Eschborn (ew). „Die Blütenwanderung war in diesem Jahr gekennzeichnet von den besonderen Wetterbedingungen. Die Niederschläge im Winter waren gering und die Temperaturen relativ mild. Im März setzte der Regen ein, der bis jetzt anhält. Dadurch verbesserte sich deutlich die Wasserversorgung der Obstbäume und des Beerenobstes“, berichtet Reinhard Birkert, der die Wanderung organisiert hatte. „Die große Trockenheit, wie wir sie im Frühjahr 2022 erlebt haben, ist ausgeblieben. Trotzdem fehlt uns noch viel Regen, um die Grundwasserbestände deutlich zu verbessern“, setzt er fort.
März und April blieben in diesem Jahr überwiegend kühl, sodass die Obstbaumblüte gut zwei Wochen später einsetzte als im Vorjahr.
Reinhard Birkert erklärte den 18 Teilnehmern die besondere klimatische Lage des Vordertaunus, früher Teil des „Niddagaus“. Der Frühling, der entlang des Rheins nach Norden ziehe und sich hier an der Mainmündung aufteilt, staue sich am „Altkönig“ – dem klimatischen Schutzberg. Der Taunus insgesamt halte die kalten Nordwinde ab. Dadurch gebe es ein Wein- und Obstbauklima. Zudem habe man im Vordertaunus eine überwiegend gute Bodenstruktur, was auch für die Obstbäume eine gute Nährstoffversorgung darstelle.
Das Steinobst – Pfirsische, Zwetschgen, Süßkirschen und Mirabellen – bilden die „Saisoneröffnung“ der Obstbaumblüte, gemeinsam mit den frühen Birnensorten. Die Sauerkirschen seien etwa zeitgleich mit den Äpfeln.
„Oft ist es in dieser Zeit noch kalt und die Bienen fliegen nur begrenzt. So übernehmen oft die robusten Hummeln die Bestäubung“, erklärt Birkert.
Die Apfelblüte habe in diesem Jahr Ende April und Anfang Mai begonnen und werde sich – je nach Witterung – durch den Mai ziehen. Erst wenn die Apfelbäume in der Kulturlandschaft blühen, spreche man von der Phase des „Vollfrühlings“. Dann folge – je nach Sorte – die Walnussblüte. Schlusslicht der Obstbaumblüte bilde die Quitte.
Bei der Blütenwanderung wurden eine Fülle von Themen angesprochen, von denen hier ein Teil dargestellt wird.
„Es ist wohl ein ‚Zeichen der Zeit‘, dass vor zwei Jahren der Streuobstanbau zum ‚Immateriellen Kulturerbe erklärt‘ und jetzt auch die ‚Handwerkliche Apfelweinkultur‘ von der Unesco-Kommission in das bundesweite Verzeichnis immaterielles Kulturerbe aufgenommen wurde“, erläutert Birkert. „Denn neben der Sortenvielfalt liegt der größte Wert der Obstwiesen im Lebensraum für fast 3000 Pflanzenarten und etwa 2000 Tierarten. Deshalb ist es wichtig, diese biologische Vielfalt vor der eigenen Haustür zu schützen und zu erhalten.“
Wer den Zeitpunkt der Obstblüte in den letzten 50 Jahren verfolgt habe, stelle fest, dass die Blüte teilweise einen Monat früher beginne als noch vor wenigen Jahrzehnten.
Im Januar begann in Deutschland in diesem Jahr schon die Haselblüte. Zuerst ging es im Westen und Südwesten los, dann in ganz Deutschland.
Wie sich die Erderwärmung konkret auswirkt, werde hier – bei der Pflanzenentwicklung –greifbar. „Der Beginn der Vegetationsstadien – Blüte, Fruchtreifung, Blattverfärbung, Blattfall – hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verschoben. Die Haselblüte beginnt heute im Schnitt 17 Tage früher als in den Jahren 1961 bis 1990. Bei den Äpfeln sind es im Schnitt elf Tage“, so Birkert.
Der Winter hat – laut Deutschem Wetterdienst – statt 97 nur noch 74 Tage.
Frühere Blütezeiten bringen ökologische Risiken. Das seien nicht nur die Nachtfröste. Das betreffe auch die ökologische „Fehlanpassung“. Pflanzen, Insekten, Vögel und Wildtiere seien aufeinander angewiesen. Wenn aber eine Art schneller reagiere als die anderen, dann seien sie nicht mehr synchron. Bei mangelnder Anpassung führe das zum Sterben von Arten.
All das habe natürlich auch Auswirkungen auf den Obstbau und die Landwirtschaft insgesamt. Aber auch für Menschen mit Atem-wegsallergien sei eine Verschiebung der Pollenflugsaison eine neue Herausforderung.
„Im Hitzesommer 2003 stellten wir auf den Obstwiesen fest, dass erstmals schwarze Stellen auf der Rinde der Obstbäume zu finden waren. Die Ursache blieb lange unklar. 2013 stand durch die wissenschaftlichen Untersuchungen fest, es ist der Pilz ‚Diplodia mutila‘ – auch Rindenbrand genannt“, erläutert Birkert. Bisher trat der Erreger besonders bei Nadelbäumen auf. Es sei ein wärmeliebender Schwächeparasit. Deswegen trete er vermehrt nach trockenen Hitzesommern oder bei bereits vorhandenen Verletzungen auf. Junge Apfelbäume seien besonders betroffen. Eine Bekämpfung des Pilzes mit Fungiziden sei nicht möglich, da geeignete Pflanzenschutzmittel in Privatgärten nicht zugelassen seien.
„Dort, wo der Rindenbrand schon zu sehen ist, wird bald auch der Borkenkäfer folgen. Als Holz- und Rindenschädling treten die Borkenkäfer bevorzugt an geschwächten Gehölzen auf“, so Birkert. Als Gegenmaßnahmen – um den Verlauf des Rindenbrands zu verlangsamen – sei es wichtig, die Bäume ausreichend mit Nährstoffen und vor allem Wasser zu versorgen. Bei jungen Bäumen sei eine „Baumscheibe“ sinnvoll. Ein Weißanstrich sei auch hilfreich.
„Ich denke, die Folgen der Trockenheit der letzten Jahre werden wir erst in den Folgejahren sehen“, so Reinhard Birkert. „Wir benötigen ein gesellschaftliches Hilfesystem für unsere Kulturlandschaft. Sonst haben wir auf den Streuobstwiesen bald eine Situation, wie wir sie im Wald und in der Forstwirtschaft schon sehen.“
Im weiteren Rundgang ging Reinhard Birkert auf den Aufbau der Blüte ein und erläuterte den Bestäubungsvorgang der Obstbäume. Besonders bei den Äpfeln sei auf den Anbau verschiedener Apfelsorten zu achten, die eine Befruchtung erst möglich machen – denn Apfelbäume benötigen Pollen anderer Apfelsorten.
„Der Rundgang hat nicht nur über die aktuelle Situation der Obstbaumblüte informiert, sondern sollte auch die differenzierte ökologische Situation des Obstbaus in unserer Kulturlandschaft etwas erläutern“, zieht Birkert als Fazit.