Gedanken zum Volkstrauertag 2021 – Ruppertshainer Schicksale mahnen

Ein Foto des Massenbegräbnisses, bei dem auch Alfred Hilz beigesetzt wurde. Foto : privat

1941, also vor 80 Jahren, wurde der 1939 von Deutschland losgetretene Krieg zum Weltkrieg. Noch vor dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 erfolgte im Mai die Besetzung Griechenlands und Jugoslawiens und im Dezember desselben Jahres erklärte das Deutsche Reich den USA den Krieg.

Heute, 80 Jahre danach, ist uns allen bewusst, was daraus geworden ist. Anders als andere europäische Kriege strebte der Zweite Weltkrieg nicht nur den Sieg über das gegnerische Militär, sondern die Vernichtung und Versklavung ganzer Völker an. Der Tod und das Elend der Zivilbevölkerung in den angegriffenen Gebieten war kein Kollateralschaden, das erklärte Kriegsziel war die Massenvernichtung von Menschen. Die Ermordung von Juden, Sinti und Roma war nur in diesem Ausmaß möglich, da diese in unterworfenen Gebieten lebten.

Zwei Schicksale von Ruppertshainer Soldaten sollen uns mahnen:

Da ist zum einen Alfred Hilz, der am 6.6.1926 geboren wurde und schon mit viel zu jungen 18 Jahren an der Front kämpfte. In einem Brief an seine Eltern schreibt er am 4.8.1944 aus Ostpreußen: „Hab gerade nun etwas Zeit und will Euch ein paar Zeilen schreiben. Ihr werdet lange Zeit keine Post erhalten haben. Das kommt daher, weil wir am 27. Juni unsere Stützpunkte bei Minsk verlassen mussten. Wir sind dann fast 1.000 km gelaufen und sind jetzt in Ostpreußen. Von hier aus geht es jetzt wieder zum Einsatz. Ich schreibe in einer Scheune, daher die Schrift. Seid für heute recht herzlich gegrüßt und Grüße an Alle. Alfred“.

Am 7. August 1944 fand Alfred Hilz bei Straßenkämpfen in Warschau den Tod. Sein Kamerad Helmut Senf war bei seinem Ableben bei ihm. Er beschreibt in einem Brief an die Eltern, dass Alfred schon wenige Sekunden nach dem Schuss eingeschlafen war. Ein Bild dokumentiert, dass Helmut Senf bei der Massenbestattung zugegen war. Alfred Hilz ist der wohl jüngste Gefallene des 2. Weltkrieges in Ruppertshain.

Und dann ist da das Schicksal von Franz Heckenmüller (geb. am 13.11.1908) und seiner großen Familie. Er zog 1940 in den Krieg und ließ die vier Söhne Willi, Heinz, Franz und Friedrich zurück. Im Jahr 2014 kontaktierte die Familie von Friedrich Heckenmüller die Deutsche Dienststelle in Berlin und war sehr betroffen, als sie erfuhren, an wie vielen Schlachten Franz Heckenmüller teilnehmen musste.

Vom 26. Juni bis 1. September 1940 leistete er seinen aktiven Wehrdienst in Kaiserslautern ab. Nicht lange danach, noch im Jahr 1940, kam Franz zur Maschinengewehr-Ersatz-Kompanie 118 mit Standort Schrimm, im Militärbezirk Posen (heute Poznan). In diesem Bereich kämpfte er bis zum 29. Januar 1942.Es ist anzunehmen, dass Franz Weihnachten 1941 Urlaub hatte und endlich seine Frau und die Kinder wiedersehen konnte.

Frustriert, dass er wieder zur Front musste, äußerte er sich beim Abschied vor seiner Haustür negativ über Hitlers Krieg. Sein Nachbar, der Ortsgruppenleiter, hörte ihn schimpfen.

Dann wurde es richtig ernst. In Milowitz, Tschechien, wurde das Infanterie-Regiment 545 als „Rheingold“-Einheit des Wehrkreises XII aufgestellt und der 389. Infanterie-Division unterstellt. Mit dieser marschierte Franz nun weiter nach Osten, nach Donez (Ukraine), war bei der Kesselschlacht von Charkow im Mai 1942 dabei und nahm am Vormarsch der 6. Armee in den Donbogen teil. Die Division erlitt innerhalb weniger Tage verheerende Verluste, die nicht mehr ausgeglichen werden konnten. Die Schlacht um Stalingrad war und ist legendär. Die 389. Division wurde im Januar 1943 bei Stalingrad vernichtet. Franz hatte Glück. Er überlebte.

Während er in Stalingrad kämpfte, wurde am 3. September 1942 Töchterchen Elisabeth geboren. Sein Weihnachtsurlaub 1941 hatte Folgen.

Nach den starken Verlusten bei Stalingrad wurde die Kampftruppe neu aufgestellt. Sein Einsatzort war ab Oktober 1943 bis Dezember 1943 am Dnjepr (Ukraine). Es ist bekannt, dass auch die Schlacht bei Tscherkassy im Januar und Februar 1944, an der er teilnahm, große Verluste erlitt.

Die Division wurde in Milowitz (Tschechien) neu aufgestellt. Sie wurde im März 1944 bei der Heeresgruppe Nord in Lettland eingesetzt, wo sie an den Kurland-Schlachten teilnahm. Franz kämpfte ab 27. Oktober 1944 in der 2. Kurland-Schlacht.

Inzwischen, mit Datum vom 22. August 1944, hatte seine Frau ein Schreiben bekommen, dass kinderreiche Väter mit fünf Kindern und mehr aus der kämpfenden Truppe zurückgezogen werden können. Weiterhin hieß es: „Da für Ihren Mann ein solcher Antrag noch nicht eingegangen ist, wird Ihnen anheimgestellt, einen solchen bei dem für Ihren Wohnort zuständigen Wehrmeldeamt einzureichen. Diesem Antrag müssen die Geburtsurkunden Ihrer Kinder beigelegt werden.“

Seine Frau Katharina wurde sofort tätig. Sie bekam am 8. September 1944 vom Wehrbezirkskommando Wiesbaden eine Bestätigung, dass das Gesuch am selben Tag dem Truppenteil übersandt wurde. Ob das Gesuch den Truppenteil erreichte, ist nicht bekannt.

Franz kämpfte weiter. So aussichtslos die Lage war, immer wieder bestand Hitler darauf, Kurland zu halten. Franz Heckenmüller hielt lange durch. Doch am 3. November 1944 war sein Schicksalstag. Er wurde bei Lielpuceni, ostwärts von Saldus (Frauenburg), durch ein Infanterie-Geschoss am Kopf getroffen. Er überlebte nicht und wurde auf dem Friedhof in Purwini beigesetzt. Seine Familie musste ohne ihn zurechtkommen. Seine Kinder wuchsen ohne Vater auf. Es stellte sich immer wieder die Kernfrage, warum das Gesuch auf Freistellung von Franz Heckenmüller nicht bearbeitet und umgesetzt wurde. Viele Fragen bleiben offen.

Der Volkstrauertag erinnert an eben diese tragischen Geschichten. Die Schicksale der beiden Gefallenen Alfred Hilz und Franz Heckenmüller geben uns Menschen den Auftrag, jede Art und Weise der kriegerischen Auseinandersetzung zu vermeiden und den Dialog zu suchen. Frieden und Freiheit sind unverzichtbare Werte. Sich für diese Werte einzusetzen, dazu hat der Volkstrauertag seinen hohen Stellenwert.

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