Von der Unterhose bis zum Gehrock

Sie haben Spaß beim Inventarisieren der vielen Objekte des Kirdorfer Heimatmuseums (v. l.): Ursula Stiehler, Ferdi Ernst, Stefan Ohmeis und Hans Leimeister. Foto: Bergner

Von Astrid Bergner

Bad Homburg. An den Fenstergriffen und den Vitrinen im ersten Stock des Kirdorfer Heimatmuseums hängen „Klamotten“: das Reiterkostüm einer Dame aus dem Jahr 1918, bestickte Priestergewänder, eine rosafarbene Corsage aus den 1930er-Jahren und vieles mehr. Textile Schätze aus längst vergangener Zeit.

Auf dem Tisch der kleinen Stube liegt ein geöffneter alter Lederkoffer, aus dem Unterwäsche quillt: lange Baumwoll-Unterhosen mit Spitze, Wäschestücke von 1880, viele mit Weißstickerei verziert. Ursula Stiehler, Kuratorin des seit 2006 existierenden Museums im alten Fachwerkhaus Am Kirchberg 41, stöbert begeistert in den textilen Schätzen und hält sich eine geknöpfte Unterhose aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs vor den Bauch. Hans Leimeister, Vorsitzender des Vereins Kirdorfer Heimatmuseum, legt einen „Vatermörder-Kragen“ um, Stefan Ohmeis vom Vorstand und Magazinwart Ferdi Ernst stülpen Hüte der früheren Firma Klös aus Kirdorf auf ihre Köpfe. Es wird viel gelacht derzeit im Heimatmuseum: Inventarisieren macht Spaß.

Eigentlich wollte der Verein eine Ausstellung zum Thema 100 Jahre Sportverein DJK Kirdorf aufbauen – aber die Corona-Pandemie machte einen Strich durch die Pläne. Deshalb beschlossen die Aktiven des Vereins, die Zwangspause zum Aufräumen der Magazine und Inventarisieren der Objekte zu nutzen. „Das Magazin auf dem Speicher des Museums war bis oben voller Textilien, die angrenzende Garage vollgestopft mit Materialien wie Hutformen und landwirtschaftlichen Geräten und der 2019 eingerichtete Magazinraum mit den Archivschränken im Kirdorfer Schwesternhaus auch schon wieder unübersichtlich“, sagt Hans Leimeister. Seit zehn Jahren schon führt Ferdi Ernst den Kampf gegen die Unübersichtlichkeit und digitalisiert nach und nach jedes einzelne Objekt, das vom Heimatmuseum erworben oder von Bürgern zur Verfügung gestellt wird. „Besonders interessant sind die alten Fotos, aber sie aufzubewahren, hat nur Sinn, wenn man vermerkt, was darauf zu sehen ist“, sagt der Magazinwart, der allein in diesem Jahr schon mehr als 100 Stunden ehrenamtliche Arbeit in die digitale Datei gesteckt hat. Rund 2400 Bilder und 900 Objekte sind bis jetzt erfasst, „aber das sind erst 50 Prozent des Bestandes“.

Vor einigen Jahren hatte der Verein das frühere Depot auf dem Dachboden der Ketteler-Francke-Schule aufgelöst. „Und immer wieder bekommen wir neue Objekte“, sagt Stefan Ohmeis. Die Sammel-Begeisterung sieht man den Heimatforschern an, aber Ordnung ist nun mal in einem Heimatmuseum mehr als das halbe Leben.

Mit Lavendel gegen Motten

Ursula Stiehler streicht über ein Herrenhemd aus Leinen, bevor sie aus einer Ecke einen kostbaren alten Sonnenschirm aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hervorzieht. Die Kuratorin vieler Ausstellungen hat sich in den vergangenen Monaten besonders mit den Textilien des Kirdorfer Heimatmuseums beschäftigt. Herren- und Damenkleidung holte sie aus den Truhen und Archivkästen auf dem Dachboden, begutachtete die Kleidung, stellte Beschädigungen fest, brachte an jedem Stück einen Pappanhänger mit roter Schnur an, auf dem sie eine Nummer notierte, die dann mit Beschreibung des Objekts im Computer erfasst wurde. „Wir wissen zum Glück, woher die Schenkungen der Kirdorfer Bürger genau kommen“, sagt sie.

Fertig ist Ursula Stiehler noch lange nicht. Immer wieder staunen und lachen die Aufräumenden über Dachbodenfunde. „Wir hatten im Hardtwald die Opernsängerin Erika Potter wohnen. Das Theaterkleid hier ist noch ganz neu“, erklärt Ferdi Ernst und zeigt auf ein grünseidenes langes Kleid. Ursula Stiehler präsentiert ein dazu gehörendes schwarzes Korsett mit Unterhemd und Tasche. Größere Textilien wie ein alter Chormantel des Kirdorfer Priesters, der bei Totenmessen auf dem Friedhof getragen wurde, oder Damenmäntel mit Samtkragen und besonderen Knöpfen – „die erwarb man früher bei Stötzer in der Louisenstraße“ – wandern nach der Inventarisierung jetzt ins Magazin im Schwesternhaus, „natürlich versehen mit Lavendel gegen Motten“, so Ursula Stiehler.

Viele der textilen Objekte sind schwarz. „Die Mode im Dorf war seit dem Jahr 1900 fast nur schwarz. Wenn eine Frau über 40 Jahre alt war, trug sie nichts Buntes mehr“, sagt Hans Leimeister. Auf schicke Accessoires achteten scheinbar früher besonders die Herren der Schöpfung. Hüte gab es in vielen Formen. Ohmeis holt einen Chapeau Claque aus der Vitrine.

„Auf der Kaiserin-Friedrich-Schule gab es einen Lehrer Wildgrube, der lief immer mit einem solchen Hut durch die Stadt.“ An vielen Kleidungsstücken hängt eine Geschichte, so auch am Gehrock aus dem 19. Jahrhundert, den der Kirdorfer Bürgermeister Raab trug, der die Eingemeindung des Dörfchens nach Bad Homburg durchzog und 1902 dann seinen Hut nahm, „weil er sich selbst überflüssig gemacht hatte“, lacht Stiehler. Das bestickte Weißzeug im Museum zeugt davon, dass die meisten Mädchen bis vor dem Zweiten Weltkrieg noch das Nähen im Schwesternhaus lernten.

Die mühsame Fleißarbeit, die Stefan Ohmeis, Hans Leimeister, Ferdi Ernst und Ursula Stiehler zur Zeit leisten, trägt zum Aufbau des kollektiven Gedächtnisses bei, das der Kirdorfer Geschichte und Bevölkerung zugute kommt. Ende August sollen die Magazine fertig aufgeräumt sein. Der Verein Kirdorfer Heimatmuseum, der 200 Mitglieder hat, hofft, im Herbst wieder eine Ausstellung präsentieren zu können.

!Auf der Internetseite www.museum-kirdorf.de können sich Interessierte über die Arbeit der Ehrenamtlichen und das Museum informieren.

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