Trotz „Corona“ und trotz Brexit endlich wieder Musik

Glashütten (kw) – Am 20. Juni 2020 gab das „Trio Schneider“ unter dem Titel „What about Brexit?“ in Glashütten ein Konzert mit europäischer Barockmusik. Für Künstler und Publikum war es das erste Konzert seit Beginn der Einschränkungen zur Pandemiebekämpfung im März, und man merkte allen die Freude und Erleichterung an, dass es nun wieder lebendige, unmittelbar zu erlebende Musik gibt – freilich mit den bekannten Vorsichtsmaßnahmen, die natürlich auch im Bürgerhaus Glashütten eingehalten wurden.

So durften nur 30 Personen zugleich im Saal Platz nehmen, weswegen das Trio bereit war, unter Verzicht auf eine Pause innerhalb des Programmes das Konzert zweimal hintereinander zu spielen – eine sehr großzügige Geste, die immerhin 60 Menschen dieses besondere Musikerlebnis bescherte (man hätte unter anderen Umständen wesentlich mehr Karten verkaufen können).

Dabei machte das sonnige Wetter mit einem frischen Wind an diesem ersten Sommertag das hygienisch vorteilhafte gründliche Lüften leicht, und mit frischem Wind im Wortsinn führte Prof. Michael Schneider auf verschiedenen Blockflöten durch das Programm. Für ihn, seine Frau Annette (Barockcello und Gambe) und Sabine Bauer (Cembalo) war es erstaunlicherweise der erste Auftritt bei einem Konzert des Kulturkreises Glashütten, obwohl das Ehepaar hier schon seit 1993 lebt – vermutlich ließen ihm die vielfältigen Verpflichtungen (Professur an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt, Leitung des Kammerensembles „Camerata Köln“ und des Barockorchesters „La Stagione Frankfurt“, Gastdirigate bei anderen Orchestern und über 100 CD-Einspielungen) bisher keine Zeit dazu.

Ein „Ground“ des Engländers William Croft (1678-1727), seinerzeit Organist an Westminster Abbey, markierte den Konzertbeginn. Ground bezeichnet ursprünglich eine mehrmals wiederholte Basslinie, am ehesten vielleicht einem „Riff“ in der heutigen Musik vergleichbar. In England wuchs daraus eine ganze Gattung, die dann Komponisten überall in Europa aufgriffen und in ihr Werk einfließen ließen.

Michael Schneider führte äußerst unterhaltsam und lehrreich durch das abwechslungsreiche Programm und stellte als nächsten Komponisten Andrew Parcham vor, von dem nur sein Name und ein einziges Musikstück bekannt sei, nämlich das folgende „Solo“ für Blockflöte und Basso continuo. Danach gab eine Cembalo-Suite des Franzosen Charles Dieupart (ca. 1667- ca.1740) Sabine Bauer Gelegenheit, ihr auch optisch wunderschönes Cembalo vorzustellen, das ihr Ehemann Matthias Griewisch nach einem Vorbild aus dem Jahr 1624 von Ioannes Ruckers gebaut hat. Ein besonderer Augenschmaus für das Publikum war das Landschaftsgemälde, das die Innenseite des Deckels ziert und wie selbstverständlich zur umgebenden Taunuslandschaft passte.

In Abänderung des ursprünglichen Programmes folgte danach eine Sonate für Gambe und Cembalo von Carl Friedrich Abel (1723-1787). Er galt als letzter großer Gambist, bevor dieses Instrument bis ins 20. Jahrhundert von den Konzertpodien verschwand. Annette Schneider präsentierte die Sonate auf ihrem reich mit Griffbrett-Intarsien verzierten Instrument und ließ dessen ganz eigenen, fließenden Klang den Saal erfüllen.

Danach spielte das Trio die Sonate für Alt-Blockflöte und Basso continuo in g-Moll von Giuseppe Sammartini (1695-1750), einem Oboisten, den Händel in London hörte und bewunderte. Die alte Streitfrage, ob Georg Friedrich Händel nun Deutscher oder Engländer sei, beantwortete Michael Schneider angesichts seiner Kompositionen salomonisch: Er war Italiener! Seine Sonate für Alt-Blockflöte und Basso continuo in d-Moll (HWV 376a) zelebrierten die drei in der für ihn typischen barocken Klangpracht.

Natürlich durfte Musik von Henry Purcell (1659-1695), dem sicher berühmtesten eindeutig britischen Komponisten dieser Zeit, an diesem Abend keinesfalls fehlen, er war durch einen „Ground“ auf dem Cembalo vertreten.

Die angekündigte Gambensonate von Tobias Hume entfiel, stattdessen stellte Annette Schneider nun auch ihre Diskantgambe mit einer Sonate von Gottfried Finger (1660-1730) vor. Jacob van Eyck (um 1590-1657) war blind, hatte aber dafür ein überaus scharfes, von seinen Zeitgenossen gepriesenes Gehör. In Utrecht bot man ihm eine Gehaltserhöhung, wenn er die Spaziergänger auf dem Kirchhof mit seinem Blockflötenspiel erfreute, darunter die „Englische Nachtigall“, die Michael Schneider auf der Sopran-Blockflöte köstlich zwitschern ließ. Der Titel verweist auf ein damals bekanntes Volkslied, und „englisch“ kommt in diesem Fall von „Engel“. Abschließend erklang die Sonate „La Follia“ (die Verrückte) von Arcangelo Corelli (1653- 1713), quittiert von so kräftigem Beifall, wie ihn 30 Menschen nur zustande bringen können. Sie bedankten sich für ein wirklich besonderes Konzert von höchster künstlerischer Qualität, das den Blick auf die ungeheure Vielfalt des Barock weitete und dabei quicklebendig und erfrischend wie der Sommerwind die Zuhörenden einfach nur erfreute.



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