Der Charme des Anrüchigen – Buchpräsentation des Romans „Rosemarie“ im Badehaus

Gabriele Fachinger verstand es meisterhaft, ihre Zuhörer für die Geschichte der Rosemarie Nitribitt und das Sittengemälde der 50er Jahre zu begeistern.Foto: Scholl

Bad Soden (Sc) – Im Rahmen des Lesefestes „Frankfurt liest ein Buch“ stellte Gabriele Fachinger in der vergangenen Woche den Roman „Rosemarie“ von Erich Kuby vor. Die Stadtbibliothek hatte in einer Kooperation mit der Bad Sodener Buchhandlung Gundi Gaab zu dieser sehr interessanten und kurzweiligen Lesung eingeladen. Pandemiebedingt war die Zahl der Besucher zwar sehr begrenzt, diejenigen jedoch, die der Einladung gefolgt waren, konnten sich für den Roman begeistern. Das lag nicht zuletzt an der charmanten und äußerst professionellen Lesung von Gabriele Fachinger, die keine Langeweile aufkommen ließ.

Die Geschichte der Protagonistin ist wahrscheinlich fast jedem Bewohner im Frankfurter Umland bekannt. Rosemarie Nitribitt, Edelprostituierte aus Frankfurt, hatte eine bewegte Geschichte und ist den meisten Bürgern durch das sagenhafte Foto vor ihrer Luxuskarosse – ein Mercedes 180 SL – im Gedächtnis. Auch wenn das Buch den Titel ihres Namens trägt, so malt der Autor Erich Kuby in seinem Roman viel eher ein Sittengemälde der Nachkriegszeit, welches die Doppelmoral der 50er Jahre offenlegt und mit einem großen Augenzwinkern das eigennützige Handeln der Wirtschaftsführer anprangert.

Erich Kuby, geboren 1910 in Baden Baden, schrieb seinen Roman bereits im Jahre 1958, kurz nachdem der erste Film mit dem gleichen Titel gezeigt wurde. Das Buch setzt auf dem Drehbuch für den Film auf, an dem Kuby als Drehbuchautor mitgewirkt hatte. Erstaunlich ist, so Gabriele Fachinger, dass die Offenlegung der von Kuby angeprangerten Doppelmoral direkt aus der betroffenen Zeit heraus erfolgte und nicht, wie sonst, in einem späteren Rückblick. Man könnte also durchaus zu dem Schluss kommen, dass Kuby eine Art „Zeitzeugnis“ mit seinem Roman geschaffen hat. Kuby nutzt die Erzählung über das Leben der Rosemarie Nitribitt, um hintergründig über die Lebensumstände und moralischen Verfehlungen dieser Zeit zu berichten. Viele Handlungsstränge aus dem Leben der Nitribitt, die 1958 einem Mord zum Opfer fiel, sind frei erfunden und keinesfalls biographisch zu betrachten. Das gesellschaftliche Gesamtgefüge, in dem sie sich bewegt hat, jedoch schon. So wird in dem Buch eine glamouröse Lebensgeschichte zur Grundlage für ein Sittengemälde.

Der Film, so wusste Fachinger zu berichten, verquickte Realität mit Fiktion und litt bereits bei den Dreharbeiten unter der Einflussnahme staatlicher Stellen. Auch Originalschauplätze mussten im Studio nachgebaut werden, weil die Eigentümer nicht bereit waren, sie für Dreharbeiten zur Verfügung zu stellen. Schon der Film erregte 1958 so großes Aufsehen, dass sich Kuby zu einem gleichnamigen Roman entschloss.

Der Roman „Rosemarie“ selbst zeigt neben der vordergründigen Lebensgeschichte einer sehr selbstbewussten und starken Frau die Verquickung politischer und wirtschaftlicher Interessen des Staates mit den Großindustriellen dieser Zeit. Rosemarie Nitribitt soll Beziehungen zu diversen Industriemagnaten unterhalten haben, deren Geschichte in Form eines „Isoliermattenkartells“ Eingang in Film und Buch fand. Im Buch trafen sich die Industriellen unter der Leitung staatlicher Stellen zur Planung des Projektes „Babydoll“, das sich mit dem Thema Wiederbewaffnung Deutschlands und dem Bau von Atomsprengköpfen befasste. Bei ihren amourösen Treffen erzählten die hohen Herren Rosemarie Nitribitt Einzelheiten der Planungen, was sie zur Mitwisserin gefährlicher Geheimoperationen machte. Im Roman wird ihr dieses Wissen zum Verhängnis und führt schließlich zur Ermordung durch das Kartell.

Tatsächlich wurde ein alter Freund der Nitribitt wegen Raubmordes angeklagt, jedoch aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt. Dass bei den Ermittlungen anzügliche Beweise verschwanden, wichtige Zeugen (Großindustrielle und namhafte Freier) nie befragt wurden und große Geldmengen fehlten – die Nitribitt verfügte über ein ansehnliches Barvermögen, auch den Mercedes Sportwagen hatte sie selbst gekauft – trug zur Legendenbildung über ihr Leben und Sterben ganz sicherlich in großem Maße bei.

Ihr Kopf wurde bis zum Jahr 2017 im Kriminalmuseum in Frankfurt am Main, wo es eine Ausstellung zu dem Mordfall gibt, aufbewahrt. Er dient Polizeischülern als Anschauungsmaterial, wurde mittlerweile jedoch in Düsseldorf beigesetzt. Das Grab der Rosemarie Nitribitt wird bis heute gepflegt, wobei der Auftraggeber unbekannt bleiben möchte.

Mit ihrer Lesung hat Gabriele Fachinger den Gästen einen wunderbaren, vielseitigen Blick auf die Moralvorstellungen der 50er Jahre und natürlich auf das glamouröse, aber auch sehr kurze und traurige Leben der Rosemarie Nitribitt eröffnet. Ihr Ziel, die Besucher neugierig zu machen und für den Roman zu begeistern, hat sie mühelos erreicht. Einige Gäste kannten das Buch bereits, alle anderen werden es sicher in naher Zukunft lesen – genug Zeit haben wir nun ja!



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