Politik im Dialog – kontroverse Standpunkte im Vorfeld der Hessen-Wahl

Diskussion der Parteienvertreterinnen und -vertreter auf dem Podium des Augustinums in Bad Soden – von rechts: Moderator Werner Schlierike vom HR, Konstantin Lotz (Linke), Lisa Henties (SPD), Elias Shieh (FDP), Christian Heinz (CDU), Gianina Zimmermann (Grüne) und Heiko Scholz (AfD)Foto: Nora Hechler/Evangelisches Dekanat Kronberg

Bad Soden (wto) – Die am 8. Oktober anstehende Hessen-Wahl ist unübersehbar geworden. Wer in diesen Tagen durch Bad Soden geht, zum Beispiel von der Königsteiner Straße in die Adlerstraße, zum Platz Rueil-Malmaison und dann zur Kreuzung Zum Quellenpark/Brunnenstraße, ist mit einer Fülle von kurzen politischen Botschaften konfrontiert. Zu lesen ist da auf den Wahlplakaten etwa: „Verbieten wir uns nicht die Wirtschaft kaputt – Elias Shie – Feuer und Flamme für Hessen“ (FDP); „Die besten Kräfte für Hessen – ­Nancy Faeser – Ministerpräsidentin für Hessen“ (SPD); „Grundrechte sind unantastbar“ (Basis), „Lieber gerecht als rechts – Am 8. Oktober Konstantin Lotz wählen“ (Linke), „Mit den Kleinen Großes bewegen – Tarek al Wazir als Ministerpräsident – Hessen lieben – Zukunft leben“ (Grüne), „Unsere Polizei braucht: Respekt – Christian Heinz – Ihr Landtagsabgeordneter“ (CDU); und schließlich: „Weil wir für euch sind, sind sie gegen uns!“ (AfD).

Die Spitzenkandidaten im Vergleich

Die Kurzbotschaften geben eine Ahnung, was den Parteien wichtig ist. Wer Personen und Programmatik genauer kennenlernen wollte, hatte dazu bei einer Podiumsdiskussion mit den Direktkandidatinnen und -kandidaten aus dem Landtagswahlkreis Main-Taunus I – zu diesem Wahlkreis gehören auch Bad Soden und Sulzbach –, Gelegenheit. Zu der gut besuchten Veranstaltung im Theatersaal der Seniorenresidenz Augustinum in Bad Soden-Neuenhain hatten der Katholische Bezirk Main-Taunus, das Evangelische Dekanat Kronberg, der Caritasverband Main-Taunus e.V., die Katholische Erwachsenenbildung Main-Taunus sowie die Regionale Diakonie Main-Taunus gemeinsam eingeladen.

Moderiert wurde das ökumenische Hearing unter dem Motto „Politik im Dialog – Kandidaten im Vergleich“ von HR-Redakteur Werner Schlierike. Im Vordergrund standen die Themenfelder Wohnen, Verkehr und Nachhaltigkeit, Bildung, Armutsbekämpfung und soziale Gerechtigkeit sowie Migration und Integration. Dabei gab es Kontroversen, aber auch Konsens – etwa darüber, dass die Rahmenbedingungen an Schulen verbessert und der Lehrerberuf attraktiver werden müsse. Ebenso waren sich die Gäste einig darüber, dass beim öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Optimierungsbedarf besteht. Und von mehreren Podiumsgästen wurde darauf hingewiesen, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt eine wichtige Voraussetzung für gelingende Integration ist.

Beim Thema Bauen und Wohnen betonte der Linke Konstantin Lotz, dass es nötig sei, in Hessen in den nächsten fünf Jahren 50.000 Sozialwohnungen zu schaffen. Die SPD-Politikerin Lisa Henties – sie ist Ersatzkandidatin und vertrat bei der Diskussion die Direktkandidatin im Wahlkreis Nancy Faeser, die gleichzeitig SPD-Spitzenkandidatin in Hessen ist – unterstrich die Notwendigkeit, mehr bedarfsgerechten und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen; für das Wohnen dürfe nicht mehr als ein Drittel des Einkommens aufgewendet werden. Der FDP-Politiker Elias Shieh erhob die Forderung, dass die Grunderwerbssteuer in Hessen von 6 Prozent auf 3,5 Prozent wie in Bayern gesenkt werden müsse. Der CDU-Politiker Christian Heinz verwies darauf, dass der soziale Wohnungsbau nur ein kleines Segment darstelle: Der Hauptfokus müsse auf den frei finanzierten Wohnungen liegen. Die hessische CDU trete beim Erstkauf einer Immobilie, die Privatleute zur Selbstnutzung erwerben, für ein „Hessengeld“ ein, einen Zuschuss von 10.000 Euro für jeden erwachsenen Käufer plus 5.000 Euro für jedes Kind.

Wohnen, Verkehr, Schulen

„Steuern wegzulassen, das reicht nicht“, sagte dagegen die Grüne Gianina Zimmermann mit Verweis auf die vielen Aufgaben, die der Staat finanzieren müsse. Und: Für neue Wohnungen dürften nicht einfach Grün zerstört und weitere Flächen versiegelt werden. Besonders gefördert werden müsse gemeinschaftliches Wohnen als eine wichtige Wohnform der Zukunft. AfD-Mann Heiko Scholz sah das anders und machte geltend, dass die Wohn-Eigentumsquote in Hessen mit 42 Prozent viel zu niedrig sei. Vorgaben in Sachen Wärmedämmung und Heizen trieben die Kosten nach oben. Er verwies zudem auf die hohe Zahl von Flüchtlingen, allein 9.000 lebten im Main-Taunus-Kreis, sowie auf die Zahl von 17.000 Ausreisepflichtige in Hessen. Es gebe vielfach eine Fehlbelegung von Wohnraum. Deutsche Staatsbürger müssten Vorrang haben.

Beim Thema Verkehr waren sich die Grüne Zimmermann und der Linke Lotz einig, dass keine neuen Autobahnen gebaut werden sollten. Mehr Verkehr müsse auf Bahn und Bus umgelenkt werden, so Lotz: „Wir brauchen einen bezahlbaren ÖPNV.“ Die Aussage „Wir setzen auf alle Verkehrsträger“ war CDU-Mann Heinz wichtig; es sei falsch, das Autofahren zu verteufeln. Diesen Gefallen tat ihm die Grüne Zimmermann jedoch nicht: „Es ist utopisch zu sagen, dass wir keine Straßen brauchen“, meinte sie. „Menschen bewegen sich unterschiedlich.“ Dazu gehöre auch das Zu-Fuß-Gehen, „10.000 Schritt am Tag sind gesund.“ Eine Lanze für den Ausbau des ÖPNV brach Lisa Henties von der SPD, während Heinz und vor allem FDP-Vertreter Shieh darauf verwiesen, dass der ÖPNV immer weniger kostendeckend fahre. „Wir müssen darauf achten, dass der öffentliche Nahverkehr nicht zu viele Miese macht“, so Shieh.

Was die Bildung angeht, so bekräftigte Henties das Konzept der SPD – die Partei wirbt im Wahlkampf unter anderen mit der Aussage „Zeit für 12.500 neue Lehrer“ –, dass das Bildungssystem gleiche Chancen herstellen müsse und nicht der Geldbeutel der Eltern dafür entscheidend sein dürfe. „Wir müssen ein inklusives und integratives Schulsystem schaffen.“ In Hessen fehlten sehr viele Lehrkräfte. – Keine Einheitsschule, keine Überregulierung von oben, die Schulen vor Ort sollen unterschiedliche Schwerpunkte setzen können – das war das Credo von CDU-Mann Heinz. „Es gab noch nie so viele Lehrerinnen und Lehrer in Hessen wie heute“, hielt er der These vom Lehrermangel entgegen. Die Schülerzahlen seien stark gestiegen, was so aber nicht prognostiziert worden sei. So seien zuletzt rund 20.000 ukrainische Kinder an hessischen Schulen aufgenommen worden.

Nicht thematisiert wurde bedauerlicherweise die Diskussion um Schulnoten, die derzeit in Hessen kontrovers geführt wird. Die FDP hat dabei im Wahlkampf unterstrichen, dass die Notenvergabe an den Schulen spätestens ab der dritten Klasse wieder verpflichtend sein sollte; es sei falsch, dass die Schulen in Hessen vor Ort selbst darüber entschieden. Die Notenpflicht ist unter den Parteien umstritten – am weitesten haben sich die Linken aus dem Fenster gelehnt: Sie fordern die Abschaffung von Schulnoten, Hausaufgaben und Sitzenbleiben.

Fragen des Publikums

Das Publikum konnte im zweiten Teil der Veranstaltung seine Anliegen einbringen. Fragen waren zum Beispiel: „Wie kann dem Lehrermangel entgegengewirkt werden?“; „Warum wird unteren Einkommensschichten nicht die Mehrwertsteuer bei Lebensmitteln direkt an der Supermarktkasse erlassen?“; „Welche Rolle spielen in Ihren Parteiprogrammen Radschnellwege und wie kann der Öffentliche Nahverkehr attraktiver und zuverlässiger werden?“ oder „Was kann bei der Integration von Geflüchteten verbessert werden?“



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