Irmtraud Wiesner und Käpt’n Kork sind ein Erfolgsteam

Mit Papagei Käpt’n Kork unterwegs in Friedrichsdorfer Grundschulen und Kindergärten: Die „Lese-Oma“ Irmtraud Wiesner aus Köppern hat die Gabe, Kinder mit Geschichten zum Zuhören zu begeistern. Foto: a.ber

Friedrichsdorf (fw). Wenn Irmtraud Wiesner morgens in den Kindergarten kommt, ihr altes Glöckchen ertönen lässt und mit den Kindern zum Bilderbücher-Regal geht, dann wissen die Drei- bis Sechsjährigen: Die „Lese-Oma“ ist da und liest uns spannende Geschichten vor! Jedes Kind darf ein Buch seiner Wahl nehmen, die Bilderbücher werden auf einen Stapel gelegt, „und dann vermiete ich meine Knie und fange an vorzulesen“, erzählt Irmtraud Wiesner. Seit 2015 bietet die muntere 72-jährige Dame ihre Vorlesestunde in Kindergärten und Grundschulen in Friedrichsdorf und Umgebung an – die ehrenamtlich tätige Lese-Oma ist sehr gefragt und hält auch in Corona-Zeiten Kontakt zu den Einrichtungen, denn wenn die Einschränkungen endlich wegfallen, werde viel Bedarf an direkter Begegnung sein, so Irmtraud Wiesner.

„Hören, Fühlen, Sehen, Spüren“: Wenn Irmtraud Wiesner die beliebtesten Kinderbücher wie „Die kleine Raupe Nimmersatt“, „Findus“ oder die „Bremer Stadtmusikanten“ vorliest, dann tritt sie in direkten Kontakt mit dankbaren und offenen Kinderherzen: „Die Kinder sind zutraulich und oft wie verklärt von den schönen Geschichten“, sagt sie. In den sechs Jahren ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit hat die Lese-Oma selbst auch viele neue Bilderbücher und Geschichten kennengelernt: „Das Vorlesen hat auch mich selbst positiv verändert – und Kinder finde ich einfach toll!“ Klappt sie das gelesene Buch zu, entstehen meistens danach interessante Gespräche mit den Kleinen über Themen aus den Geschichten und die Erfahrungen der Kinder in ihrer Alltagswelt mit angesprochenen Problemen oder Freuden. Und Irmtraud Wiesner bringt dafür immer die nötige Heiterkeit und Geduld auf.

Dabei war ihr selbst eine Zeitlang in ihrem Leben die Heiterkeit und Geduld mit sich selbst und anderen verloren gegangen. In Friedrichsdorf familiär verwurzelt und zur Schule gegangen, rutschte die in ihrem Beruf als kaufmännische Angestellte im Textilfachhandel sehr erfolgreiche junge Frau, die ihre Prokura machte und in Personalführung und Einkauf großer namhafter Textilfirmen und -geschäfte in Frankfurt-Rödelheim, Heidenheim bei Ulm und Heidelberg tätig war, auf Messen ging und Kontakte knüpfte, in den Alkoholismus ab. „Ich brannte für meinen Beruf, aber irgendwann ging gar nichts mehr“, erinnert sich Irmtraud Wiesner an diese Zeit. 1979 kehrte sie in ihre Heimatstadt zurück und ließ sich in Köppern nieder. Sehr offen und mit analytischem Verstand erzählt sie heute über ihre schwere Erkrankung, aus der sie vor 24 Jahren mit Hilfe von Angehörigen und fachlicher Hilfe wieder herausfand. Irmtraud Wiesner machte eine Ausbildung als Suchtkrankenhelferin, leitete später zehn Jahre lang die Freiwillige Suchtkrankenhilfe Bad Homburg (FSH) und berichtete ehrenamtlich zweimal im Monat im Waldkrankenhaus Köppern anderen Suchtkranken mit viel Empathie und Authentizität von ihrer Krankengeschichte. Auch ihr Glaube gibt ihr Halt. In der evangelischen Kirchengemeinde Köppern fand die ursprünglich methodistisch erzogene Irmtraud Wiesner eine geistliche Heimat.

Aus der Kirchengemeinde heraus wurde sie vor sechs Jahren denn auch angesprochen und auf die Idee gebracht, sich als Vorleserin für Kinder zu betätigen. Durch ihre vielen Kontakte in Köppern und Friedrichsdorf wurde ihr neues Engagement schnell bekannt, mittlerweile ist sie in zehn Kindertagesstätten dort, an einer Grundschule und auch in Bad Homburg im Einsatz. „Wenn ich einkaufen gehe, begrüßen mich die Kinder schon mit ‚Hallo, Lese-Oma!‘, und die Kinder sind es, die meine Kreativität beflügeln, die mir so viel zeigen“, sagt Irmtraud Wiesner. Schnell wurde auch der Sozialverband VdK auf Wiesners Talent aufmerksam, der 2015 vom Hessischen Sozialministerium beauftragt worden war, in sozialen Brennpunkten Aktionen für Kinder und Jugendliche zu starten, um die Integration voranzubringen und jungen Menschen die Augen zu öffnen für das Miteinander mit der älteren Generation.

„Irmtraud Wiesner führte das Pilotprojekt für den VdK-Verband Hessen-Thüringen mit ‚Käpt’n Kork‘ durch, und durch ihr großes Netzwerk hat sie die Sache bereits zum Erfolg geführt“, sagt Jürgen Kremser aus Oberursel, seit 2012 hauptamtlich und ehrenamtlich als Bezirksjuniorenvertreter des VdK tätig. Gemeinsam mit Margot Kraft aus Oberursel und dem Verband arbeitete die Friedrichsdorfer Vorleserin vor vier Jahren anhand des kleinen Büchleins „Käpt’n Kork fliegt davon“ ein Konzept mit Vorlese-Einheit und einem Sensibilisierungs-Parcours aus, durch das junge Menschen unter anderem die Beschwernisse der älteren Generation kennenlernen und nachfühlen können. Mittlerweile treten Irmtraud Wiesner und Margot Kraft mit dem Plüschpapagei Käpt’n Kork und anderen Requisiten an Schulen und Kindergärten im ganzen Hochtaunuskreis auf, lesen die Geschichte vom kleinen Ben und seiner Großtante Irma vor, die zum Laufen einen Rollator braucht und die mit Ben auf die Suche nach ihrem entflohenen Papagei geht. Anschließend dürfen die Kinder und Jugendlichen ausprobieren, wie man sich im Rollstuhl, als blinder Mensch oder mit einem Rollator fortbewegt und in einem „Alters-Anzug“ spüren, wie schwer und beschwerlich sich alte Menschen oft fühlen. Irmtraud Wiesner hat im Corona-Jahr seit Frühjahr 2020 mehr als 300 Käpt’n Kork-Pappfiguren gebastelt, die bei ihr im Keller liegen, Rohlinge, die von Kindern fertig gestaltet werden können und auf ihren Einsatz warten. Die sympathische und fantasiebegabte 72-jährige Lese-Oma lacht und zeigt ein Bild, auf dem sie einen Grundschüler im Rollstuhl schiebt. Beide haben sichtlich viel Spaß dabei.



X