Eugen-Kogon-Preis an zwei Männer, die im Nahen Osten Brücken zwischen den Völkern gebaut haben

Königstein (pit) – In Anerkennung der großen Leistungen des Publizisten, Soziologen und Politikwissenschaftlers Eugen Kogon (1903 bis 1987) für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden verleiht die Stadt Königstein seit 2002 alljährlich den mit 5.000 Euro dotierten, nach ihm benannten Preis. In diesem Jahr entschied sich das Kuratorium unter dem Vorsitz von Alexander von Bethmann erstmals für zwei Preisträger und gleichzeitig zum ersten Mal für Personen, die nicht aus Europa, sondern aus dem Nahen Osten stammen: an den Israeli Dany Atar, Bürgermeister von Gilboa, dem Partnerkreis des Hochtaunuskreises, und posthum an den Palästinenser Mousa Qaddoura, der Gouverneur von Dschenin war.

Es war eine stimmungsvolle Feier, an der die zahlreich erschienenen Gäste teilnahmen. Für den entsprechenden musikalischen Rahmen sorgte Mohin Jan Fariod am Klavier, die Begrüßungsworte sprach Stadtverordnetenvorsteher Robert Rohr: „Der nach Eugen Kogon benannte Preis würdigt in dessen Sinne das Engagement für eine lebendige Demokratie, für Freiheit und Frieden.“

Mit der diesjährigen Verleihung sollen die Bemühungen um die Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern gewürdigt werden, für die die beiden Preisträger stehen. Leider habe das Komitee einige Monate nach der Vergabe eine traurige Nachricht erfahren: „Mousa Quddoura erlag einem Herzinfarkt, als Unbekannte dessen Haus mit Maschinenpistolen beschossen“, erklärte Rohr.

Daher begrüßte er unter den Versammelten dessen Sohn Mousa Qaddoura junior, der an diesem Abend nicht nur im Namen seines Vaters den Preis entgegennehmen sollte, sondern der auch das Lebenswerk seines Vaters – auch in dessen politischen Funktionen – fortführen will.

Kurz erinnerte Rohr an den 13. September 1993, „als auf dem Rasen vor dem Weißen Haus in Washington die Osloer Friedensverträge feierlich besiegelt wurden“. Als es zum historischen Händedruck zwischen Jassir Arafat und Jitzchak Rabin gekommen sei, seien die Hoffnungen nicht nur in Israel und Palästina, sondern auf der ganzen Welt groß gewesen. Beide Politiker wurden mit dem Friedensnobelpreis geehrt und es keimte die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts auf, eine Hoffnung, die jedoch vielfach nicht erfüllt worden sei.

Allerdings hätten sich damals Dany Atar und Mousa Qaddoura tatkräftig darangemacht, die Gedanken der Osloer Friedensverträge mit Leben zu füllen: „Sie reichten sich über tiefe Gräben hinweg die Hand und begannen Brücken zu bauen zwischen ihren benachbarten, aber durch die Grenze getrennten Bezirken.“

Unter der Leitung dieser beiden Männer sei die Zusammenarbeit zwischen den beiden benachbarten Landkreisen im Westjordanland ausgebaut worden. Dadurch wiederum seien nach jahrzehntelangen blutigen Auseinandersetzungen Gräben zugeschüttet und Brücken gebaut worden. So sei die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben gefördert worden. Somit habe die Arbeit der beiden Preisträger nach Auffassung des Kuratoriums einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der Feindschaft geleistet und den Prozess der Aussöhnung im Nahen Osten gefördert. „Mit der Preisverleihung soll daher dieser Prozess der Annäherung und dessen Vorbildfunktion für die gesamte Region gewürdigt werden“, erklärte Robert Rohr. Verknüpft sei hiermit darüber hinaus die Hoffnung, dass diese positive Entwicklung im Kleinen zu einem Vorbild für einen weit über das Westjordanland hinausgehenden Versöhnungsprozess zwischen Israelis und Palästinensern werde.

Für die Laudatio war Rudolf Dreßler aus Bonn angereist. Der ehemalige parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung war von 1980 bis 2000 Mitglied des Bundestags, 19 Jahre für die Israel-Politik der SPD-Bundestagsfraktion verantwortlich und von 2000 bis 2005 deutscher Botschafter in Israel. Somit ein exzellenter Kenner der Region.

„Die Vision von einer Gesellschaft, in der Juden und Araber friedvoll und gleichberechtigt miteinander leben, ist innerhalb der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft in den unterschiedlichsten Formen bereits Wirklichkeit“, hob Dreßler an. Als Beispiele nannte er die Universität von Haifa mit 25 Prozent arabischer Studierender, die „Hand-in-Hand-Schule“ in Jerusalem mit einer ungefähren Hälftelung jüdischer und arabischer Schüler, mit „Ein Bustan“ den ersten jüdisch-arabischen Waldorfkindergarten in Israel, im arabischen Ort Hilf oder eben die Beispiele der diesjährigen Träger des „Eugen-Kogon-Preises“. „Sie haben sich durch gemeinsame grenzübergreifende Projekte dem großen Ziel verschrieben, Vertrauen und ein friedliches Miteinander zu schaffen“, so Dreßler.

Allen genannten Beispielen sei gemein, dass sie ein Beleg dafür seien, dass sich Bürgerinnen und Bürger in vielen grundlegenden Konfliktfällen weiter auf eine gemeinsame Lösung hin bewegte als die politischen Repräsentanten. „Dem Beobachter bleibt nicht verborgen, dass das politische Verhältnis zwischen Israel und der palästinensischen Autonomie von einer chronischen Konstellation der Nichtanerkennung geprägt ist“, stellte der Laudator heraus. Anerkennung sei aber eine grundlegende Kategorie der Staatenwelt: „Auf ihr ruhen alle Begriffe des Rechts, des regulierten Handelns untereinander, nicht zuletzt auch der Kriegsführung.“ Ein weiteres Stichwort: Integration. Sie in die Praxis umgesetzt zu sehen, sei Persönlichkeiten wie Bürgermeister Dany Atar und Gouverneur Mousa Qaddoura zu verdanken. Aber auch dem Namensgeber des Preises wandte sich Dreßler gedanklich zu: „Da drängen sich einem ehemaligen deutschen Botschafter in Israel bestimmte Prädikate auf: Vermittlung, Versöhnung, Verständigung, Erinnerung.“ Ohne diese Prädikate sei menschliches Miteinander kaum vorstellbar, wofür die jüngere Geschichte Deutschlands die schlimmsten Belege liefere.

„Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, mit der Einmaligkeit der Verbrechen, hat mich gerade in Israel die immer wieder von Einzelnen provokativ initiierte so genannte ‚Schlussstrich-Debatte’ als gegen deutsches Interesse gerichtetes Engagement empfinden lassen“, stellte Dreßler heraus. Es sei ein gutes Gefühl, dass solche Versuche stets gescheitert seien.

In diesem Zusammenhang erinnerte er an eine Mahnung des israelischen Schriftstellers Amos Oz: „Die Vergangenheit ist immer gegenwärtig bleiben; doch man muss sich daran erinnern, dass die Vergangenheit uns gehört und nicht wir ihr.“ Den Bogen spann der ehemalige Botschafter weiter: „So wie uns die spezifisch deutsche Vergangenheit gehört, ist es die spezifisch palästinensisch-israelische Vergangenheit, die der dortigen Region gehört.“

Die diesjährigen Preisträger hätten jedoch ein beeindruckendes Engagement gezeigt, damit die Beendigung der Sprachlosigkeit untereinander gelingen könne. Die Friedensinitiative zwischen Gilboa und Dschenin sollte als Zeichen betrachtet werden, dass die These von Premierminister Fajad „Der Stillstand ist keine gute Idee!“ viel mehr Unterstützung auf beiden Seiten finde als es die täglichen Nachrichten berichten.

Die Preisverleihung oblag schließlich Bürgermeister Leonhard Helm: „Es ist ein ganz besonderer Preis, den wir sehr gerne vergeben – schließlich steht er für den Einsatz für Demokratie und Freiheit.“ Mit dieser neunten Übergabe werde er erstmals an Personen vergeben, die sich mitten in einem Verständigungsprozess befänden. Somit stünde er dieses Mal für ein leichtes Schulterklopfen, mit dem ein mutiges Engagement gewürdigt werden soll. Dany Atar dankte seinen Freunden im Hochtaunuskreis und gab zu, dass er sich erstmals mit der Person Eugen Kogons beschäftigt habe, als er gehört habe, dass er den Preis erhalten werde. Doch dabei habe er sofort festgestellt: „Er steht für Werte, die uns sehr wichtig sind – für Frieden, Demokratie und friedliche Zusammenarbeit.“

Durch viel schwere Arbeit sei es Mousa Qaddoura und ihm möglich gewesen, eine Grenze des Misstrauens zu überwinden und eine gemeinsame Basis zu finden, von der beide Seiten profitieren können: „Die Botschaft lautet: Es ist in dieser Region möglich, ohne Blutvergießen miteinander zu leben.“ Der gewählte Weg sei der richtige für Frieden und Gerechtigkeit. Gleichzeitig zeigte er sich sehr gerührt von der Würdigung. Mit einem „Saalam Aleikum!“ grüßte wiederum Mousa Qaddoura junior die Versammelten, die es mit einem Lächeln aufnahmen. Er dankte im Namen seiner ganzen Familie für die „Anerkennung aller Friedenskräfte in aller Welt“.



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