„In die Nacht“ – Literarischer Blick in die Seele eines (Über-)Lebenden

Locker und mit Tiefgang – Lesung mit Rudolf von WaldenfelsFotos: Scholl

Bad Soden (Sc) – Am vergangenen Freitag war Rudolf von Waldenfels mit seinem Buch „In die Nacht“ für eine Lesung zu Gast im Kulturzentrum Badehaus und einmal mehr hat Chris Becker (Leiter der Stadtbibliothek) ein gutes Händchen für einen Autor bewiesen, der der Welt mehr als einfach „nur“ eine Geschichte zu erzählen hat.

In seinem neuen, autobiografischen Roman „In die Nacht“ erzählt von Waldenfels die Geschichte eines Mannes, der, mit einer potenziell tödlichen Krebsdiagnose konfrontiert, in ein tiefes emotionales Loch fällt und, als sich diese Diagnose als – glücklicherweise – falsch herausstellt, nicht ganz so einfach „in die Spur“ seines bisherigen Lebens zurückkehren kann. Er kämpft nicht nur mit innerer Leere, sondern auch mit den inneren Dämonen der „Dunkelheit“ und findet schließlich in nächtlichen Streifzügen seinen ganz eigenen Weg zurück zu seinem inneren Ich. Eine Geschichte, die einen tiefen Einblick in die Seele des Protagonisten, und damit auch des Autors, offenbart und deren Offenlegung ganz sicher auch Mut erfordert.

Der Autor

Wer Rudolf von Waldenfels persönlich erlebt, begegnet einem Menschen mit hanseatischem Charme, lässiger Eleganz und einem wundervollen Lächeln. Locker an einen Tisch gelehnt begrüßt er die Besucher dieser kleinen, aber feinen Lesung, die für ihn, der eben von einer Lesung auf der Frankfurter Buchmesse kommt, fast schon familiär anmutet. „Ich freue mich auf eine recht persönliche gemeinsame Stunde – weit ab der Welt – nur mit Ihnen“, sind seine Worte zur Begrüßung. Geboren im Jahr 1965 war von Waldenfels zunächst Schauspieler am Wiener Burgtheater, bevor er mehrere Jahre auf Reisen ging. Sein erstes Buch „über die grenze: ein reiseroman“ veröffentlichte er 2006. Es folgten zahlreiche Reportagen sowie ein Sachbuch – und nun dieser autobiografische Roman, der von den Kritikern vielfach gelobt und als „aufwühlend“ bezeichnet wird.

Persönliche Betroffenheit

„Ich habe mit der Todesstrafe gerechnet und wurde freigesprochen“ – mit diesen Worten beschreibt von Waldenfels seine tiefgreifende und sehr persönliche Erfahrung mit der schmerzhaften Krebsdiagnose, die zunächst nur noch wenig Lebenszeit versprach und die „Entwarnung“ einige Tage später, die Heilung mit sich brachte. Die Tage dazwischen beschreibt er als „dunkel“ und „am Sinn des Lebens“ zweifelnd. Wer kann ihn nicht verstehen? Bemerkenswert ist seine Fähigkeit, ruhig und fast sanft über diese schwere Zeit zu sprechen und dabei doch so viel Verletzlichkeit und auch Stärke zu zeigen. Diese seelische Achterbahnfahrt zu beschreiben, in Worte zu fassen, was diese „Nachricht vom bevorstehenden Tod“, dieser „Einbruch des Todes in das Leben“ mit ihm als Mensch gemacht hat, ist in jeder gelesenen Zeile förmlich spürbar. Die Frage nach dem „Warum?“ ist allgegenwärtig und wird doch nie beantwortet werden – der Weg zurück in ein funktionierendes Leben ist es, den er auf seinen Nachtwanderungen sucht und schlussendlich auch findet.

„In die Nacht“

Gefangen in seiner inneren Dunkelheit spürt er bei einem nächtlichen Blick aus dem Fenster, dass die Dunkelheit einen gewissen Reiz auf ihn ausübt und etwas Spannendes für ihn bereithält. Angezogen von der dunklen Nacht, die so viele unerwartete Begegnungen und Sinneseindrücke verspricht, macht er sich mit einem Rucksack zu nächtlichen Ausflügen auf – der Reiz, Verborgenes zu entdecken, wird damit für ihn zum Rettungsanker für seine eigenen Gefühle, seine nächtlichen Wanderungen zum Seelentröster und zu einem Wettlauf gegen das tiefe Gefühl der Einsamkeit. Er begegnet anderen „Nachtmenschen“, führt Gespräche, gerät in heikle Situationen und erfährt mehr als einmal auch die Schönheit, die der Dunkelheit innewohnt. Alle diese Erfahrungen sind getrieben von der Suche nach menschlicher Nähe und dem stetigen Wunsch, die seelische Leere im Innern endlich zu füllen. Schlussendlich gelingt ihm dies, auch wenn der Weg „durch die Dunkelheit ins Licht“ oft schmerzvoll und voller Zweifel ist.

Gefühlvolle Lesung mit Tiefgang

Sicher ist, dass seine frühere Tätigkeit als Schauspieler am Wiener Burgtheater großen Anteil daran hat, dass die Lesung von Rudolf von Waldenfels als unglaublich kurzweilig, interessant und gefühlvoll wahrgenommen wurde. Nicht jedem Autor kann es gelingen, mit seinem Buch einen derart tiefen Einblick in die eigene Seele zu erlauben und dies so charmant öffentlich vorzutragen. „Das Buch beinhaltet auch dunkle Passagen“, so von Waldenfels. So erzählt er in seinem Roman auch vom Freitod seiner Schwester, die ihr Leben der Kunst und Fotografie gewidmet hatte und am Leben letztendlich zerbrach. Ihr Verständnis von Kunst als Lebensmittelpunkt, wobei der Anerkennung alles untergeordnet wird, ist eine Kunstdefinition, der von Waldenfels nach eigener Aussage nicht folgen kann, was zu einem zentralen Diskussionspunkt mit seiner Schwester wurde. Für ihn ist Kunst – und damit auch das Schauspiel und die Schriftstellerei – primär eine Möglichkeit, sich auszudrücken und Gefühle zu transportieren. Dies gilt auch für die Verarbeitung eigener Erfahrungen in Geschichten, was für ihn den Ausschlag gab, die zunächst in einem Tagebuch festgehaltenen Erfahrungen aus seinen nächtlichen Wanderungen in einem autobiografischen Roman zu verarbeiten.

Der Erzählstil nimmt die Leserinnen und Leser gefangen, ist durchaus existenzialistisch, lässt jedoch auch mühelos Bilder von Landschaften, Begebenheiten oder auch Personen in den Köpfen entstehen. Seine Schilderung z.B. eines Gewitters in der dann „unruhigen Dunkelheit“ transportiert Eindrücke und Gefühle – die Beschreibung des Donners als „Hammerschläge“ lässt die „Tiefe der Finsternis“ lebendig werden.

Rudolf von Waldenfels schenkte seinen Gästen eine wunderbare Lesung, stimmungs- und gefühlvoll, die Empfindungen weckte und neugierig auf das Buch und die Geschichte machte. Wer eine heitere, fluffige Geschichte sucht, der möge sich anderweitig orientieren, denn der Roman „In die Nacht“ nimmt den Leser mit auf eine existenzielle Reise voller Begegnungen und Eindrücke, er ist tiefgründig und berührt die eigene Seele – er ist aber auch ein Roman der Hoffnung und der seelischen Wiederkehr in ein normales Leben voller Glück und Zufriedenheit.

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