Halbstarke Gesellen sind unterwegs – junge Uhus erobern das Hundertwasserhaus

Klemens Fischer vom NABU Bad Soden ist zum Hundertwasserhaus gerufen worden: Einer der vier jungen Uhus war gefährdet und wird kurzerhand an einen sicheren Platz auf dem Gelände gebracht. Vor den scharfen Krallen schützen Lederhandschuhe.Foto: A. Poon

Bad Soden (wto) – Das ist ein ganz besonderes Jubiläum: Zum zehnten Mal brüten Uhus am Hundertwasserhaus in Bad Soden. „Im Jahr 2014 haben wir erstmals junge Uhus am Hundertwasserhaus entdeckt“, berichtet Klemens Fischer, der in der Bad Sodener Ortsgruppe des Naturschutzbund Deutschland (NABU) aktiv ist und in Bad Soden-Neuenhain lebt. „Seitdem hat sich das Jahr für Jahr wiederholt – auch in diesem Jahr.“

Inzwischen haben die Uhus am Hundertwasserhaus noch eine andere Marke geknackt: Denn mit den vier Jungen, die die Altvögel in diesem Jahr aufziehen, sind es inzwischen mehr als 30 junge Uhus, die binnen zehn Jahren hier großgeworden sind.

Brutplatz auf dem höchsten Turm

Dass es auch 2023 Nachwuchs gibt, ist eine positive Überraschung. Denn Klemens Fischer musste im Juli 2022 an der Limesspange einen toten Uhu bergen, der Opfer des Straßenverkehrs geworden war. War es einer der beiden brütenden Altvögel am Hundertwasserhaus? „Das ist möglich“, so Fischer, „aber es bleibt offen. Denkbar ist, dass es sich bei dem Verkehrsopfer tatsächlich um einen der Altvögel gehandelt hat, dass sich aber dann ein neuer Brutpartner auf dem Hundertwasserhaus eingefunden hat. Der Brutplatz ist für Uhus letzten Endes wichtiger als die monogame Beziehung.“

Der Brutplatz befindet sich auf dem höchsten Turm des Hauses, sechs Meter über dem nächsttieferen Plateau gelegen. „Die Uhus haben damit einen sicheren Ort für die Aufzucht gewählt“, so Fischer. Die kritische Phase beginnt, wenn die jungen Uhus nach etwa vier Wochen flatternd in die Tiefe hüpfen und den vertrauten Platz verlassen. Sie sind dann schon gut befiedert, können aber noch nicht fliegen. Fischer: „Als ‚Halbstarke bewegen sie sich flatternd und hüpfend am Boden und machen die Gegend unsicher.“ Tagsüber sitzen die Junguhus meist ruhig und versteckt am Hundertwasserhaus.

Das ist auch die Zeit, in der Fischer gelegentlich auch von der „Uhu-Community“ zum Hundertwasserhaus gerufen wird. Diese Community umfasst rund fünfzig Personen, sie verfolgt das Aufwachsen der Uhus wohlwollend, kommuniziert über die sozialen Medien miteinander und weist auch auf Gefahren hin. In diesem Jahr hat Fischer bislang einmal eingegriffen, als ein Junguhu am Zugang in Richtung der Straße Zum Quellenpark auf der Eingangstreppe des Hauses saß und die Gefahr bestand, dass das Tier sich auf die Straße bewegt und dort vom Verkehr oder von Hunden bedroht ist. Ausgerüstet mit Lederhandschuhen, hat Fischer das Tier genommen und an einen sicheren Platz am Hundertwasserhaus gebracht.

Versorgung im „Hotel Mama“

In den letzten Jahren hat Fischer zweimal Junguhus in die Tierklinik nach Hofheim gebracht. Beide Tiere hatten sich beim Sprung in die Tiefe verletzt – der eine Jungvogel hatte sich einen Flügelbruch, der andere einen Beckenbruch zugezogen. Den Weg der menschlichen Hilfe zu beschreiten ist aufwendig, denn die Tiere müssen nicht nur in der Klinik behandelt werden, sondern danach noch in einer Aufzuchtstation bis zum Flüggewerden gefüttert und betreut werden, bevor sie ausgewildert werden können. Solche Prozeduren sind jedoch die Ausnahme und müssen eine Ausnahme bleiben. „Wir vom NABU sind froh, wenn wir nicht gerufen werden und nicht eingreifen müssen“, so Fischer.

Zum regelhaften Ablauf gehört es, dass die jungen Uhus nicht sehr lange auf dem Gelände des Hundertwasserhauses bleiben, sondern die Jungspunde sich, angelockt von den Rufen der Eltern, in das Kastanienwäldchen oberhalb der Dachbergstraße begeben. „Dort lauern neue Gefahren“, berichtet Fischer. „Fuchs und Waschbär sind auf der Suche nach Nahrung und junge Uhus können ihre Opfer werden.“ Zehn Wochen nach der Geburt sind die Vögel flügge, aber sie werden auch im Wald noch von den Altvögeln gefüttert. Auf dem Speiseplan der Uhus stehen vor allem Stadttauben und kleinere Säugetiere wie Mäuse, Ratten und Kaninchen. Die Beutetiere haben kaum eine Chance gegen die Angriffe, denn die Uhus fliegen völlig lautlos an.

„Ende August ist dann das ‚Hotel Mama‘ komplett geschlossen und die jungen Uhus werden von den Altvögeln aus dem Revier vertrieben“, berichtet Fischer. „Die Natur ist da wenig sentimental. Die Alttiere signalisieren den Jungtieren: Das ist unser Revier, geh du deiner Wege und such dir ein anderes Revier.“ In der Region gibt es weitere Uhu-Brutplätze und -Brutversuche, unter anderem im Süßen Gründchen bei Neuenhain. Fischer: „Wo es Steinbrüche und Wälder gibt, da fühlen sich die Vögel wohl und dort siedeln sie sich an.“

Der Uhu ist ein seltenes Wildtier

Der Bestand an Uhus, der größten hierzulande vorkommenden Eule, hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Um das Jahr 1960 herum gab es nach Jahrzehnten der Verfolgung des Beutegreifers insgesamt nur noch 40 Paare in ganz Deutschland, inzwischen sind es wieder 850 Uhupaare – ein Erfolg für den Artenschutz für einen Vogel, der aber nach wie vor ein seltenes Wildtier ist und bleibt.

Ein Anliegen ist Klemens Fischer wichtig: „In Einzelfällen können wir verletzten oder gefährdeten Jungtieren helfen“, sagt er. „Aber in der Natur regelt sich vieles von selbst. Und dazu gehört auch die Tatsache, dass von vier jungen Uhus nur ein oder zwei Tiere über den nächsten Winter kommen werden. Viele Menschen machen sich viele Sorgen, aber wir müssen uns auch vergegenwärtigen: Die Wildtiere brauchen uns Menschen nicht, um überleben zu können. Wir dürfen sie nicht vermenschlichen.“ Und: „Es wäre falsch, die menschlichen Maßstäbe von Hilfe und Hilfsbedürftigkeit auf die Wildtiere zu übertragen.“



X