20 Jahre Video Paradies in Kelkheim: Erinnerungen an eine goldene Ära

Hans-Peter war in den 90ern ein guter Kunde bei Stefan Gennat. Heute kommt er nur noch selten vorbei.Foto: privat

In einer Zeit, bevor Streaming-Dienste und Online-Videos die Welt eroberten, gab es einen magischen Ort, an dem Filmfans ihre Abenteuer begannen: das Video Paradies in Kelkheim. Dieser charmante Videoladen wurde schnell zu einem lokalen Juwel und einem Treffpunkt, an den sich nicht nur die Einwohner Kelkheims noch heute mit einem Lächeln erinnern. Die Geschichte des Video Paradieses ist eng mit Stefan Gennat verbunden, dem seine Liebe zur VHS-Kassette den Weg zur Videothek ebnete. Doch der Reihe nach.

Die Anfänge

Die VHS-Kassette, kurz für Video Home System, eroberte die heimischen Wohnzimmer erstmals im Jahr 1976. Entwickelt von JVC, setzte sich das System schnell weltweit durch und wurde zum Standard für private Videorekorder. Die Hochzeiten der VHS-Kassette waren in den 80er und den frühen 90er Jahren. In dieser Zeit erreichte VHS den Höhepunkt seiner Popularität und war das dominierende Heimvideoformat. Es war die Zeit, als Videorekorder in den meisten Haushalten zu finden waren und Videotheken florierten.

Die Geschichte des Video Paradies beginnt in den frühen 1990er Jahren. Der Laden öffnete am 13. August 1994 seine Türen mit dem simplen, aber ambitionierten Ziel, den Menschen in Kelkheim eine breite Auswahl an Filmen zu bieten, die ihre heimischen Bildschirme zum Leuchten bringen würden.

Eine Videothek entsteht

Stefan Gennat, eigentlich gelernter Lackierer, hatte sich somit den Traum von der Selbstständigkeit erfüllt, nachdem er durch eine Erkrankung seinen ursprünglichen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Und was lag näher, als die Videothek in der Scheune direkt an seinem Wohnhaus zu eröffnen. „Wir haben damals in der Nachbarschaft gewohnt und die Besitzer der Hofanlage hatten keine eigenen Kinder. Mein Bruder und ich waren für die beiden so etwas wie die Enkelkinder, die sie nie hatten“, erzählt Gennat. Am Ende ihrer Tage schenken sie den beiden Brüdern das Wohnhaus mit anliegender Scheune – in der etwa 12 Jahre später das Video Paradies entstand.

Mit Hilfe von Freunden wird die ehemalige „Scheuer“ zur Videothek umgebaut, die erste Einrichtung bekommt Gennat geschenkt. Im Laufe der Jahre wird immer mal wieder nachgebessert, erweitert – und die Auflagen der Polizei müssen erfüllt werden. „Ich musste eine zweite Tür einbauen wegen dem Bereich ,ab 18’. Da durften schließlich keine Kinder rein“, schwelgt Gennat in Erinnerungen. Sowieso hatte ihn die Ordnungsbehörde wohl etwas oft auf dem Kicker, „aber ich habe immer alle Auflagen erfüllt, sonst hätte ich wohl auch nicht 20 Jahre voll gemacht“.

An den allerersten Film, den er verliehen hat, kann er sich noch wie gestern erinnern. „Das war ,Tödliche Nähe’ mit Bruce Willis. Ein Klassiker.“ An die Videos kommt der Kelkheimer, weil in Deutschland in vielen Städten ein Videothekensterben eingesetzt hat. „Ich bin zu den Auflösungen und hab mir die Rosinen rausgepickt.“

Vom ersten Tag an strömten Filmbegeisterte in den Laden, auf der Suche nach den neuesten Blockbustern, Klassikern und verborgenen Perlen des Kinos. Mit 900 Filmen fing alles an, inzwischen sind es wesentlich mehr. VHS-Kassetten sind heute nicht mehr gefragt, obwohl sie bei Gennat noch zu finden sind. „Es gibt aber Liebhaber, die auch heute noch bei mir vorbeikommen, weil sie wissen, dass sie bei mir fündig werden.“ Überhaupt hat Gennat ein großes Einzugsgebiet, auch heute noch. Kunden kommen aus Frankfurt, Darmstadt oder den umliegenden Gemeinden.

Das Repertoire ist umfangreich – im Video Paradies findet man die neuesten Blockbuster ebenso wie die echten Klassiker von Hitchcock und Sergio Leone. „Wichtig war es mir immer, die Disneyfilme im Angebot zu haben. Nicht jeder kann sich den Besuch im Kino leisten, heute noch viel weniger als früher.“

Ein Paradies für Filmfans

Das Video Paradies wurde schnell mehr als nur ein Verleihgeschäft. Es wurde zum Treffpunkt für Freunde und Familien, die sich für einen Filmabend eindeckten. Es war ein Ort des Austauschs, an dem man mit Stefan Gennat über die neuesten Filmempfehlungen plaudern und wo jeder einen Film finden konnte, der seine Stimmung traf – ob es nun eine romantische Komödie, ein spannender Thriller oder ein actiongeladener Blockbuster war.

Die Magie des Verleihens

Die echte Magie des Video Paradies lag in seiner Atmosphäre. Die Regale waren prall gefüllt mit Hunderten von VHS-Kassetten, später mit DVDs und Blu-Rays – jede sorgfältig katalogisiert. Es gab ein besonderes Gefühl des Abenteuers, wenn man zwischen den Regalen umherwanderte, sich die Filmcover ansah und gespannt auf den nächsten Film stieß, der einen verzaubern würde. Und dann war da natürlich der Moment, in dem man die Kassette endlich in den Videorekorder schob und gespannt auf „Play“ drückte.

Kein billiges Geschäft

„Reinfuchsen“ musste sich Stefan Gennat in das Geschäft. „Ich hatte ja keine Ahnung, wo ich die Filme herbekomme und ob ich verleihen darf oder nicht.“ Und es ist ein teures Vergnügen. „Der Film ,Tödliche Nähe‘ kostete damals zum Beispiel 139 D-Mark plus Mehrwertsteuer.“ Er habe Jahre gebraucht, um in dem Geschäft „durchzusehen“ und zu bestehen. Heute hat Gennat 7.000 DVDs im Verleih, gleichzeitig aber auch eine riesengroße Auswahl an Verkaufsfilmen (3.000 DVDs), die auf Filmliebhaber warten. „Wenn man alles zusammennimmt – VHS und DVD –, dann habe ich über 15.000 Filme im Verleih oder Verkauf. Für eine so kleine Videothek wie meine ist das schon beachtlich.“ Hinzukommt, dass Gennat inzwischen auch im Internet verkauft.

Ein Abschied mit Wehmut

Mit der Verbreitung von Streaming-Diensten, aber auch dem Alter geschuldet, ist am Ende des nächsten Jahres Schluss für Stefan Gennat – er geht in den wohlverdienten Ruhestand und das Video Paradies schließt seine Pforten für immer. Ab Januar startet der große Abverkauf. Wer also Lust hat, ein wenig in Erinnerungen zu schwelgen und das eine oder andere Video-Schnäppchen für das Heimkino zu erhaschen, der sollte dem Video Paradies einen Besuch abstatten. Denn die Ära geht zu Ende. Doch die Erinnerungen an die goldene Zeit des Videokonsums bleiben unvergessen. Die Geschichten, die Freundschaften und die magischen Filmabende, die im Video Paradies ihren Anfang nahmen, sind für immer im Herzen der Kelkheimer verankert.

So bleibt das Video Paradies ein Symbol für eine Zeit, in der Filme eine persönliche und gemeinschaftliche Erfahrung waren. Ein Ort, an dem sich Geschichten entfalteten und Träume wahr wurden – und an den man immer wieder gerne zurückdenkt.

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