Dort, wo das Leben leise wird – Die stille Kraft der Hospizarbeit

Acht der zehn neuen Hospizbegleiter, die sich der neunmonatigen Ausbildung stellten und diese mit Bravour bewältigten. Geschult wurden sie von den beiden Koordinatoren Lisa Bonami (2.v.li, untere Reihe) und Andreas Liebetanz (3.v.re.).Foto: Judith Ulbricht

Kelkheim (ju) – Es gibt Momente im Leben, die unsere Sicht auf das Wesentliche verändern – Momente, in denen es nicht mehr darum geht, wie viel Zeit bleibt, sondern wie diese Zeit gefüllt wird. In der Hospizarbeit steht genau das im Mittelpunkt: die Lebensqualität in der letzten Lebensphase. Hier finden Menschen, die sich dem Sterben nähern, einen Ort der Geborgenheit, des Respekts und der Würde. Doch diese wertvolle Arbeit wäre nicht möglich ohne die Menschen, die sich als Hospizbegleiter engagieren.

Hospizbegleiter sind wie stille Weggefährten, die keine Angst vor den großen Fragen des Lebens und Sterbens haben. Sie schenken ihre Zeit, ein offenes Ohr und ihr Mitgefühl – oft in Augenblicken, in denen Worte fehlen. Ihre Arbeit ist nicht nur ein Geschenk für die Sterbenden, sondern auch ein Trost für die Angehörigen. Es ist eine leise, aber kraftvolle Art, das Leben in seiner tiefsten Menschlichkeit zu ehren.

Diese Arbeit erinnert uns daran, dass das Leben, selbst im Angesicht des Todes, voller Bedeutung, Liebe und Verbundenheit sein kann.

Ausbildung zum Hospizbegleiter

Doch wer sind diese Menschen, die sich zu Hospizbegleitern ausbilden lassen? Welche Motivation treibt sie an und wie lang ist der Weg, um sagen zu können: „Ja, ich bin bereit, sterbende Menschen zu begleiten“?

Es sind Menschen wie du und ich. Menschen, die Dankbarkeit für ein erfülltes Leben empfinden und etwas zurückgeben möchten. Menschen, die sich berufen fühlen anderen in schweren Lebensphasen beizustehen. Sie möchten Sterbende und deren Angehörige unterstützen, indem sie Zeit, Mitgefühl und Aufmerksamkeit schenken. Es sind Menschen, die bei der Begleitung sterbender Menschen mit existenziellen Fragen zum Leben und Tod konfrontiert werden. Sie finden darin einen tieferen Sinn und setzen sich intensiver mit ihrer eigenen Endlichkeit auseinander.

All diese Intensionen kamen bei der feierlichen Übergabe der Zertifikate als Hospizbegleiter im Rathaus zur Sprache. Acht zukünftige Begleiterinnen und ihre Koordinatoren ließen in der Feierstunde die neunmonatige Ausbildung Revue passieren. Ute Winter vom Kelkheimer Hospizverein erinnerte an die große Bedeutung dieses Ehrenamtes, das bei all seinen Herausforderungen auch eine Bereicherung für das eigene Leben sein kann. „Es ist ein wunderbares, großes Geschenk. Lassen Sie sich darauf ein, mit viel Kraft, aber auch mit viel Freude“, riet sie den acht Frauen, die ab sofort den Eschborner und Kelkheimer Hospizverein unterstützen werden. Es sei ein Weg voller Achtsamkeit und Menschlichkeit betonte die zukünftige Eschborner Koordinatorin Andrea Kreml in ihren Worten an die Absolventinnen. „Sie bringen Licht, sie bringen Trost, sind ein fester Anker und geben Menschen das Gefühl, wertvoll zu sein – vergessen Sie das nie, aber vergessen Sie auch nicht sich selbst“, bat sie eindringlich. Denn es wird Momente geben, in denen die Hospizbegleiterinnen mit sich hadern werden, in denen sie sich fragen werden, „Kann ich das wirklich?“. „Sie sind eingebunden in ein funktionierendes Netzwerk. Sie sind Teil einer Bewegung, für die es selbstverständlich ist, dass das Sterben ein Teil unseres Lebens ist“, erinnerte sie an ein grundsätzliches Problem, was den Umgang mit dem Thema Tod betrifft.

Tabuthema Sterben

Das Thema Sterben und Tod ist in Deutschland – wie in vielen anderen modernen Gesellschaften – weiterhin ein Tabu, weil es mit tief verwurzelten kulturellen, psychologischen und sozialen Faktoren verbunden ist.

In einer Gesellschaft, die auf Fortschritt, Leistung und Jugendlichkeit ausgerichtet ist, wird der Tod als störend und unangenehm wahrgenommen. Viele Menschen meiden den Gedanken an die eigene Sterblichkeit, um nicht mit Ängsten oder Unsicherheiten konfrontiert zu werden.

Durch die Fortschritte in der Medizin und die Verlagerung des Sterbens in Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen ist der Tod aus dem alltäglichen Leben verschwunden. Viele Menschen erleben den Tod nicht mehr im familiären Umfeld, sondern als abstraktes Ereignis, das von Fachpersonal begleitet wird.

In einer individualisierten Gesellschaft fehlt oft der soziale Zusammenhalt, der früher gemeinschaftliches Trauern und Rituale um den Tod herum gefördert hat. Sterben und Trauer werden zunehmend als private Angelegenheiten betrachtet, die wenig Raum im öffentlichen Diskurs finden.

Frühere Generationen hatten feste Rituale, die halfen, mit Sterben und Tod umzugehen (z.B. Totenwachen, gemeinsames Trauern). Diese Rituale sind heute oft verloren gegangen oder erscheinen vielen Menschen nicht mehr zeitgemäß, was zu einer Orientierungslosigkeit im Umgang mit dem Thema führt.

Der Tod symbolisiert einen endgültigen Verlust von Kontrolle – ein Gedanke, der in einer Gesellschaft, die stark auf Autonomie und Selbstbestimmung setzt, schwer zu akzeptieren ist. Die Endgültigkeit des Todes macht ihn besonders schwer greifbar.

Schon in der Kindheit wird oft nicht offen über Sterben und Tod gesprochen, und in der Schule wird das Thema selten umfassend behandelt. Diese gesellschaftliche Schweigsamkeit führt dazu, dass viele Menschen im Erwachsenenalter wenig Erfahrungswissen oder sprachliche Mittel haben, um sich mit dem Tod auseinanderzusetzen.

Sterben wird häufig mit körperlichem Leiden, Isolation und Traurigkeit assoziiert. Diese negativen Bilder verstärken die Abwehrhaltung gegenüber dem Thema.

Die Konsumgesellschaft setzt auf Werte wie Jugend, Schönheit und Gesundheit. Der Tod steht im Widerspruch zu diesen Idealen und wird daher oft verdrängt, um eine heile und dynamische Welt zu inszenieren.

Früher bot der Glaube an ein Leben nach dem Tod oder die Hoffnung auf Erlösung Trost. Mit dem Rückgang religiöser Bindungen fehlen vielen Menschen heute spirituelle Deutungsrahmen, was die Auseinandersetzung mit dem Tod erschwert. Viele Menschen möchten sich selbst und andere vor den intensiven Gefühlen der Trauer schützen. Sie vermeiden daher, über Sterben und Tod zu sprechen, um nicht mit der eigenen Verletzlichkeit konfrontiert zu werden.

Bereicherung für alle

Gerade wegen all dieser Vorbehalte gegenüber dem Thema Sterben und Tod sind Hospizbegleiter eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Denn für Menschen, die wissen, dass sie bald sterben, ist diese Erkenntnis oft von intensiven und widersprüchlichen Gefühlen geprägt. Häufig verspüren sie Trauer, Angst vor dem Unbekannten oder Sorge um zurückbleibende Angehörige. Andere erleben eine Phase der Akzeptanz, in der sie Frieden mit ihrem Leben und Tod schließen. Jede Erfahrung ist einzigartig und wird von persönlichen, kulturellen und spirituellen Überzeugungen beeinflusst. Ehrenamtliche schenken diesen Menschen und den Angehörigen Zeit, Mitgefühl und Verständnis, oft auch in den schwierigsten Momenten, in denen Familie oder Freunde überfordert sein könnten.

Dass die Ausbildung für sie eine Bereicherung war, bestätigten auch die acht Absolventinnen in bewegenden Worten. Sie hätten eine andere Art der Kommunikation kennengelernt – zuhören, mitfühlen, mitschweigen – Mittel, die auch im alltäglichen Diskurs zum Einsatz kommen sollten. „Wir haben gelernt, im Sturm stark zu sein, Resilienz aufzubauen, mit den Augen des Gegenüber zu sehen, mit seinen Ohren zu hören“, fassen sie zusammen. Sie erlernten Rituale am Sterbebett, wie man mit Kindern über das Thema Trauer redet, übten sich in Selbstreflektion und setzten sich intensiv mit dem eigenen Sterben auseinander. Jetzt geht jede von ihnen ihren individuellen Weg, begleiten Sterbende im Hospiz oder in den eigenen vier Wänden – immer auf Augenhöhe, mit Empathie, Einfühlungsvermögen und mit Respekt vor der Endlichkeit des Lebens. Denn um es mit den Worten der „Wise Guys“ in ihrem Song „Dankbar für die Zeit“ zu sagen:

„So zerreißt ein helles Kinderlachen mal von Zeit zu Zeit,

die Stille und die Leere und die Fassungslosigkeit.

Sogar in diesem Augenblick, wenn man die Welt nicht mehr versteht,

will das Leben uns wohl zeigen, dass es trotzdem weitergeht.

Und es erinnert uns auf diese Art daran,

dass einem Abschied auch ein Anfang innewohnen kann.“

Niemand ist allein

Die Arbeit als Hospizbegleiter ist herausfordernd, aber auch bereichernd. Viele erleben sie als einen Prozess, der nicht nur den Sterbenden, sondern auch ihnen selbst hilft, das Leben in seiner Tiefe zu verstehen und wertzuschätzen. Ihre Arbeit erinnert uns daran, dass der Tod kein Ende ist, sondern Teil des Lebens. Die Würde, mit der sie Sterbende begleiten, und die Stärke, die sie Angehörigen vermitteln, hinterlassen Spuren – Spuren der Liebe, Menschlichkeit und Hoffnung. Es ist eine leise, aber kraftvolle Botschaft: Niemand muss seinen letzten Weg allein gehen.



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