Nicht Gehirn, nicht Beine – lange Arme sind der Beginn des aufrechten Ganges und damit der Menschheit

Königstein (hhf) – „Entschuldigen Sie bitte, aber wir wollen anfangen.“ Die schüchterne Bitte von Professor Dr. Diether Döring richtete sich diesmal nicht an das Publikum in der „Aula“ der Volksbank, sondern an den Referenten: Professor Dr. Friedemann Schrenk hat nämlich einen beachtlichen Freundeskreis in Königstein und sich infolge dessen direkt am Bücherstand der Buchhandlung Millennium „festgequatscht“. Aber auch Moderator Döring hatte diesmal einiges zu sagen, denn auf das Jahresthema Gesundheit, das mit einer kleinen Pechsträhne, sprich kranken Referenten endete, folgt nun das Dachthema „Des Menschen Bild. Des Menschen Wert. – Gewalt oder Menschenwürde?“. Besonderen Dank sprach er dem Beirat aus, der die Vorträge wieder in einem „Mannschaftsspiel“ zusammengestellt hatte und vor allem auch Leitung und Belegschaft der Volksbank, die sich abends weiterhin als Hörsaal zur Verfügung stellt. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – so zumindest heißt es in Artikel 1 des Grundgesetzes, doch scheint es, als seien inzwischen weltweit „Wert und Würde zunehmend unter die Räder“ gekommen – oder unter die Füße, denn besonders „Unterschiede in materiellen Verhältnissen“ löst moderne Völkerwanderungen aus, das Streben zu Demokratie gar Kriege.

Wie gewohnt wird sich das Königsteiner Forum des Themas von verschiedenen Blickwinkeln her annehmen und dabei zunächst einige grundlegende Aspekte behandeln. Ganz bis zum Anfang sollte das Fundament diesmal reichen, das erste Referat drehte sich um „Humanevolution – Der Blick zurück (Menschwerdung)“.

Dafür hatte man Professor Dr. Friedemann Schrenk gewinnen können, der seit 2000 Sektionsleiter Paläoanthropologie und Quartärpaläontologie in der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist und dazu den Lehrstuhl für Paläobiologie der Wirbeltiere und Umwelt an der Goethe-Universität Frankfurt am Main bekleidet. Sein Studium hatte der bekennende Schwabe – inklusive einem 18monatigen Aufenthalt in Johannesburg - 1985 an der TU Darmstadt mit dem Diplom in Geologie abgeschlossen. 1987 foltge die Dissertation über Schädelanatomie an der Uniklinik Frankfurt am Main, dann wechselte Schrenk zunächst an das Institut für spezielle Zoologie der Universität Tübingen.

Zwei Jahre später kehrte er nach Darmstadt zurück, um im Hessischen Landesmuseum die Abteilung Geologie, Paläontologie und Mineralogie zu leiten, während der Zeit als stellvertretender Direktor (1992 bis 1999) erfolgte 1994 die Habilitation in Paläontologie an der TU Darmstadt.

„Super, die Bankgeschäfte wurden extra zur Seite gerückt“ freute sich der bekannte Forscher über die Wertschätzung seines Faches an dem ungewöhnlichen Veranstaltungsort und spannte dann den Bogen von der eher hektischen Geld-Welt zur Paläo-Anthropologie: Entwicklung braucht Zeit, wir denken in vielen Generationen.“ Dennoch findet auch Evolution ständig statt und beeinflusst sogar unsere Zukunft: „Das ist wie die Kontinentalverschiebung um etwa drei Zentimeter im Jahr: Das sieht man nicht, und es passiert doch.“

Allerdings ist der Blick der Fachleute anderweitig getrübt, denn es gibt lediglich „Knochen und Zähne als Grundlage der Forschung,“ der Rest wie zum Beispiel Sprache, fehlt, außerdem sind die Funde von großen Lücken unterteilt. Die Arbeit wäre also dem Versuch vergleichbar, aus einer römischen Gewandfibel und einer Coladose die Entwicklung der letzten 2.000 Jahre zu rekonstruieren: „Fossilien sagen nichts, wir interpretieren“, daher gibt es kein „richtig und falsch“, sondern nur „logisch und unlogisch“.

Damit ist auch schon das Grundproblem der Anthropologie klar umrissen, denn „wenn es um die eigene Geschichte geht, wird es emotionsgeladen“. Dazu gehören schmerzliche Erkenntnisse, die gültige Weltbilder verändern, als zum Beispiel im frühen 20. Jahrhundert klar wird, dass die menschliche Entwicklung auch außerhalb Europas stattgefunden hat und sogar berühmte Fälschungen wie der „Schädel von Piltdown“, der – zusammengesetzt aus Orang-Utan und Frühmensch die Theorie der Abstammung des Menschen vom Affen untermauern sollte.

Mittlerweile ist man sich längst einig, dass nicht einer vom anderen abstammt, sondern dass Affe und Mensch gemeinsame Vorfahren haben und die wichtigen Entwicklungsschritte in Afrika stattgefunden haben. Als Beginn der Menschwerdung gilt dabei der aufrechte Gang, denn erst die Verlagerung des Schädels oben auf den Körper ließ die Vergrößerung des Gehirnes zu – und lässt sich anhand der Stelle des Überganges von Kopf zu Hals an Knochenfunden belegen. Das älteste Indiz für den Weg zum aufrechten Gang sind bisher aber einige Fingerknochen aus Katalonien, rund 13 Millionen Jahre alt: „Spanien ist damals mit Afrika kollidiert“.

Die Finger des Menschenaffen sind nicht mehr zum Hangeln in Bäumen geeignet, das lässt den Schluss zu, dass er auf dem Boden gelebt hat. Vor rund 10.000 Jahren entstand schließlich durch eine Klimaverschiebung aus großen Teilen des Regenwaldes in Afrika trockenere Savanne, was die Vormenschen verstärkt dazu nötigte, auf dem Boden zu leben und sich dort auch immer wieder aufzurichten, um weit sehen zu können. Gefundene Zähne weisen darauf hin, dass die Nahrung damals sehr „hartschalig“ war, daher redet man auch von „Nussknackermenschen“ mit starken Kiefern und einer Kaumuskulatur, die am Schädel einen Knochengrat als Ansatzpunkt hinterlassen hat. Während weiter der Verdacht besteht, dass diese Lebewesen oft an Gewässerrändern nach Nahrung gesucht haben, was den aufrechten Gang wie im Therapiebecken weiter förderte („Menschenaffen können nicht schwimmen“) bildeten sich die großen Eckzähne zurück, Das könnte mit einem friedlicheren kooperativen Verhalten innerhalb der kleinen Gruppen zusammenhängen, das kaum noch Drohgebärden brauchte: „In der Evolution verschwindet, was wertlos ist“.

Wertvolles dagegen erhält sich, wie zum Beispiel der in jener Zeit entstandene Werkzeuggebrauch: Das „Betriebssystem Faustkeil“ machte ein Stück weit von der Umwelt unabhängig – dafür besteht bis heute eine menschliche Abhängigkeit von der Technik. Im Gegensatz zu Menschenaffen teilten die Menschengruppen ihre Erkenntnisse, gaben kulturelle Erfahrungen weiter. Eine solche „kulturelle Evolution“ mittels Sprache oder Zeichen verläuft nun aber wesentlich schneller als die Biologische Evolution, die durch veränderte Gene immer Generationen abwarten muss. Ein wesentlicher kultureller Fortschritt wird schließlich die Nutzung des Feuers. So ausgestattet, vermehrt sich der Homo sapiens erfolgreich, was zu Ausdehnung der Bevölkerung und damit zu Wanderungsbewegungen führt. Etwa fünf Kilometer im Jahr reichen dabei zu mehreren „Auswanderungswellen“, die je nach Klimalage viele Teile der Welt erreichen. Dabei stoßen spätere Auswanderer schon einmal auf Vorgänger in fremden Landen, die sich mittlerweile an die dortigen Verhältnisse angepasst haben. In dieses Bild passt ein Yeti ebenso wie der Neanderthaler, der vermutlich nicht von den moderneren Menschen ausgerottet worden ist, denn etwa 95 Prozent seiner Gene finden sich bis heute im menschlichen Erbgut, allerdings trägt jeder einzelne im Schnitt nur etwa drei Prozent davon mit sich. Gewissermaßen fanden im ausgehenden Mittelalter die letzten Begegnungen der Europäer mit früheren Auswanderern statt, man erinnere sich der Entdeckung Amerikas und der dortigen „Ureinwohner“. Unterschiedliche Hautfarben sind dabei übrigens nur veränderliche Anpassungen an UV-Strahlung und keine evolutionäre Gen-Veränderung, weshalb die Anthropologie mittlerweile auf den belasteten Rassebegriff völlig verzichtet. Etwas anderes, da war sich Friedemann Schrenk sicher, ist dem Menschen aber untrennbar zu eigen geworden, nämlich das Bestreben, Nachteile seiner Umwelt durch Wanderungen auszugleichen. Und daraus resultiert auch eine ganz klare Erkenntnis für die aktuelle Politik: „Die Zukunft der Menschheit ist nicht die Abschottung!“

Als äußerst lebendiger Redner vermittelte Professor Dr. Friedemann Schrenk im Königsteiner Forum einen gut verständlichen Überblick über die Entstehung der Menschheit.

Foto: Friedel



X