„Demokratie ist kein bloßer Besitz, sondern muss aktiv verteidigt werden“

1.200 Menschen kamen vor das Kelkheimer Rathaus, um ein Zeichen zu setzen. Sie wollen nicht mehr die schweigende Mehrheit sein, sondern ihre Stimme erheben gegen die demokratiefeindlichen Tendenzen in Deutschland. „Niemals wieder ist jetzt“ und „Liebe statt Hass“ sind nur einige Parolen, die von der Masse skandiert wurden.Fotos: Judith Ulbricht

Kelkheim (ju) – Langsam füllt sich der Platz vor dem Rathaus - jungen Familien, Schüler, Rollstuhlfahrer, ältere Mitbürger, Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund – ein Querschnitt der Gesellschaft findet sich ein, um ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen gegen Rechtsextremismus, Rassismus, faschistische Ideologien.

„Kelkheim schweigt nicht“

„Kelkheim schweigt nicht“, unter diesem Motto hatten der Ausländerbeirat, die Stadt, die Schulen und die Kirchen zum friedlichen Protest aufgerufen und 1.200 Menschen folgten diesem Aufruf. Auf Plakaten zeigten sie ihren Widerstand. „Wir sind hier, weil wir nicht mehr schweigen wollen. Weil wir nicht tatenlos zusehen wollen, wie wir wieder Verhältnisse wie ’33 bekommen“, erklärt ein älteres Ehepaar. Und die Menge ist nicht mehr leise. „Die Bürger erheben ihre Stimme gegen Rechtsextremismus, Rassismus und das ist gut so“, eröffnet dann auch Bürgermeister Albrecht Kündiger die Demonstration, bevor er das Wort an Julia Ostrowicki weitergibt. Die Stadverordnetenvorsteherin appelliert in einer bewegenden Rede an den Zusammenhalt der Menschen und an unsere Pflicht dieses „Niemals wieder“ auch wirklich niemals wieder zuzulassen. „Wir haben die Pflicht, aufzustehen und zusammenzustehen gegen Rechtsextremismus, gegen Ausländerhass, gegen Frauenverachtung und gegen Homophobie, deshalb freue ich mich, dass wir hier zusammengekommen sind, um ein Signal zu setzen. Um zu zeigen: Kelkheim ist wachsam, Kelkheim steht auf, unser Kelkheim ist vielfältig, das lassen wir uns nicht nehmen - von niemandem!“ Und Kelkheim steht hinter ihr. Das beweist immer wieder aufbrausender Applaus.

Die Vorsitzende des Ausländerbeirats, Salome Korschinowski ist „stolz, Kelkheimerin zu sein“. Ihre folgenden Worte sind allerdings anders als die ihrer Vorrednerin. Korschinowski, die seit 18 Jahren in Kelkheim lebt, weiß, wovon sie redet, wenn sie über erlebten Rassismus berichtet. Und sie fragt die Menge, ob sie wirklich erschrocken darüber sei, „dass heute wieder Hass und Hetze verbreitet werden? Seid ihr wirklich erschrocken darüber, wenn wieder „Ausländer raus“ gerufen wird?“ Sie steht etwas hilflos dort oben auf dem Balkon des Rathauses und fragt sich, was sie ihren hier geborenen Kindern sagen soll, wenn diese hören, sie sollen dorthin zurückkehren, woher sie gekommen sind. „Diese Menschen machen mir keine Angst, viel mehr habe ich Angst vor denen, die sagen ‘ja, aber ...‘.“ Ihr Appell ist ähnlich dem von Ostrowicki – Aufstehen, die Geschichte nicht vergessen und vor allen Dingen laut sein, laut gegen die ewig Gestrigen, laut gegen die laute Minderheit.

Schüler stehen für Vielfalt ein

Dass sich nicht nur Erwachsene der Situation in der sich Deutschland gerade befindet, bewusst sind, bewiesen die Schulsprecher aller drei weiterführenden Schulen, die es sich nicht nehmen ließen, ein paar Worte an die Menschen zu richten. Colin von der Gesamtschule Fischbach berichtete anschaulich von dem Menschenhass, der ihm und seinen transsexuellen Freunden entgegenschlägt. „Das geht soweit, dass einige nicht mehr leben wollen. Da kann ich nicht tatenlos zusehen. Ich will nicht mehr schweigen“, bringt er seine Emotionen zum Ausdruck. Mit einem Zitat aus dem Song „Dunkles Kapitel“ von Max Herre bringt es der Schüler auf den Punkt:

„Dunkles Kapitel unserer Geschichte

Gestern noch Bilder in schwarz-weiß

Jetzt übertragen sie es in Farbe“

Colins Aufruf: „Wir müssen ein Zeichen setzen. Ich will das nicht in Farbe erleben!“

Liljana und Max vom Privatgymnasium Dr. Richter berichten von der Vielfalt an ihrer Schule, die sie erst zu dem macht, was sie ist. „Wir haben viele verschiedene Religionen, Herkunftsländer, Hautfarben an unserer Schule, aber uns eint etwas: das Zusammenstehen für die Gesellschaft. Wir wollen gemeinsam eine Zukunft schaffen ohne Hass und Verfolgung“, erklärt Max und Liljana fügt an, dass Vielfalt die Grundlage für ihre Schule, aber auch für das ganze Land sei. Sie fordert die Menschen auf, wählen zu gehen und sich vorher eingehend mit den Wahlprogrammen der Parteien zu beschäftigen, „denn jede Stimme zählt.“

Einen starken Satz prägte Ben, Schulsprecher der Eichendorffschule. „Demokratie ist kein bloßer Besitz, sondern muss aktiv verteidigt werden“, so seine Aufforderung an die Menge. Er sei dankbar dafür, dass er in einem geeinten Europa in Frieden aufwachsen könne und „das darf nicht von der AfD zerstört werden“, so seine mahnenden Worte. Diese Demo gäbe ihm aber einen Hoffnungsschimmer in dieser unsicheren Zeit und gemeinsam mit seinen Vorrednern setzt er auf die Jugend, die sensibilisiert ist und die Zeichen der Zeit erkannt hat.

Dass Hass keine Meinung ist, hob Pfarrerin Elisabeth Paulmann als Vertreterin aller Kirchen in ihrer Rede hervor. „Hass kann man nicht mit Hass beantworten, deshalb antworten wir den Demokratiefeinden: Ganz Kelkheim liebt die Demokratie.“

Weitere Artikelbilder



X