Aus sportlichen Gründen ‚rübergemacht‘ – Norbert Nachtweih in der Stadtbibliothek

Norbert Nachtweih (li.) und Moderator Neubauer präsentieren das Buch „Zwischen zwei Welten“. Foto: Baumgartl

Kelkheim (ib) – Quizfrage: Welcher Fußballer aus der ehemaligen DDR hat die meisten offiziellen Titel mit deutschen Vereinen gewonnen - Matthias Sammer? Toni Kroos? Michael Ballack? Nein, ein Blondschopf aus Sangerhausen, der bei der Eintracht und den Bayern Titel sammelte (4 x Meisterschaft, 3 x Pokal, 1 x UEFA-Cup, 1 x Superpokalsieger). Nur eine von 100 Anekdoten, die Norbert Nachtweih in der bis auf den letzten Platz gefüllten Stadtbibliothek Kelkheim bei der Vorstellung seines Buches „Zwischen zwei Welten“ zum Besten gab. Republikflucht mit 19 bei einem Auswärtsspiel in der Türkei, mit Spezi Jürgen Pahl ging es von Bursa über drei Ecken zum Riederwald. Der Fußballverband der DDR drückte 14 Monate Sperre durch, Nachtweih nutzte die Freizeit: „Klar haben die von der Stasi mich bespitzelt, aber die haben irgendwann aufgegeben. Ich war im Frankfurter Bahnhofsviertel so lange unterwegs, die mussten in Schichten arbeiten!“ In der Zeit verpasste Trainer Gyula Lóránt ihm den Spitznamen „Nachtfalter“.

Ab März 1978 durfte er dann seinem eigentlichen Beruf nachgehen und „kam in eine funktionierende Mannschaft: Borchers, Pezzey, Körbel, Holz, Grabi, alles Nationalspieler. Wir hätten eigentlich noch viel mehr gewinnen müssen.“ Es blieb beim UEFA-Cup 1980 und dem DFB-Pokal 1981. Dann der Wechsel zu den Bayern, mit Spielern wie Augenthaler („Wegen dem bin ich Raucher geworden.“), Matthäus, Pflügler und Kögl wurde er zum Titelhamster unter Trainer Lattek („Der hatte immer die Mini-Bar vorne im Bus!“), kam ins Finale der Champions League 1987 – da holte der FC Porto dank Madjers Hackentor den Henkelpott. Verschuldete sich mit Bauherrenmodellen und kam dank Kumpel Uli Hoeneß und dessen Anwälten glimpflich davon. Wechselte für zwei Jahre zum AS Cannes, kam 1991 zurück zur Eintracht. „Das war mein größter Fehler, der Stepi konnte nix mit mir anfangen. Und ich musste mir ein Diktiergerät kaufen, weil ich den nie verstanden hab. Daum wollte mich eigentlich nach Stuttgart holen, der VfB wurde dann 1992 Deutscher Meister.“ Noch vier Jahre in die zweite Liga, bei Waldhof Mannheim war er Leistungsträger und verpasste den Aufstieg denkbar knapp. Wagte auch auf Anraten seiner Frau Ilka spät den Blick in seine Stasi-Akte fand dort Fotos von und aus (!) seiner Wohnung und jede Menge Überwachungsprotokolle. „Aber ich hab‘ mir nie groß Sorgen gemacht. Ich habe auch nie etwas Schlechtes über mein Geburtsland gesagt, da wurde ich ausgebildet, dem Scoutingsystem dort hatte ich viel zu verdanken. Ich habe aus sportlichen Gründen ‚rüber gemacht‘, nicht aus politischen.“

Seit inzwischen 20 Jahren ist Nachtweih Jugendtrainer bei der Jugendakademie der Eintracht, spielt ab und an bei der Traditionself mit und hat zudem „Walking Football“ für sich entdeckt, Fußball im Gehen. Dort kickt er mit Kumpel Reinhard Neubauer, der in der Kelkheimer Bibliothek als eine Art Interviewer, bzw. Moderator durch den Abend führt. Aber wie packt man schon ein solch ereignisreiches Leben diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs in einen 90-minütigen Vortrag? Wie packt man einen solchen Abend in einen Zeitungsartikel? Am besten versucht man es gar nicht erst, sondern liest stattdessen das Buch …



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