Königstein – Der Dom zu Riga ist das altehrwürdige Monument der Christianisierung Lettlands. Sie begann im Jahr 1200, als der Bremer Erzbischof Albert von Buxthoeven mit Kaufleuten, Missionaren und einem Heer von Pilgern nach Osten zog, um in der Nähe der Düna-Mündung eine Festung und eine große Kirche zu gründen. Der geschäftstüchtige Kreuzzug hatte Erfolg. Dabei halfen Bischof Albert die „Schwertbrüder“, ein Orden, der die christliche Mission mit kriegerischem, nicht selten grausamem Nachdruck vorantrieb. „Livland“, wie das heutige Lettland von seinen deutschen Eroberern genannt wurde, hatte bereits 1211 mit seinem Dom ein kirchliches Zentrum.
Als östlicher Außenposten der christlichen Mission sollte das Gotteshaus groß und beeindruckend sein. Es entstand eine frühgotische Pfeilerbasilika im Backsteinstil, wie er in den Städten der norddeutschen Hanse verbreitet war. Dabei bezogen Albert und seine bischöflichen Nachfolger auch den Magdeburger Dom als bauliches Vorbild ein. Ende des 15. Jahrhunderts wurde das Kirchenschiff vergrößert und der Turm bekam das vierte Geschoss, womit er seine heutige Höhe erhielt. Die barocke Turmhaube stammt allerdings aus dem 18. Jahrhundert.
Von der prachtvollen mittelalterlichen Inneneinrichtung ist viel verloren gegangen: durch den Bildersturm der Reformationszeit und dann im Zeitalter des Rationalismus gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als man in den Kirchen ganz auf Bilder, Farbe und Schmuck verzichten wollte. Nur die steinernen Gedenktafeln der Gilden und einige Grabmäler blieben erhalten. Glücklicherweise wurden die hölzernen Zeugen der Vergangenheit vor ihrer „Entrümpelung“ abgezeichnet und in einem großen Gedenkbuch erfasst. Unangetastet blieb auch der grandiose, mehrere Emporen hohe Orgelprospekt. Im hölzernen Gewand aus dem Barock steckt heute eine Walker-Orgel von 1881, ein weltweit bekanntes Konzertinstrument.
Dass der Dom heute von allen Seiten sichtbar ist, verdankt er einer Freilegung, bei der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Buden, Häuser und Läden entfernt wurden, die sich an den Dom anlehnten – wie man das etwa vom Mainzer Dom kennt. Dabei entstand der Platz, auf dem zum Andenken an Johann Gottfried Herder eine Büste für den großen Theologen, Dichter, Übersetzer und Philosophen, der 1765 nach Riga gekommen war und der später als Generalsuperintendent und Hofprediger nach Weimar berufen wurde.
In seiner wechselvollen Geschichte, in der es Brände und einen verheerenden Blitzeinschlag gab, ist der Dom nahe der Düna mit seinem weithin sichtbaren Turm das Wahrzeichen Rigas geworden und bis heute geblieben. Seit einigen Wochen macht sich der Dom auch deutlich vernehmbar, denn nun läutet er täglich mit einem siebenstimmigen Geläut, zu dem die Königsteiner Glocken einen sechsstimmigen Klang beitragen. Damit kommt eine lange Geschichte zu einem guten Abschluss.
Mitte der 90er-Jahre hatte sich die evangelische Immanuelgemeinde von ihrem großen, aus den 60er-Jahren stammenden Gemeindezentrum am Königsteiner Kreisel getrennt. Der Kindergarten siedelte 1997 in den Neubau im Heuhohlweg um, das „Kyrioszentrum“ wich einer neuen Wohnbebauung am Wolfsweg. Das sechsstimmige Geläut des Zentrums wurde von der Gießerei Rincker nach Sinn/Dillkreis abtransportiert und lagerte dort mehrere Jahre in guter Obhut.
Durch die Initiative des Beauftragten für das Glockenwesen der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hartwig Niemann, wurde inzwischen der Kontakt nach Riga geknüpft. Die einzige erhaltene große Glocke des Rigaer Doms passte nämlich klanglich genau zum kleinen Geläut aus Königstein. Und der Dom sollte doch endlich wieder läuten können!
So wurden die Königsteiner Glocken, einst durch Sammlungen und großzügige Spenden für die Immanuelgemeinde geschaffen, weitergeschenkt und auf die 1.700 Kilometer weite Reise nach Lettland geschickt. Am Fuße des Doms mussten sie allerdings noch viele Jahre warten, bis die Sanierung des Doms und seiner Dächer, des Glockenturms und der Turmhaube abgeschlossen war. Nun fehlte nur noch ein neuer Glockenstuhl. Im vergangenen Herbst wurden die Glocken aufgehängt, und erfüllen seit Heiligabend 2015 freischwingend in luftiger Höhe ihre Aufgabe: Läuten zum Lobe Gottes und zur Freude der Menschen!