Bad Soden war in aller Munde: Die wechselhafte Geschichte der Sodener Mineral – Pastillen

Bad Soden (sw) – Ein Produkt, das „gegen Grippe und Hustenreiz schützen“ soll, und dazu beim Lutschen noch „desinfizierende Wirkung“ hat, wäre in den vergangenen 18 Monaten wohl der Verkaufsschlager gewesen. Die Werbung der „Echten“ oder „Ächten Sodener Mineral-Pastillen“ versprach genau das.

Der Architekt und ehemalige Erste Stadtrat, Günter Menze, hat zur Geschichte dieses besonderen Lutschvergnügens nun ein interessantes Buch verfasst, in dem es auch jede Menge Skurriles zu entdecken gibt.

1886 wanderten in Bad Soden die ersten weißen Pastillen in bunte Blechschachteln, von denen 1887 bereits 792.000 Stück produziert wurden, und ihren Weg weit über Hessens Grenzen hinaus fanden.

Das ausgehende 19. Jahrhundert mit seinen bahnbrechenden, zum Teil heute aber auch grotesk anmutenden technischen Erfindungen im Kurbereich, hat es Menze besonders angetan, der bereits ein umfangreiches Werk zum Thema „Inhalatorien in Bad Soden“ verfasst hat.

„Es war die große Zeit der Lungenerkrankungen“, erzählt er im Gespräch mit der „Bad Sodener Woche“. „Die Tuberkulose war noch nicht besiegt und die zunehmende industrielle Produktion in Chemie und Bergbau führte dazu, dass Erkrankungen der Lunge zu den häufigsten Berufskrankheiten gehörten.“ Alles, was Abhilfe gegen ein Kratzen im Hals versprach, fand reißenden Absatz.

Im rund hundert Kilometer entfernten Bad Ems, das bis 1866 wie Soden zum ehemaligen Herzogtum Nassau gehört hatte, war bereits 1858 damit begonnen worden, aus Salz und Zucker die begehrten Pastillen zu pressen.

Dabei machte man im wahrsten Sinne des Wortes „Dreck zu Gold“, denn das Mineralsalzpulver war ursprünglich ein „Abfallprodukt“, das in den Inhalatorien anfiel. Der Geschmack kam gut an, und bald war die Emser Pastille ein Kassenrenner.

Im Jahr 1884 bekam auch Bad Soden ein neues Inhalatorium, das heutige „Medico Palais“ in der Parkstraße. Wer genau die Idee hatte, auch in Soden Pastillen zu produzieren, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Was Günter Menze dabei wundert ist die Tatsache, dass die ersten Unternehmer Fay und Morgenstern gar nicht aus der Quellenstadt stammten, und selbst weder medizinischen noch pharmazeutischen Hintergrund hatten.

Vielleicht schossen sie auch deshalb bei ihrem anfänglichen Marketingkonzept ein wenig übers Ziel hinaus: Sie priesen die Sodener Pastillen als Heilmittel nicht nur gegen Erkrankungen der oberen Atemwege, sondern auch gegen Lungen- und Kehlkopfmalaisen sowie als „Vorbeugungsmittel gegen die Ansteckung mit Diphtherie“ an.

So viel Euphorie in eigener Sache, rief das Großherzogliche Polizeiamt Darmstadt auf den Plan, das eine Analyse des Produktes in Auftrag gab. Bei dieser kam heraus, dass die „Aechten Sodener Mineral-Pastillen“ aus „einem Teil Kochsalz“ und „neunzehn Teilen Zucker“ bestünden. Neben der „marktschreierischen Werbung“ wurde von der Behörde auch der „viel zu hohe“ Preis moniert: Der Wert eines Schächtelchens betrage höchstens 20 Pfennige, abgegeben würden die Schachteln aber für 85 Pfennige.

Diese offensichtlich hohe Gewinnspanne lockte weitere Produzenten an. Im Bad Sodener Stadtmuseum, das sich im ehemaligen Badehaus im Alten Kurpark befindet, sind die Packungen und Werbungen der Firmen Fay& Morgenstern, Wahlkampf und Schutt ausgestellt, die im 19. Jahrhundert ebenfalls in das Pastillen Business einstiegen.

Material für seine umfangreiche Recherche fand Menze, der bereits mehrere Bücher zu historischen Sodener Themen publiziert hat und Mitglied im Geschichtsverein ist, vor allem im Bad Sodener Stadtarchiv. Leiterin, Dr. Christiane Schalles, die sowohl für das Stadtmuseum als auch für das Stadtarchiv verantwortlich ist, kennt Günter Menze schon lange: „Ich bin jetzt seit zehn Jahren hier, und so lange kenne ich ihn auch. Er ist ein sehr häufiger Gast bei uns im Haus.“

Menze konnte in seinem reich bebilderten Buch nachweisen, dass es mehr als einmal zu Streit zwischen den Pastillen Unternehmern und der Stadt um das Nutzungsrecht der Quellen kam. Dabei profitierte die Stadt eigentlich doppelt von jeder Pastillendose, denn die Unternehmer mussten von jeder verkauften Schachtel einen Betrag an die Stadt zahlen. Außerdem wurde jeder Packung ein Werbezettel der Kurstadt beigelegt, der weitere Gäste anlocken sollte.

„Fay´s ächte Sodener Mineral-Pastillen” beschritten werbetechnisch in der Folgezeit neue, sehr offensive Wege: Berühmten Persönlichkeiten aus Adel, Politik und von der Bühne wurden in großem Stil Pastillen zugesandt und ihre Danksagungen von der Brunnenverwaltung in einem aufwendig gestalteten Album publiziert. Auch August Bebel, einer der Väter der Sozialdemokratie, ließ sich von den Pastillenherstellern umwerben.

Doch trotz der verschiedensten Maßnahmen: So populär wie die Konkurrenz aus Bad Ems wurden die Sodener Mineral-Pastillen nie.

Günter Menze beschreibt in seinem lesenswerten Buch die wechselhafte Geschichte der Pastillen-Produktion, ihrer unterschiedlichen Hersteller und das Verhältnis zur Stadt bis in die Jetztzeit: Experimente mit verschiedenen Geschmacksrichtungen, unterschiedlichste Werbemethoden und Produktionsweisen. Der Versuch der Much AG etwa, in den 1970er- Jahren die Sodener Pastillen chemisch künstlich nachzubauen. Grund dafür war ein neues Heilmittelgesetz, nach welchem ein Mittel immer exakt die gleiche Zusammensetzung haben musste, was bei einem Naturprodukt nahezu unmöglich ist.

Die „echten Sodener Pastillen“ wurden zum Schluss gar nicht mehr in Soden produziert. Der letzte Pastillen Hersteller, das Flörsheimer Unternehmen Twardy, ließ sich aus Bad Soden nur noch die Sole für die Produktion liefern. Nachdem es immer wieder zu Schwierigkeiten gekommen war, kündigte die Stadt Bad Soden im Juni 2005 Markenlizenz und Liefervertrag. Das Kapitel Sodener Mineral – Pastillen war so nach 118 Jahren abgeschlossen.

Heute erinnert im Bad Sodener Stadtbild nichts mehr an die über 100 Jahre währende Pastillen-Produktion. Die Gebäude der Pastillen-Fabriken sind längst abgebrochen, und nur die schön gestalteten Schachteln und Dosen im Stadtmuseum erinnern daran, dass Soden einst in aller Munde war. Dass das Thema aber ganz und gar nicht ausgelutscht ist, beweist Günter Menzes Buch.

Günter Menze im sogenannten „Kurzimmer“ des Stadtmuseums vor einer Vitrine mit Exponaten zum Thema „Sodener Mineral- Pastillen“.

Foto: Weber



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