Schon von weitem ist Manfred Russ zu hören. Er knattert mit seiner „Heinkel-Perle“ die Egerländer Straße in Fischbach entlang, um dann mit elegantem Schwung in den Hof von Patrick Karger einzubiegen und das gut 65-jährige „Schätzchen“ behutsam abzustellen. Und so nach und nach trudeln die anderen Heinkel-Motorroller-Liebhaber und -Besitzer ein – zu ihrem „Schraubertag“.
Diese Tradition wird schon seit Jahren hochgehalten. Zum Beginn der Saison treffen sich die Heinkeler bei einem ihrer Stammtischbrüder und machen die Maschinen startklar für den Sommer. Das passiert normalerweise im April, da aber dieses Jahr das Wetter nicht mitspielen wollte, verschob man das Treffen ein wenig nach hinten. „Dann wird das Anheinkeln (erste Ausfahrt) vermutlich Anfang Juni stattfinden“, verrät Patrick Karger.
Die Männer und eine Frau gehören dem Heinkel Club Deutschland an, der heute rund 5.000 Mitglieder hat und damit einer der größten markengebundenen Oldtimerclubs in Europa ist. Organisiert sind sie im Regional-Club „Heinkel-Freunde Rhein-Main“, treffen sich monatlich zum Stammtisch in Mörfelden. Mit ihren Heinkelfahrzeugen fahren sie insgesamt circa 25.000 Kilometer pro Jahr beziehungsweise pro Saison.
Immer unterwegs
Reiner Nützel war gerade mit seinem Heinkel Tourist mit Beiwagen (Heinkel Tourist Gespann) am Nordkap – 8.500 Kilometer mit einem Tank von 10 Litern, einem Ersatzkanister mit 10 Litern und der festen Überzeugung „Der packt das!“. Vier Monate war er unterwegs, mit Eindrücken, die man als „normal“ Reisender wohl so nie sammeln würde oder könnte.
Manfred Russ, der Mann mit dem kleinsten Spross der Heinkel Familie, ist stolz auf seine „Perle“. Von ihr wurden 27.000 Stück produziert und heute gibt es vielleicht noch 150 von ihr – weltweit. Der ehemalige Besitzer einer Aluminiumgießerei ist zuständig für die Ersatzteilversorgung und bei seinen Kollegen stark nachgefragt. Die Schrauberei an den Rollern haben sich alle selbst erarbeitet. Hier ist keiner Kfz-Meister, jeder hilft jedem, mit dem, was er kann. Michael Bonk ist mit seinem Original Heinkel Polizeiroller gekommen und ist begeistert von seinem Hobby und dem Support untereinander. „Heute bin ich hier, weil ich ein technisches Problem habe und mir hier Hilfe erhoffe.“ Dass er die bekommt, ist selbstverständlich. Doch erstmal kümmern sich „Stammtischhäuptling“ Carsten Stahlhofen und Peter Henrichs um einen anderen Roller, bei dem die Zündung nachgestellt werden muss. Eine Kleinigkeit für die beiden „Fachleute“, die schnell mal das Chasis abbauen (was erstaunlich einfach geht) und loslegen.
Jürgen Scheld ist einer der Wenigen, der seinen Heinkel Tourist, Baujahr ‘60, mit Beiwagen in zweiter Generation besitzt. „Das kommt nicht ganz so häufig vor, weil viele erst später zu dem Hobby und der Bestimmung Heinkel Roller kommen“, erzählt er. Er hatte Glück und darf jetzt ein wahres Schätzchen sein Eigen nennen, denn der Tourist mit Beiwagen ist auch eher seltener. „Als mein Vater vor 20 Jahren starb, fand ich in der Garage diesen Roller. Ich hatte keine Ahnung wie ich den starten kann und holte mir Hilfe beim Stammtisch.“ Seitdem ist er „infiziert“. So wie alle anderen auch, die diesen „Schraubertag“ sichtlich genossen und mit einer kleinen „Runde durch den Ort“ abschlossen.
Geschichte
Am 1. Dezember 1922 gründete Ernst Heinkel in Rostock-Warnemünde sein eigenes Unternehmen, die Ernst Heinkel Flugzeugwerke. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die meisten Produktionsanlagen der Ernst Heinkel AG (Rostock) demontiert. Zum Neubeginn ab 1950 produzierten die Heinkel-Werke in Stuttgart zunächst Motoren und ab 1952 ein Moped mit eigenem Zweitaktmotor. Ab 1953 wurde der Heinkel Tourist gebaut, 1954 die Produktion ins neue Werk nach Karlsruhe verlegt, wo er bis Ende 1965 hergestellt wurde.
Er wurde in den frühen Jahren des deutschen Wirtschaftswunders zu einem beliebten Fortbewegungsmittel. Wer sich noch kein Auto leisten konnte, aber weder einen der üblichen Zweitakt-Roller noch ein Moped oder ein Motorrad fahren wollte, entschied sich häufig für einen Heinkel Tourist.
Von den mehr als 160.000 produzierten Heinkel Tourists waren 2015 in Deutschland noch mehr als 7000 zugelassen. Da es auf dem deutschen Markt nur noch wenige aktive Hersteller für Motorroller gibt, ist die Marke Heinkel damit kurioserweise nach wie vor eine der häufigsten in Deutschland.
1955 erweiterten die Heinkel-Werke in dem zugekauften Fabrikgebäude in Speyer das Sortiment um drei-, später vierrädrige Rollermobile („Kabine 153“ und „Kabine 154“) sowie das verbesserte Moped „Perle“. (Quelle Wikipedia)