Streuobstwiesen, Artenvielfalt und ein Kinoerlebnis der besonderen Art

Gertraud Jung und Dirk Feineisen, beide Mitglieder des OGV, hatten viel Wissen und Informationen über Streuobstwiesen mitgebracht. Im Hintergrund ist eine der Streuobstwiesen des Obst- und Gartenbauvereins Altenhain zu sehen. Fotos: Diehl

Altenhain (nd) – Am Samstag, den 27. September, konnte man in Altenhain einen Kinoabend der besonderen Art erleben. Im Rahmen der „Hessischen Dokumentarfilmtage“ lud der Obst- und Gartenbauverein Altenhain (OGV) zum Film „Die Wiese“ von Filmproduzent Jan Haft. Den Kontakt zwischen den Dokumentarfilmern und dem OGV hatte Christoph Schuch vom Landschaftspflegerverband Main-Taunus e. V. hergestellt. Ursprünglich sollte die Filmvorführung auf einer Streuobstwiese des Vereins stattfinden, doch aufgrund der kühleren Temperaturen wurde die Veranstaltung kurzerhand in die Kahlbachhalle verlegt. Der Strom für die Projektion wurde von den Besuchern selbst erzeugt. Mittels mehrerer Ergometer wurde Ökostrom erstrampelt. Zuvor gab es für die Besucher eine interessante Führung zu einer der Streuobstwiesen des OGV.

Die Hessischen Dokumentarfilmtage

Die Hessischen Dokumentarfilmtage fanden in diesem Jahr bereits zum sechsten Mal statt. Überall in Hessen wurden an außergewöhnlichen Orten Filme gezeigt. Über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen war dabei ausdrücklich erwünscht. Themen wie Umweltschutz, Demokratiewahrung und viele weitere gesellschaftspolitische Themen standen auf der Agenda. Die Hessischen Dokumentarfilmtage wurden erstmalig im Jahr 2020 ausgerichtet, inzwischen finden bundesweit die LETsDOK-Aktionswochen nach hessischem Vorbild statt. „Wir freuen uns, Sie heute hier begrüßen zu dürfen“, eröffnete Melanie Gärtner den Abend. Sie ist als Filmemacherin und Autorin tätig und gehört zu den Akteuren der Hessischen Dokumentarfilmtage.

Das Biotop Streuobstwiese

Nach einem kleinen Fußmarsch kamen die Besucher an der Streuobstwiese „Am Gräben“ an. Das Grundstück gehört der Stadt Bad Soden und wird vom OGV gepflegt. Ungewöhnlich ist die Größe des Areals, denn aufgrund von Erbenaufteilung sind Streuobstwiesen oft kleiner. Teilweise hat jede Obstbaumreihe einen anderen Besitzer. Im Gegensatz zur intensiven Bewirtschaftung eines Ackers werden Streuobstwiesen extensiv bewirtschaftet. Die Bäume werden einmal im Jahr beschnitten und die Wiese einmalig im Hochsommer gemäht – den Rest übernimmt die Natur. Durch den Beschnitt erreichen die Bäume ein höheres Alter und die Früchte werden größer. Aus diesen stellt der OGV hauptsächlich „Ebbelwoi“ her, Hessens flüssiges Gold, der dann beispielsweise bei der Altenhainer Kerb ausgeschenkt wird. Auf den Wiesen findet man echte Raritäten. „Hier wachsen ganz normale Wiesenblumen. Diese werden immer seltener“, erklärte Gertraud Jung, Schriftführerin des OGV. Zu den typischen Wiesenpflanzen gehören Klee, Braunelle, Klappertopf und auch die Brennnessel – eine der wichtigsten Nahrungspflanzen für Schmetterlingsraupen.

Schwindende Schönheit

„An den Streuobstwiesen sieht man das ganze Dilemma“, so Dirk Feineisen, Beisitzer des OGV. Die alten Bäume sind langsam an ihrem Lebensende angekommen und es fehlen junge Bäume, die gleichzeitig schon alt genug sind, um zu tragen. Bis in die 1960er Jahre wurden viele gesunde Obstbäume gefällt, denn es gab Rodungsprämien. Das führte zu einem Verlust von 90 Prozent der Obstbaumbestände. Im Jahr 2021 wurde der Obstanbau in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Auch in Hessen sollen Streuobstwiesen erhalten oder wiederhergestellt werden – dafür kann man Zuschüsse beim Land beantragen. Doch auch wenn heute neue Bäume gepflanzt werden, so ist es eher ein langfristiges Projekt. Bis ein Obstbaum große Mengen an Früchten trägt, vergehen Jahrzehnte – ein wahres Generationenprojekt. Je nach Art des Baumes hat dieser eine Lebenserwartung von hundert Jahren. Hinzu kommt, dass nicht alle Obstsorten mit den wärmeren Sommern klarkommen. Die Apfelsorte „Goldparmäne“ gehört zu den Verlierern der veränderten Bedingungen, während Walnüsse, Birnen und Quitten höhere Temperaturen gut vertragen. „Ich empfehle das Buch ,Gestaltung von Landschaftsobstbäumen’ von Josef Weimer“, riet Dirk Feineisen.

Artenreichtum ist gigantisch

„Bezüglich der Artenvielfalt ist nur die Auenlandschaft wertvoller als die Streuobstwiese“, so Feineisen. Zahlreiche Tiere finden hier ihren Lebensraum und ihre Nahrungsgrundlage. Es sind zwischen 2.000 und 5.000 Tierarten, die hier ein Fundament für das Überleben haben. Darunter finden sich Steinkäuze, verschiedene Eidechsenarten, Mauswiesel und natürlich Hunderte von Insekten-, Spinnen- und Weichtierarten.

Auch ein weiterer Bewohner, der früher schon fast symbolisch für den Herbst stand, bewohnt das Habitat Streuobstwiese – der Igel. Der Straßenverkehr, Mähroboter, aber auch der Verlust von Lebensraum lassen den kleinen Stachelsäuger immer seltener werden. Inzwischen ist er vom Aussterben bedroht. Hier zeigt sich ein weiteres Problem; die Streuobstwiesen müssten untereinander verbunden sein und nicht so isoliert, wie sie es meist sind.

Bevor es zum Filmschauen in die Kahlbachhalle ging, hörte man einen Turmfalken von einem der Obstbäume rufen, fast als wollte er unterstreichen, was die Besucher eben erfahren hatten.

Informationen und Film in der Kahlbachhalle

In der Kahlbachhalle hatte Christoph Schuch vom Landschaftspflegeverband Main-Taunus einen Infostand aufgebaut. Mitgebracht hatte er unter anderem den „Apfelboten“, das offizielle Magazin der Hessischen Apfelwein- und Obstwiesenroute. Außerdem lud Schuch zum Mistelfest am 1. November am Wasserschloss in Hofheim. Der Landschaftspflegeverband Main-Taunus hat viele interessante Angebote im Programm, darunter eine Streuobstwiesenbörse und Fortbildungen zum Baumwart. Weitere Informationen unter: www.streuobst-mtk.de

Nun wurde es aber endgültig Zeit, auf die fünf Ergometer des Film- und Kinobüros Hessen e.V. zu steigen. Dazu gab es ein leckeres Glas „Ebbelwoi“, natürlich von den Streuobstwiesen des OGV. Der Film „Die Wiese – Ein Paradies nebenan“ erschien im Jahr 2019 und zeigt das vielfältige Habitat in all seinen Facetten.

Vom Rehkitz bis hin zur winzigen Zikade – sie alle finden dort ihren Lebensraum. Jan Haft zählt zu den renommiertesten Naturfilmern in Deutschland. Neben der Artenvielfalt zeigt Haft in seinem Film auch, was geschieht, wenn eine Wiese umgebrochen wird. Viele der ursprünglichen Wiesen sind heute Ackerland oder Grünland für Viehfutter.

Dort wachsen fast nur noch Gräser, andere Wildpflanzen haben hier keine Chance. Im September 2020 wurde „Die Wiese“ mit dem Horst-Stern-Preis als „bester Naturfilm“ des Umwelt- und Naturfilmfestivals Ökofilmtour ausgezeichnet.

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