Backen in Ruppertshain: Das sind 125 Jahre Heimatgeschichte

Selbst aus der Zeit der Blüte des Kelkheimer Holzhandwerks gibt es nichts Ähnliches, einen Handwerksbetrieb, der 125 Jahre besteht und sich dazu nach wie vor in der Hand der Gründerfamilie befindet. Diese Familie schreibt damit ein langes Stück der Heimatgeschichte nicht nur Ruppertshains, sondern damit auch Kelkheims. Wir sprechen von der Bäckerei und Konditorei Peter Neuhaus in der Wiesenstraße. Das war der Anlass für einen Tag der offenen Tür, der sich vom Abend des 3. Oktober bis in den Mittag des 4. Oktobers hinzog. Mit Kunden, die sogar nachts um zwei, um drei oder um vier sich eine weiße Hülle überstreifen ließen und die Arbeit in einer Backstube erlebten. „Ein Brot bitte, und noch fünf Brötchen, haben Sie auch andere Teilchen?“ Leicht gesagt an der Theke des Ladens, doch was einige Stunden vorher „im Hintergrund“ los war, das begriffen die Besucher erst, als sie den Bäckern um den doppelten Bäckermeister Peter Neuhaus auf die flinken Hände schauten.

Genau 850 Brötchen, 48 Roggenbrote, 50 Mischbrote, 40 Spezialbrote und wer weiß noch was sonst alles entstanden in dieser Nacht. Nicht mal so eben, sondern nach einem ausgeklügelten Plan in Handarbeit, unterstützt natürlich von etwas moderner Technik, die es 1889 noch nicht gab, als Johann Adam Karl Neuhaus nach der Bäckerlehre am Römer 1889 in der Borngasse die dritte Bäckerei in Ruppertshain eröffnete. Wie gesagt: Heimatgeschichte. Denn elektrischer Strom war ein Fremdwort damals, ein Backofen wurde mit Holz geheizt, das aus dem Wald geholt werden musste. Der erste Kundenstamm: Die Bauleute, die beim Bau der Lungenheilstätte dabei waren, dann vor allem die Bauern der Umgebung, die hier in der „Lohnbäckerei“ – wie auf dem Land üblich – Mehl zum Bäcker brachten, um Brot und Kuchen backen zu lassen. In der Chronik steht zu lesen: „Es erforderte eine hohe Kunst des Bäckers, diese unterschiedlichen Mehlqualitäten auszugleichen, besonders in schlechten Erntejahren“.

Heute wie damals: Jedes einzelne Stück wird angefasst, geknetet: Handarbeit. Und der Brotteig kommt auf die Waage: Damit alles seine Ordnung hat. Der erste Peter Neuhaus als zweiter Sohn beginnt den Bäckerberuf, weil der Älteste meinte, dass er wohl „net fers uffstehe“ geschaffen sei und deshalb lieber Sattler wurde. Das war aber schon, als es seit 1914 Strom in Ruppertshain gab und die erste Maschine gekauft wurde, eine „Drehhebelknetmaschine“.

Es sollen hier nicht die Misshelligkeiten aus den Kriegsjahren ausgebreitet werden, als es Mehlmischungen aus Gerste. Hafer, Mais und Kartoffeln gab, doch 1959 kaufte Otto Neuhaus, der Enkel des Gründers eine „elektrische Brötchencluvmaschine“ und weitere Maschinen folgten. Und trotzdem bleibt die Handarbeit in diesem Handwerksbetrieb, der 125 Jahre überdauerte.

Heute ist Urenkel Peter Neuhaus Chef, zweifacher Meister, der in Frankfurt in einer Konditorei lernte, seit 1977 verheiratet mit Barbara, die heutzutage morgens unterwegs ist, um Kunden in Eppenhain, Schloßborn und natürlich in Ruppertshain zu beliefern. (Auf dem Bild oben, linke Bildhälfte).

Heimatgeschichte. Dazu gehört auch das Engagement im Ehrenamt, in der Kirchengemeinde, in der Feuerwehr. So gibt es noch kurze Zeit ein Jubiläumsbrot. Von dem Preis werden 50 Cent abgezweigt als Spende zur Hälfte für den Kindergarten und den Förderverein der Rossertschule. Die Schränke reichen kaum noch aus, um die Medaillen unterzubringen, die es bei den Brot- und Stollenprüfungen gab. Beim Erntedankfest am 12. Oktober wird auf dem Rettershof wieder gebacken, am 28. November (Erster Advent) steht der Stollenprobiertag im Programm.

Zur Feier des Jubiläums gab es einen Luftballonwettbewerb für die Kleinen. Und da zeigt sich eine Bäckerei im Wandel der Zeit: Für die Sieger wird am 21. Oktober ein Importrezept aus Italien gebacken: Pizza.

Übrigens, Auswanderer aus Ruppertshain und Ruppertshainer, die es beruflich ins Ausland verschlug, lassen sich nach wie vor bis über den Äquator Gebackenes aus Ruppertshain schicken.

Und dem Tag der offenen Tür entsprechend gibt es eine Liste der Produkte, in der alle Zutaten aufgeführt sind.

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