Königstein (aks) – Dr. Philipp Wiesehöfer begrüßte die zahlreich erschienenen Gäste in der Stadtbibliothek. Der Stuhlkreis lockerte den Vortrag auf, machte Blickkontakte möglich und sollte die Teilnehmer zu Kommentaren ermutigen. Viele Wiederholer waren gekommen, denen die philosophische Runde seit Mai dieses Jahres mit Themen wie Glück und Freiheit als geistige Anregung willkommen ist. Was also ist Verantwortung? Die Erklärungsversuche der Teilnehmer bezogen sich auf die Eigenverantwortung und die Pflicht gegenüber anderen.
Definition
Was aber ist die Verantwortung genau, die wir alltäglich erleben? Wiesehöfer erklärte: „Im Wort steckt „antworten“, aus dem Lateinischen „respondere“, wem also antwortet man?“ Früher galt die Antwort dem Richter. Die Verantwortung besaß eine soziale Dimension durch den Dialog mit anderen, auch mit Gott, als letzte Institution vor dem jüngsten Gericht. Die Handlungen und Entscheidungen des Menschen waren traditionell fest eingebunden in einen Wertehorizont der Metaphysik und der christlichen Philosophie, der so heute nicht mehr gültig ist.
Werteverlust
Gut oder böse ist nicht mehr so leicht zu definieren, der Wertekanon ist zerbrochen. Interessant war Wiesehöfers Anmerkung, dass Verantwortung bis ins 19. Jahrhundert kein Begriff der Philosophie war. Bei Kant – er nannte es „imputatio“, also die Frage nach der Einflussnahme – nach der Zurechnung, basierte das menschliche Handeln auf der Vernunft. „Das Gewissen als innerer Gerichtshof“ definierte das Handeln nach bestem Wissen und Gewissen in der Gegenwart. Komplizierter wurde es in der Moderne mit Freuds bekannter Analyse des Ich, gesteuert vom ICH-Über-ICH und ES. Wer war jetzt verantwortlich? Während der Mensch sich früher an moralischen Traditionen orientieren konnte, und Sittlichkeit, Gehorsam und Pflicht ihm geboten was zu tun sei, so handelt der moderne Mensch autonom. Da die Normen zerbrochen sind ist er zu konkretem Handeln aufgefordert.
Existenzialismus
Nicht die Prinzipien gelten mehr, sondern die realen Wirkungen des menschlichen Tuns. So übernimmt der Mensch Verantwortung für sein Handeln. Das ist die Philosophie des Existenzialismus, der auf der Erkenntnis basiert, dass das Individuum erkennt, dass er die Verantwortung nicht nur für sich, sondern für die Welt in allen Erscheinungsformen übernimmt. Als freier Mensch muss er für sein Leben einstehen.
Der dänische Philosoph Soren Kierkegaard gilt als Vordenker und christlicher Vertreter des Existenzialismus. Jean-Paul Sartre, 100 Jahre später, war Atheist und Humanist (L’éxistentialisme est un humanisme). Es gilt: Der Mensch in absoluter Freiheit hat die Wahlfreiheit. Sartre sah darin eine gewisse Überforderung: „Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt“ – und trage demnach auch alle Verantwortung.
Verantwortungsethik
Max Weber prägte bereits 1919 die Begriffe Gesinnungsethik („ich handle nach meinem Gewissen, aber ich kann in der Welt scheitern – ich bin nicht schuld“, Erklärung Wiesehöfer) und der Verantwortungsethik („ich rechne mit den Folgen meines Handelns und kann es nicht auf andere abwälzen“). Von Politikern verlangt Weber, der ethischen Maxime zu folgen: die Schuld am Misslingen seiner Entscheidungen kann er weder auf andere noch auf die Welt abwälzen.
Da spitzen viele Teilnehmer die Ohren, ja, die Einsicht würde man in der Tat vielen Politikern wünschen. Wiesehöfer wies in diesem Zusammenhang auf den deutschen Ethikrat hin, der seit 2007 existiert und die ethischen Fragen und die voraussichtlichen Folgen für Individuum und Gesellschaft verfolgt, die sich durch Forschung und Entwicklung für den Menschen ergeben.
Das Thema Verantwortungsethik vertieft Hans Jonas in seinem wegweisenden Buch „Das Prinzip Verantwortung“ von 1979, in dem er zu radikalem Umdenken fordert. Es formuliert einen neuen kategorischen Imperativ: „Handle so, dass die Wirkung deines Handelns verträglich ist mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf der Erde“, will heißen: Der Mensch hat eine gegenwärtige Wahl für das zukünftige Wohl des Menschen.
Verantwortung auch für die Zukunft
Die Verantwortung des Menschen auch für die Zukunft der Welt ist ein Novum in der Philosophie. Sie scheint allerdings dringend nötig, wenn wir heute Bilanz ziehen und erkennen müssen, wie sehr der Mensch die Natur „überfordert und geschädigt hat mit modernsten Wissenschaften und Techniken“, Zitat Bloch. Früher gab es eine Regenerationsphase für die Natur, heute in großem Stil nur Ausbeutung. Jonas’ Grundprinzip lautet: Der Mensch soll eine Zukunft haben in Würde und Integrität, das ist der Maßstab für verantwortliches Handeln.
Dagegen hielt der Marxist Ernst Bloch mit seinem Werk „Das Prinzip Hoffnung“, 1954 erschienen, der von einer positiven Entwicklung der Welt dank Wissenschaft und Technik ausging, im Zentrum der arbeitende Mensch, der in einem Endziel seine Heimat findet. Wiesehöfer las den letzten Satz des monumentalen Werks vor, das letzte Wort ist „Heimat“. Während Bloch idealistischer Marxist ist, ist Jonas kritischer Realist, der vor der manipulativen Zerstörung der Welt warnt. „Aus der Hoffnung bei Bloch wird bei Jonas Verantwortung“.
Worst case scenario
Als neuen Orientierungspunkt für zukünftige Werte zitiert Hans Jonas die „Heuristik der Furcht“ – mit der Frage: „Was könnte sich daraus gegen mich entwickeln“. Kritik sei per se nicht negativ, sie sei ein Instrumentarium, Sachverhalte von verschiedenen Seiten zu beleuchten, so Wiesehöfer. Ein Teilnehmer bringt es auf den Punkt, jedes Ding beinhalte immer Gut und Böse. Philipp Wiesehöfer formulierte es so: „Aus der Kritik ergeben sich Fragen zur heutigen Realität: Dürfen wir das was wir können? Sollen wir das, was wir Können?“ Das betrifft Themen wie Lebensverlängerung und Genmanipulation ebenso wie Plastikmüll und Klimaerwärmung.
Was kann ich tun?
Dr. Philipp Wiesehöfer leitete die Runde zu eigenen Reflexionen an, zeigte aber auch die Grenzen der Philosophie im Unterschied zur Politik auf und riet eindringlich, angesichts der massiven und erdrückenden Probleme in der Welt nicht zu resignieren, sondern jeden Tag aufs Neue das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen und sich für eine bessere Welt einzusetzen. „Ich warne Sie, angesichts der Anonymität nichts zu tun, das ist ethisch nicht vertretbar!“ Die existenzielle Frage laute doch: Welchen Beitrag kann ich leisten, damit auch zukünftige Generationen noch sicher und zufrieden auf dieser Erde leben könnten.
Das war nachhaltiger Stoff, der den einen oder anderen noch länger beschäftigte und der als Denkanregung und Aufruf zu handeln auf jeden Fall eine sehr gute Sache war.
Die nächste philosophische Runde findet am Montag, 14. Januar, um 20 Uhr statt.
Keine Angst vor großen Philosophen, wenn man so entspannt herangehen kann: Der Mentor und Leiter der philosophischen Runde in der Stadtbibliothek, Dr. Philipp Wiesehöfer (links) beschäftigte sich diesmal mit dem Thema Verantwortung.
Foto: Sura