Globalisierung gleicht Einkommen weltweit aus und verängstigt reiche Länder

Mit allerlei Grafiken belegte Soziologe Holger Lengfeld seine Untersuchungen zum Zusammenhang von Globalisierung und Rechtspopulismus im Königsteiner Forum. Foto: Friedel

Königstein (hhf) – Mit eigenem Applaus wurden die Mitarbeiter der Frankfurter Volksbank bedacht, die auch durch persönlichen Einsatz elf Mal im Jahr dem Königsteiner Forum den passenden Rahmen ermöglichen. Ausgelöst wurde dies durch die entsprechende Ansage von Moderator Professor Dr. Diether Döring, der sich gleichzeitig für seine leise Gesprächsführung beim letzten Termin entschuldigte – mehrere gebrochene Rippen hatten ihn damals stark beeinträchtigt. Erneuter Applaus der verdienten Art.

„Arbeit im flexiblen Kapitalismus – Quelle von Abstiegsängsten und politischem Rechtspopulismus?“, dieser Frage wollte man im zweiten Segment der Vortragsreihe nachgehen, das sich um die oft genannten „Sorgenpunkte“ unserer offensichtlich verunsicherten Gesellschaft dreht. Professor Dr. Holger Lengfeld vom Institut für Soziologie der Universität Leipzig war dafür der lang umworbene Wunschkandidat. Nach einem Studium in Wirtschaftswissenschaften, Politikwissenschaft und Soziologie promovierte er 2003 an der Humboldt-Universität in Berlin, habilitierte sich 2008 an der Freien Universität ebendort. Nach Stationen in Wien, Hagen und Hamburg bekleidet er seit 2014 den Lehrstuhl für Soziologie mit Schwerpunkt Institutionen und sozialer Wandel an der Universität von Leipzig.

Immerschlimmerismus

„Es geht um die Sache“, quittierte Professor Lengfeld die von ihm gewünschte kurze Einleitung, zog ob der nicht mehr frühsommerlichen Temperaturen erst einmal das Jackett aus und freute sich, dass trotz des schönen – oder erschöpfenden – Wetters so viele Zuhörer gekommen waren. Mit dem Berufsstand der Soziologen räumte er dann auch gleich erst mal gründlich auf: „Sie formulieren einfache Zusammenhänge so, dass niemand es mehr versteht“ und hängen gerne dem „Immerschlimmerismus“ an. „Solche gibt es“, aber eben auch die anderen, zu denen er sich zählt, die wissenschaftlich saubere Distanz zu ihrem Untersuchungsgegenstand halten und sich auf messbare Daten wie Meinungsumfragen stützen.

Für den heutigen Abend wollte er sich damit begnügen, die vier schwierigen Begriffe aus der Überschrift seines Vortrages zu erklären und sie in einen kausalen Zusammenhang zu bringen. Da wäre zunächst die Globalisierung, die durch den weltweiten Austausch von Menschen Informationsfluss und Warenverkehr beschleunigt. Das führt aber auch dazu, dass nun Wirtschaftsstandorte direkt miteinander in Konkurrenz treten, zum Beispiel um die Ansiedlung von neuem Gewerbe, ehemals nationale Unternehmen sind nun weltweit tätig – in Deutschland betrifft dies sehr stark den Maschinenbau.

Dieses Wachstum an Wirtschaft führt auch zu Einkommenssteigerungen, allerdings gleichen sich seit rund zehn Jahren die Einkommen weltweit an. Eigentlich eine gute Sache, doch haben innerhalb der OECD die Menschen mit den kleinsten Einkommen bislang auch die geringste Steigerungsrate. Im Großen fällt auf, dass die bisher führenden Länder nur mäßig zulegen, was ein Gefühl der Ungerechtigkeit erzeugt, denn Ex-Schwellenländer und beinahe ganz Afrika legen prozentual sehr stark zu, wie Grafiken anschaulich belegten.

Soziale Ungleichheit

Wer höhere Qualifikationen besitzt, steht noch immer auf der Gewinnerseite, „heute werden Lösungen statt Produkte hergestellt“, daher klafft die Schere immer weiter zwischen der „Einkommenselite“ und einfachen, ungelernten Arbeitskräften, die immer weniger gebraucht werden. Auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich das durch Zunahme von Teilzeitarbeit und flexiblen Beschäftigungsmodellen bis hin zu befristeten Stellen und geringfügiger Beschäftigung. Bis in die Einzahlung der Rente breitet sich daher ein verständliches Gefühl der Unsicherheit aus und es wächst die Angst vor dem sozialen Abstieg – die Sorge, den aktuellen Status künftig nicht mehr halten zu können. Für „Abstiegs-Angst“ – der Begriff stammt ursprünglich aus dem Fußball – gibt es bisher keine klare Definition, doch ist sie real und als Empfindung durch repräsentative Umfragen messbar.

Tatsächlich ist nach 2006 aber eine Entspannung bei dieser Zukunftsangst zu verzeichnen, wohl weil der Ost-West-Vergleich eine geringere Rolle spielte und der Arbeitsmarkt sich besserte, doch bleibt sie auf relativ hohem Niveau, wenngleich heute Altersarmut und Kriminalität deutlich vor Arbeitsplatzverlust rangieren.

Rechtspopulismus

Über die AfD ist aus Sicht des Forschers noch nicht viel zu sagen, da es sie erst seit 2013 gibt. Obendrein verändern sich ihr Profil und ihre Personalstruktur ständig „wie ein Aal“ und auch die Wählerschaft. Allerdings steht fest, dass die Partei sich wirtschaftsliberal „wie die FDP der 80er-Jahre“ positioniert hat, und damit ist sie „nix für kleine Leute“. Lediglich die Angst vor Überfremdung in Deutschland, die ebenso wie weltoffene Äußerungen stark angestiegen ist, scheint eine besondere Rolle zu spielen: „Die Kritik an der Zuwanderungspolitik von Frau Merkel ist die Einigkeit der Wähler.“

In einem Punkt unterscheiden sich diese Wähler deutlich von denen anderer Parteien, wo sich im Durchschnitt 63 Prozent zur Überzeugung für ihre Partei bekennen und nur 30 Prozent aus Enttäuschung über andere Parteien finden – bei der AfD ist das Verhältnis genau umgekehrt. Damit liegt der Schluss nahe, dass sich im Rechtspopulismus Menschen wiederfinden, die ihre Positionen von anderen Parteien nicht vertreten sehen, dass aber Globalisierung und die daraus resultierende Abstiegsangst keinen direkten Effekt auf das Erstarken der AfD haben.



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