„Die Tuba ist der Motor des Orchesters“ ­– Musikalischer Weltrang in der Kelkheimer Stadthalle

Mit 15 Jahren erwählte Øystein Baadsvik die Tuba als „sein“ Instrument. Inzwischen ist der Musiker weltberühmt.Foto: Homepage

Kelkheim (mg) – Die Tuba besitzt in der öffentlichen Wahrnehmung, zumindest jenseits der Anhängerschaft des Instruments, eher ein Nischendasein. Dieses ist durchaus von Klischees geprägt. Diese werden dem „führenden Bass“ eines Orchesters jedoch alles andere als gerecht. Das glänzende Blech mit nach oben gerichtetem Schalltrichter und drei bis sieben Ventilen ist gleichzeitig wohl das imposanteste Blechblasinstrument. Das liegt nicht nur an der blickfangenden Optik, sondern auch an der tiefsten Akustik innerhalb eines musikalischen Ensembles. Die tiefsten Töne am Ende einer Subkontrabass-Tuba befinden sich sogar fern der Wahrnehmung des menschlichen Gehörs. Das eindrucksvolle „Werkzeug“ eines Tubisten ist bundesweit bereits seit mehr als neun Monaten Instrument des Jahres. Und das wird nun auch mit musikalischer Prominenz auf künstlerischem Weltniveau in der Kelkheimer Stadthalle am Sonntag, 3. November, um 14.30 Uhr mit einem außergewöhnlichen Konzert gefeiert und zu hören sein. Und zwar mit dem Ausnahmetubisten von Weltrang Øystein Baadsvik. Initiator des Konzerts, das unter anderem aufgrund der Unterstützung der Stadt Kelkheim kostenfrei zu hören sein wird, ist Dr. Jochen Ballach. Er ist Vorsitzender des Kelkheimer Blechbläserensembles „OBE“; dort spielt Ballach gleichzeitig selbst die Tuba. Zudem ist er Teil des Blasorchesters St. Dionysius im Stadtteil Münster.

Das tiefste Blech ist an der Reihe

Das Projekt „Instrument des Jahres“ entstand 2008 und begann mit der Klarinette. In den Folgejahren gesellten sich Trompete, Kontrabass, Posaune, Fagott, Gitarre, Horn, Harfe, Oboe, Violoncello, Saxophon, Violine, Orgel und vergangenes Jahr das Drumset dazu. Die tiefste musikalische Lage eines Orchesters ist jetzt Hauptakteurin und wurde im Jahr 1835 für ihre Funktion in Militärkapellen von Wilhelm Wieprecht und Johann Gottfried Moritz kreiert. Später kam das „Blech“ Komponist Hector Berlioz auf Reisen zu Ohren, der augenblicklich Gefallen an ihr fand. Der Effekt, den eine große Zahl Basstuben in einer Militärkapelle mache, sei jenseits jeder Vorstellung, hieß es damals seinerseits. Komponist und Dirigent Richard Wagner wiederum begegnete dem Instrument in der Pariser Werkstatt des Saxophon-Erfinders Adolphe Sax. Obwohl noch vergleichsweise jung, ist die Tuba heute selbstverständlicher Bestandteil der Musiklandschaft. Sowohl in großen sinfonischen Orchestern als auch in Blasmusikensembles verschiedener Gattungen lässt das Instrument mit seinen tiefen und voluminösen Tönen Struktur und Fundament des Blechsatzes entstehen. Gleichzeitig übernimmt die Tuba meist eine lenkende Funktion des Rhythmus – sie ist sozusagen „der Motor eines Orchesters“, wie es Jochen Ballach gegenüber der Redaktion beschreibt.

Øystein Baadsvik

Ob es an der eher geringen Anzahl an Sonnenstunden oder den durch tiefe Schluchten umrahmten, dunklen Fjorden Norwegens liegt, dass einer der Weltstars des häufiger auch mit dramatischen und düsteren Stimmungen verbundenen Instruments Tuba aus diesem nordeuropäischen Teil der Erde stammt, ist nur eine Vermutung. Ganz gewiss liegt es jedoch bei einem Ausnahmemusiker am vorhandenen und überdurchschnittlichen Talent für sein Instrument. Im Alter von 15 wählte Øystein Baadsvik im Jahr 1981 das Instrument, das ihn bei steter Entwicklung bis zum heutigen Tag zu Weltruhm verhalf und verhilft. Als er 16 Jahre alt war, trat er in eine Brassband (englisch für „Blechkapelle“) ein. Eineinhalb Jahre später wurde er schon im „Norwegian National Youth Wind Orchestra“ aufgenommen. Kurze Zeit später gewann Baadsvik den ersten Preis am Nationalen Solistenwettbewerb seines Heimatlands, und im Alter von 20 Jahren begann der Preisträger in Norwegens Nachbarland Schweden sein Musikstudium an der Königlichen Musikhochschule Stockholm. Seine internationale Karriere startete er beim prestigeträchtigen „Concours International d’Exécution Musicale“ im Jahr 1991 in Genf. Kurz nach der Veröffentlichung seines ersten Solowerks auf Tonträgern – unter anderem mit Werken von Paul Hindemith und Peter Madsen – erntete er in internationalen Musikzeitschriften weltweit ausnahmslos sehr gute Kritik. Der „American Record Guide“ betitelte Baadsvik in diesem Zusammenhang als einen der weltbesten Tubasolisten.

Entwicklung

Nach einer schöpferischen Pause, in der sich der Künstler unter anderem um seine Familie mit drei Kindern kümmerte, entwickelte sich der Norweger bis heute zum stets gefragten Solisten und Lehrer auf dem gesamten Globus. Baadsvik ist bei seinen Auftritten grundsätzlich die Kommunikation mit dem jeweiligen Publikum wichtig und von Bedeutung. Vermutlich ist das auch einer der Beweggründe, die den Tubisten immer wieder dazu anhalten, neue Techniken wie den „lip beat“ ins Leben zu rufen. Mit dieser Lippentechnik ist er in der Lage, mit seinem Instrument Schlagzeuggeräusche in tiefen Lagen zu erzeugen. Mit anderen künstlerischen Fertigkeiten imitiert er auch hin und wieder – wie bei seinem Solowerk „Fnugg“ – das Blasinstrument Didgeridoo der nordaustralischen Ureinwohner, den Aborigenes. Bis zum heutigen Tag führte Øystein Baadsvik mehr als 30 Solowerke von Komponisten aus den USA, Russland, Schweden, Norwegen und der Schweiz als Uraufführung auf. Zudem arrangiert und komponiert er auch eigene Orchesterwerke unter seiner Dirigentschaft. Solostücke für das Instrument Tuba sind nach wie vor eher selten, so dass sich die Besucherinnen und Besucher der Kelkheimer Stadthalle auf etwas Rares und damit auch Besonderes freuen können.

Facettenreich und sympathisch

Tritt die Tuba solistisch in Erscheinung, sind die Themen der musikalischen Werke häufig dunkle Vorahnungen, zwielichtige und boshafte Protagonisten – Dramatik setzt sich auf der Bühne und in der Gedankenwelt des Publikums in Szene. Gleichzeitig gibt es auch die eher grotesken und bisweilen humoristischen Situationen, die der Klang des Instruments hervorruft. Beispielsweise dann, wenn sich der eher schwerfällige, gleichzeitig sehr sympathische Bär Balu im „Dschungelbuch“ durch die Natur bewegt. Aber auch die Gesangseinlagen eines Werks, das instrumental aufgeführt wird, können lyrisch durch die Tuba gespielt werden. All das steht und fällt mit den Menschen, die das Instrument bedienen. Allenthalben hört und liest man, dass es sich bei den meisten Tubistinnen und Tubisten um entspannte, freundliche und auch humorvolle Zeitgenossen handelt. Um die zuvor genannten Emotionen und Atmosphären mit der Tuba zu gestalten, müssen die Tubaspielenden wohl zwangsläufig ausreichend Empathie für die Rolle im jeweiligen Zusammenhang besitzen.

Initiative und Organisation

„Häufig ist nur das Schwerfällige in einer Blasmusikkapelle die Assoziation zur Tuba. Grundsätzlich ist das Instrument jedoch, wie es auch viele Dirigenten formulieren, das Fundament des Orchesters und zudem weitaus vielschichtiger“, erklärt Jochen Ballach im Gespräch und ergänzt: „Man kann darüber hinaus in der Bassstimme seinen Anteil als Melodie spielen, schneller und langsamer werden. Es kommt eben auch auf den Musiker oder die Musikerin an“. Ballach saß Anfang des Jahres eines Tages zu Hause und durchstöberte das Internet. In der nächsten Sekunde stieß er wieder einmal wie so oft auf Stücke von Øystein Baadsvik. Es muss schon eine Weile in ihm gearbeitet haben, denn im nächsten Moment schrieb er dem norwegischen Tubisten von Weltrang eine E-Mail-Nachricht, ob dieser denn nicht zufällig Anfang November in Deutschland sei und einen Workshop leiten würde. Ballach hatte vor Jahren selbst schon mehrfach das Vergnügen, bei Baadsvik insgesamt drei „Meisterkurse“ zu besuchen. Diese beeindruckten ihn sehr und brachten seine persönliche musikalische Entwicklung auf die nächste Qualitätsstufe. Der Norweger antwortete rasch, dass er zwar bislang keine Pläne an dieser Stelle habe, aber er „jetzt einfach kommen würde“. Der Tubist aus Kelkheim freute sich natürlich, da er Baadsvik aus eigenen Erfahrungen bereits als geerdeten und zugewandten Menschen und Mitmusiker kennengelernt hatte. Geschrieben, getan – Ballach begann mit der Organisation des nun bevorstehenden musikalischen Leckerbissens. „Die Basis des Orchesters ist nur eine Facette der Tuba. In den letzten Jahrzehnten kam sie immer mehr auch als Soloinstrument zur Geltung“, berichtet Ballach weiterhin. „Das führte dazu, dass auch immer mehr Kompositionen für die Tuba selbst zustande kamen, und Øystein Baadsvik ist sicherlich einer der Künstler weltweit, der Außergewöhnliches aus seinem Instrument herausholt und die Grenzen künstlerisch beansprucht und auslotet.“ Nach Ballachs Beobachtungen schaut sich Baadsvik Musiker mit anderen Instrumenten an und versucht, deren Eigenschaften im Anschluss auf die Tuba zu übertragen. Selbst eine Geige könne Baadsvik als Inspiration dienen. Das sei sicherlich sehr außergewöhnlich.

Workshop

Eine Grundlage des Konzerts am 3. November in der Kelkheimer Stadthalle wird der zeitlich vorgeschaltete Workshop sein, der am Samstag zuvor beginnt. Dessen Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden Teil der Aufführung. Darunter auch Ballachs Tochter Alina. „Die Musiker werden im Workshop deutlich mehr Technikmöglichkeiten erfahren und lernen, was sie in jedem Fall musikalisch einen ganzen Schritt nach vorne bringen wird“, ist sich Jochen Ballach sicher. Im Kurs würde beigebracht, wie man das eigene Zwerchfell anders nutze als bisher und die Lungenflügel mit mehr Volumen füllen könne. Das würde im Anschluss wesentlich mehr Möglichkeiten beim Umgang mit dem eigenen Instrument eröffnen: „Die Luft muss beim Tubaspiel fließen; das ist bei langen Passagen essenziell, muss allerdings auch gelernt werden. Aber vor allem die Technik beim Lippenformen ist ein wesentlicher, wenn nicht der wichtigste Baustein beim Bedienen des Instruments, was auch Bestandteil der Kurseinheiten sein wird.“ Baadsvik würde in der Lehre besondere und innovative Wege gehen, die Ballach eigenen Angaben zufolge in seiner „Tubalaufbahn“ bei keinem anderen Dozenten erlebt habe. Das würde sicherlich auch an der großen Leidenschaft des Norwegers liegen. So sei Baadsvik dementsprechend auch einer der sehr wenigen Tubisten weltweit, die sich ausschließlich ihren Lebensunterhalt über Spielen und Lehren sichern könne.

Konzert

Bislang haben sich 24 Interessierte zum Workshop mit Baadsvik angemeldet, die teilweise aus den Niederlanden, Großbritannien und ohnehin aus allen Teilen der Bundesrepublik anreisen. Diese Menschen werden im Ensemble während des Konzerts vier Stücke spielen, vier von ihnen führen zudem Soli auf. Im Anschluss wird dann Øystein Baadsvik sein Können vor Ort im Taunus unter Beweis stellen, und zwar ebenfalls mit vier Solostücken, die auf dem Klavier von der Pianistin Sumi Sung begleitet werden. Unter den Darbietungen werden Kompositionen von Edvard Grieg, Johann Sebastian Bach und Astor Piazzolla sein. Ergänzt wird das komplette Programm mit Songs wie „You Raise Me Up“, das viele Menschen vermutlich als Coverversion der Band Westlife kennen und die im Ursprung ein Lied der norwegischen Gruppe Secret Garden ist. An dieser Stelle des Konzerts wird das „Ballach-Baadsvik-Quartett“ mit der Besetzung aus Øystein Baadsvik und Alina, Jochen und Christoph Ballach an den Start gehen. Auch Lieder wie „Fly Me To The Moon“ von Komponist und Songtexter Bart Howard stehen unter anderem auf der vielseitigen musikalischen Agenda. Wer das Konzert zeitlich um 14.30 Uhr nicht besuchen kann, hat an diesem Sonntag eine weitere Möglichkeit, das Instrument Tuba in seiner Vielfalt zu genießen. Um 18 Uhr wird es in der Evangelischen Paulusgemeinde in der Gustav-Adolf-Straße 4 ein zusätzliches Konzert mit vielen Teilnehmern des Workshops und erneut der Pianistin Sung geben; der Ausnahmetubist Baadsvik wird dann allerdings schon wieder auf der Weiterreise sein. Man sollte diesen Tubagenuss vermutlich nicht verpassen, denn wer weiß, wann wieder einmal die Chance besteht, einen solchen Tubisten von Weltrang in hiesigen Gefilden erleben zu können.

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