Exlibris: Die Alternative zur Briefmarkensammlung

Königstein (hhf) – „Normalerweise bin ich ja für die Literatur zuständig, also hänge ich mich heute weit aus dem Fenster“, damit wollte Dr. Michael Hesse andeuten, dass sein Vortrag diesmal sicher keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Tatsächlich ist der beliebte Referent seit nunmehr runden zehn Jahren nicht nur im Rahmen der „Spätlese“ für die inhaltliche Vertiefung des Bücherschatzes in der Stadtbibliothek zuständig, wie seine Frau, Bibliotheksleiterin Simone Hesse, nachgerechnet hatte. Natürlich wächst da im Lauf der Zeit der Wunsch, auch einmal „etwas ganz anderes“ zu machen, doch entfernte sich der Fachmann nicht allzuweit von seinen üblichen Studienobjekten und hatte auch diesmal wieder einige Bücher im Gepäck.

Unter „Exlibris“ versteht man nichts anderes als ein „Besitzmerkmal“ im Buch, genaugenommen zählte also jeder Bibliotheksstempel schon dazu, doch hat sich hier, vergleichbar der Gestaltung von Briefmarken, längst eine eigene Kunstwelt etabliert, die insbesondere darauf Wert legt, möglichst viele Details auf möglichst kleiner Fläche unterzubringen. Dabei wird in aller Regel vor allem über den Inhaber des Buches Auskunft gegeben, was den Künstler mitunter stark in seiner gestalterischen Freiheit einschränkt, die Palette möglicher Inhalte zieht sich aber bis hin zum „Bücherfluch“ gegen jene Freunde, die sich mit dem Zurückbringen geliehener Literatur ewig Zeit lassen.

Ein erster Vorläufer, wenn auch ohne Fluch, findet sich bereits im Grab des Pharaos Amenophis III., hier weist eine Tafel mit Hieroglyphen auf den Besitzer der Schriftrollen in einer Truhe hin. Richtige „Ex-Libris“, also außerhalb der Bücher angebrachte Vermerke, finden sich auch auf Ledereinbänden oder Buchschließen, doch waren diese Objekte bis zur Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern eigentlich so wertvoll, dass man sie kaum aus der Hand gab oder zumindest Buch darüber führte, wer sie ausgeliehen hatte. Nachdem zum Druckverfahren nach Gutenberg auch noch die Erfindung des modernen Papiers gekommen war, mauserten sich Bücher allmählich zur Massenware – ein Begriff, der freilich mit Vorsicht zu genießen ist, denn im bäuerlichen Haushalt war höchstens ein 100-jähriger Kalender zu finden. Die Kunst des Lesens war noch immer überwiegend dem Adel vorbehalten, der allerdings die Rückgabe geliehener Güter offenbar als weniger edel betrachtete, so dass eine erste Welle von Exlibris ausgelöst wurde. Dementsprechend orientieren sich die Motive dieser frühen Zeit noch stark an der Heraldik. Bald aber holt das Bürgertum auf, im Bereich der Bildung war ihnen das Mitreden nicht verboten, außerdem stand wohl auch manch ungelesenes Exemplar im Regal, um zu demonstrieren, dass man mit anderen Buchbesitzern ebenbürtig ist.

Da die Bürgerlichen weniger auf Wappen zurückgreifen konnten, erweiterte sich die Motivvielfalt der Exlibris nun beträchtlich, Ornamente, Allegorien oder Landschaftsbilder spiegeln nebenbei auch die Geschichte der Malerei und ihrer stilistischen Änderungen wider. Sogar Albrecht Dürer hat sich in diesem Genre versucht, das ist belegt, da die Künstler üblicherweise ihre Werke signierten – mitunter enthält ein Exlibris aber auch mehr Informationen über seinen Schöpfer. In jedem Fall wird natürlich Auskunft über den Besitzer gegeben, der sich gerne als belesener Mensch darstellt, was durchaus auch mit dem Beruf verknüpft sein kann, so sind zum Beispiel „Ärzte-Exlibris“ ein eigener Sammlerbereich. Zunehmend werden aber auch Spitznamen oder andere Vorlieben dargestellt, so steht der Sinnspruch „Dass Dich ein Igel kuss“ des Kaplans Hans Igler ebenso in seinen Büchern wie später auf seinem Grabstein.

Selbstverständlich zählen Kirche und Kloster auch zu den großen Buchbesitzern und haben gerade als Bibliotheksbetreiber ein besonderes Interesse an der Kennzeichnung ihrer Bücher, dazu kommen im Exlibri zum Beispiel Ermahnungen wie „Gottesfurcht ist der Beginn der Weisheit“, zur Sicherheit auf lateinisch, griechisch und hebräisch gleichzeitig. In Klosterbibliotheken findet sich aber auch gerne eine andere Art der Kennzeichnung, das sogenannte „Donatoren-Exlibri“, angebracht von einem edlen Spender, belegt schon um 1480. In logischer Fortführung können mehrere Exlibris in einem Buch dessen „Lebenslauf“ dokumentieren, selbst Klosterbüchereien wurden gelegentlich (und dann kräftig nach dem Reichsdeputationshauptschluss) aufgelöst, also können Stifter, Käufer, Erben ihre Spuren hinterlassen. In Einzelfällen kann das recht spannend werden, wenn zum Beispiel die Nachkommen eines Stifters dessen Bücherschatz wieder zusammentragen.

Wie bereits oben erwähnt, bilden die Exlibris auch eine Geschichte der Kunststile ab, dazu tritt auch die stetig sich verfeinernde Drucktechnik. Oft sind die naturgemäß recht kleinen Grafiken mit Details geradezu überfrachtet, dazu kommt, dass viele im direkten Druckverfahren hergestellt wurden, was bedeutet, dass der Künstler auch noch spiegelverkehrt arbeiten musste. Während dies einem Lucas Cranach (d. Ä.) keine Probleme bereitete, darf man sich im Falle des damaligen Anfängers Johann Wolfgang von Goethe schon fragen, ob der plakative Schnörkel vielleicht doch ein „S“ hätte sein sollen, ein weiterer bekannter Schöpfer von Exlibris ist auch Franz Marc, der 1905 noch mehr dem Jugendstil als dem Expressionismus verbunden scheint. Oft gehört ist aber auch die Klage der Künstler, die sich durch zu starke Vorgaben ihrer Auftraggeber in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. Umgekehrt mag man sich wieder fragen, ob die Darstellung des Theaterschauspielers Josef Meinrad als „lieber Augustin“ so gewünscht war, schließlich handelt es sich bei dieser Sagengestalt um einen Dudelsackspieler, der sich bei einem Saufgelage so zugerichtet hat, dass er leblos auf dem Pestfriedhof landete, wo er im letzten Moment durch Signale aus dem Dudelsack doch noch gerettet wurde.

„Sammeln Sie, es ist genug für alle da“, empfahl Dr. Michael Hesse schließlich, der Preis von zehn bis 50 Euro für normale Exlibris sei nicht weit von Briefmarken entfernt. Ein besonderer Dank ging in diesem Zusammenhang an Gert Becker, der Inhaber des „Signum Antiquariat“ in Kronberg hatte den größten Teil des reichhaltigen Bildmaterials zur Verfügung gestellt und dürfte auch für Interessenten an dieser Sammelleidenschaft der richtige Ansprechpartner sein. Dass das Thema durchaus den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, bewies das Ende der Veranstaltung schließlich auf eindrucksvolle Weise, denn zur Diskussionsrunde musste schnell ein eigener Büchertisch herbeigeschafft werden, um die vielen Mitbringsel der Zuhörer zur Ansicht auszulegen.



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