrhundert in seiner unmittelbaren Umgebung aufgedeckt hatte. In der Landgrafschaft Hessen-Homburg, die außer der Kernstadt Homburg als Gerichtsort auch Köppern, Seulberg, Gonzenheim und Oberstedten umfasste, waren zwischen dem ersten aktenkundigen Prozess 1584 und dem letzten im Jahr 1656 in der Landgrafschaft 110 Menschen angeklagt und mindestens 61 Frauen und 14 Männer hingerichtet worden. Humpert las das Buch „Homburger Hexenjagd oder Wann ist morgen?“ der Friedrichsdorfer Geschichtsforscherin und Schriftstellerin Dagmar Scherf, die das Thema bereits einmal aufgegriffen hatte, und begann, die im Hauptstaatsarchiv vorhandenen Gerichtsakten aus der Zeit von 1652 bis 1656 – die Zeit, in der die meisten Menschen in der Landgrafschaft nach Hexenprozessen verurteilt und hingerichtet worden waren – den Familien zuzuordnen, die er aus seiner umfangreichen Genealogie-Forschung bereits kannte. „In Gonzenheim, damals noch selbständiger Ort mit etwa 50 Haushaltungen, waren es allein neun Fälle“, in Homburg seien 31 und in Seulberg 30 Fälle aktenkundig, erzählt Humpert.
Er zeigt die Kopie des handschriftlichen Urteils vom 20. Oktober 1654, in dem Gertrud Lorey zum Tod durch Hinrichtung mit dem Schwert verurteilt wurde. Er fand auch den Antrag von Conrad Lorey, seine Frau vor der Verbrennung nach der Hinrichtung zu bewahren und – zwar kopflos – leiblich beerdigen zu dürfen. „Dafür musste der kinderreiche Schulmeister als Gegenleistung 20 Gulden an die Schule von Homburg und zehn Gulden an die Gonzenheimer Kirche zahlen. Wie er wurden viele Angehörige von ‚Hexen‘ dadurch in bittere Armut gestoßen.“ Nach ihrem gewaltsamen Tod blieben Schulmeister Lorey und die acht Kinder im Haus in Alt Gonzenheim 20 mutterseelenallein zurück. „Das ist das Haus, in dem meine Frau und ich heute wohnen.“
Die hysterische Verfolgung und Massentötung von „Hexen“ hatte Ende des 15. Jahrhunderts in Westeuropa begonnen, die meisten Opfer gab es zwischen 1560 und 1660. Die Opfer waren fast alles „brave Christen und angesehene Bürger. Nur die wenigsten gehörten gesellschaftlichen Randgruppen wie Gauklern, Spielleuten, Magiern oder fahrendem Volk an“, heißt es in Dagmar Scherfs Buch. In der Landgrafschaft Hessen-Homburg schwoll die Verfolgungswelle spät, aber umso heftiger an. Scherf nennt in ihrem Buch dafür zwei Hauptgründe.
Landgraf Wilhelm Christoph von Hessen-Homburg, der zugleich die Herrschaft in Bingenheim (Hessen-Darmstadt) erhalten hatte, überließ die heimischen Regierungsgeschäfte weitgehend seiner Mutter Landgräfin Margarethe Elisabeth. Da beide ein Reihe von persönlichen Schicksalsschlägen erlebten und die Häufung der Todesfälle in ihrer Familie offenbar für Teufelswerk hielten, hatten sie ein offenes Ohr für Bürger, die andere denunzierten. Außerdem sahen sie, dass die Hexenprozesse hervorragende Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Staatsanwälte, Richter, Folterknechte und Henker waren, ebenso wie für Schankwirte in Homburg, die auf Kosten der Angehörigen von Angeklagten während der Prozesse für die Bewirtung der Prozessbeteiligten sorgten. Zweiter Hauptgrund war die treibende Rolle des evangelischen Pfarrers von Seulberg damals, Christian Zahnius, der ab 1652 jede sogar aus Kindermund stammende blühende Fantasie-Geschichte über angeblich beobachtete „Zauberei“, „Teufelstaufe“ und andere damals begeisternde Schauergeschichten todernst nahm.
Pfarrer Zahnius bestellte die Kleinen ins Pfarrhaus und schickte Protokolle der Erzählungen an die Landgräfin. Aber auch einzelne Familien in Gonzenheim, Seulberg und Homburg schuldigten sich gegenseitig an. Heinz Humpert hielt nach Abschluss seiner Recherchen einen Vortrag vor den Landfrauen und beim Bachschusterfest des Geschichtlichen Arbeitskreises Gonzenheim über die Hexenverfolgung in Gonzenheim und Seulberg. Ihn interessierte besonders die Lage der Familien von Opfern. „Sie waren ärmer geworden, weil sie Prozess und Hinrichtung bezahlen mussten, außerdem litten sie unter übler Nachrede.“ Im alten Ortsteil von Seulberg stammen etwa 60 Prozent der Einwohner heute noch von der „Hexe Kitz“ ab. In Gonzenheim gab es nach dem Vortrag mit den detaillierten Namensnennungen und Schicksalen der Opfer großes Erstaunen: „Ach, du stammst auch von einer Hexe ab!“, hätten viele festgestellt, erzählt Heinz Humpert. Da es weder Briefe noch Zeugnisse noch schriftliche Hilferufe der Verurteilten damals gegeben habe, sei das Wissen über die Schicksale der Angehörigen bei den meisten Familien verloren gewesen. Seiner Frau Waltraud hätten Angehörige dann zum 70. Geburtstag einen Hexenbesen überreicht – „der steht jetzt bei uns im Hof und erinnert genau wie die Gedenktafel am Haus an ihre Vorfahrin Gertrud Lorey“, so Humpert.
Die Stadt hat im Jahr 2012 durch einen Stadtverordnetenbeschluss die in der Hexenverfolgung verurteilten und hingerichteten Bürger rehabilitiert und ihrerseits eine Gedenktafel am alten Rathausturm angebracht. Doch die grausamen Geschichten, die Heinz Humpert im Detail festgehalten hat, gehören seit dem Geschehen im 16. und 17. Jahrhundert zum Ortsgedächtnis und bleiben Mahnung für jede Form von Verblendung und Denunziantentum unter Menschen.