Kabarett „Distel“ stellt fest: „Wir gondeln auf der Titanic!“

Die Mitglieder des Kabaretts „Distel“ pusten Seifenblasen von der Bühne und stellen viele Fragen auch an ihr Publikum. Unter anderem: „Ouo vadis Welt?“ Foto: fch

Friedrichsdorf (fch). „Wer hat an der Welt gedreht?“, wollte das Ensemble des Kabarett-Theaters „Distel“ vom Publikum im Forum Köppern wissen. Der Untertitel lautete vielversprechend „Kabarett ohne rosarote Brille“. Und so wurde die „Zeitenwende“ beleuchtet. „Aber wohin und in welche Richtung geht es? Quo vadis Ampel? Quo vadis Heizkosten? Quo vadis Welt?“ Frank Voigtmann, Nancy Spiller und Stefan Martin Müller nahmen ihr Publikum mit auf eine rasante Reise durch die Themen und Widersprüche dieser Zeit. Die beleuchteten sie von unterschiedlichen Seiten mit kritischem Blick und scharfsinnigen Kommentaren. Für den perfekten Sound sorgten Schlagzeuger Matthias (Felix) Lauschus und Pianist Fred Symann. Bei einem Programmpunkt stellten die Künstler auf der Forum-Bühne die erste Leseprobe ihres neuen Programms nach. Das solle im Februar vor der Bundestagswahl seine Premiere haben, erklärten sie. „Vor diesem Hintergrund ist das Programm unvorhersehbar“, schilderte Stefan Martin Müller die Nöte eines Kabarettisten, „In der momentanen Situation ist alles offen und möglich.“ Und so erörterte und stritt er mit seinen Kollegen über Themen wie Klimarettung, Krieg, Flüchtlinge, Gendern, Elektromobilität, Political Correctness, kulturelle Aneignung und die AfD, die Ergebnisse wie bei Honecker einfahre.

Dabei sei doch alles so gut gelaufen, wunderten sich die Künstler auf dem Podium: „Deutschland war immer auf der Sonnenseite der Globalisierung. Mit Billigfliegern ging es in Billigmode aus dem Süden, ab in den Süden. Die Energie für wenig Kohle kam aus dem Osten. Abends ging es erst zum Syrer essen und dann wurde aus Neugier Krieg bei „ZDF History“ oder Inflation bei „Babylon Berlin“ geguckt. Wen das Gewissen plagte, der schickte seine Kids zu „Fridays for Future“-Demonstrationen und ging selbst ins Kabarett. Da haben wir gut gelaunt über unsere verhängnisvollen Fehler gelacht. Vorbei, denn wir schreiben das Jahr 2024. Nichts ist mehr so, wie es war.“ Früher seien die Grünen die Schamanen Deutschlands gewesen. Heute würden sie nur noch ihre Identität pflegen, seien transformiert zu den üblichen macht-hungrigen politischen Standardspießern. Zur Wirtschafts- und Klimakrise lautete die Botschaft: „Wir haben immer gedacht, nur die Marktwirtschaft kann uns retten. Heute wissen wir, dass wir in keinem Rettungsboot gondeln, sondern auf der Titanic. Und vor uns der Eisberg, aber wenn wir Schwein haben, ist der Klimawandel schneller als wir.“ Die Förderung von Lithium sei ein unendliches ökologisches Desaster, aber bei Tesla gehe es vor allem um eins, um Money. Damit der globale Kapitalismus wieder funktioniere, brauche er einen Krieg oder eine Abwrackprämie. Wäre das Internet ein Land, dann wäre es nach den USA und China auf dem dritten Platz der Umweltverschmutzer und Klimakiller. Und die Textilindustrie sei nach der Ölindustrie die zweitdreckigste Industrie. Vor diesem Hintergrund waren Slogans wie „Nachhaltigkeit ist hipp“ und der Kauf von Second-Hand-Klamotten „ich bin mein eigener Kreislauf“ fragwürdig. Mit Clownsnasen und Seifenblasen verkündeten die Kabarettisten: „Die EU ist ein bisschen so wie die kleine DDR. Keiner kann sie leiden, keiner kann sich damit identifizieren. Besser wäre es gewesen, man hätte die EU nicht in Europa, sondern woanders im Kleinen ausprobiert.“

Ohne Internet, Tinder, übertriebener politischer Korrektheit und den sprachlichen Stress, den dies alles mit sich bringt, sei früher alles einfacher gewesen, meinten die Distelmitglieder. Voigtmann hielt das Gendern für ein zwingendes Muss, allein schon deshalb, um sich nicht um eine wirkliche Gleichberechtigung kümmern zu müssen. Da verfiel er lieber in absurde Formulierungen wie: „Heute gehört es sich, dass wir als Hörer auch Hörerinnen im Radio hören.“ Und erntete dafür beißende Kritik von seinen Kollegen. Zwischen Pianist Symann und Kabarettistin Spiller entzündete sich ein Streit an den Besuchen der Schlagerstars Roy Black und Roberto Blanco bei der Distel vor einer halben Ewigkeit. Symann solle damals gefeixt haben: „Wie kann es sein, dass der eine heißt, wie der andere aussieht?!“ Spiller wetterte, dass Symann die Unterdrückung von Roberto Blanco nicht erlebt habe. Darum dürfe er so etwas nicht sagen, er habe wohl eine Nähe zu Pegida. Sie sprach sich für ein Auftrittsverbot des Pianisten aus. Sie habe ja schließlich das Recht, ihre Meinung zu sagen. Für Müller und Voigtmann hatte das jedoch nichts mit Meinungsvielfalt zu tun, sondern nur damit, die eigene Weltsicht ohne Widerspruch durchzuboxen. Sie plädierten dafür, sich miteinander zu zoffen und dabei einander zuzuhören.



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