Fundstücke aus anderen Zeiten füllen die Vitrinen im Museum, aber mehr als das, was auf dem Tisch liegt, haben sie nicht zum Thema „Haus der Länder“, sogar die Zuckerdose ist leer. Daher bitten Ulrich Hiller (links) und Rudolf Krönke die Bevölkerung um Mithilfe.
Foto: Friedel
Königstein (hhf) – Trügen sie Abenteurerhüte und wären im Kino zu sehen, müsste der Film wohl „Auf der Suche nach dem verlorenen Inventar“ heißen. Mangels Actionszenen eher nicht zur Verfilmung geeignet, steht jedoch das neueste Projekt einiger Königsteiner Heimatkundler inhaltlich der Suche des Herrn Indiana-Jones nach der Bundeslade recht nahe, wenn es auch um den Laden geht, in dem ein Stück Gründung der Bundesrepublik stattgefunden hat. Genauer gesagt beschäftigen sich Verein für Heimatkunde und Terra Incognita mit dem „Haus der Länder“, heute Villa Rothschild, in dem 1948 und 1949 Vertreter der späteren Bundesländer tagten, um sich formvollendet zur Bundesrepublik Deutschland zusammenzuschließen.
Neues Kapitel Demokratiegeschichte
Immerhin wird die BRD im kommenden Jahr 70 Jahre alt, da ist es schon eher Pflicht als Kür, nach der Aufarbeitung der Schicksale der hier in Festungshaft sitzenden Mainzer Patrioten nun ein neues Kapitel Königsteiner Demokratiegeschichte aufzuschlagen. Allerdings wird es nicht leicht werden, denn das Kapitel enthält viele leere Seiten – aus verschiedenen Gründen fehlt es an Wissen über die Dinge, die sich bewusst in der Nähe des zerbombten Frankfurt in der Nachkriegszeit ereignet haben. Doch der Reihe nach: Ab dem Jahr 1887 plante der in Frankfurt ansässige bekannte Bankier Wilhelm Carl von Rothschild seine Sommerresidenz in Königstein, das gesellschaftliche Leben dort in den nächsten 50 Jahren ist gut dokumentiert. 1938 emigrierte die jüdische Familie in die Schweiz, woraufhin die Villa von der Reichsfinanzverwaltung beschlagnahmt und ab 1939 von der „Reichsgruppe Banken“ genutzt worden ist.
Hotel Sonnenhof
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fiel das Gebäude zunächst an das Land Hessen, bis es an die Familie Rothschild zurückgegeben wurde, von der die Stadt Königstein das Anwesen 1955 erwarb. Bis 2005 verpachtete die Stadtverwaltung das renommierte „Hotel Sonnenhof“ – zu dem bis heute die „Sonnenhofstraße“ führt – dann war eine Grundsanierung dringend nötig, zu der das Geld fehlte. Die Lösung fand sich in einem langfristigen Erbpachtvertrag mit der Dr. Broermann Hotels & Residences GmbH, die das Hotel nach intensiven Bauarbeiten als Villa Rothschild Hotel & Restaurant weiterführt.
Niemand ist zuständig
„Wenn man sich anschaut, welche Bedeutung das Haus der Länder für die Entstehung der BRD hat, ist der museale Bestand ziemlich winzig“, stellten nun die Vorstandsmitglieder des Vereins für Heimatkunde fest, als Betreiber des Burg- und Stadtmuseums wissen sie, wovon sie reden. Immerhin hat Rudolf Krönke in alten Kassenbüchern der elterlichen Drogerie aussagekräftige Notizen über Lieferungen an die Väter der Republik gefunden, eine silberne Zuckerdose mit der Prägung „Haus der Länder“ konnte er im Antiquitätenhandel auftreiben. Damit ist aber auch schon Ende der Fahnenstange.
Auch im Stadtarchiv ist außer ein paar historischen Postkarten zunächst kaum etwas aufzutreiben, es besteht aber noch Hoffnung, vielleicht alte Rechnungen aus der Zeit zu finden, in der die Stadt das Anwesen und damit unter Umständen auch das Inventar übernommen hat. Vielleicht ist das Tafelsilber aber auch von höherer Stelle vorher schon entsorgt worden...
Kultur ist Ländersache
Christoph Schlott hat sich um die größeren Zusammenhänge gekümmert und sogar Kontakt zu Bundesrat und Bundespräsidialamt aufgenommen, was aber zu einer niederschmetternden Erkenntnis führte: „Es gibt keine zentrale Stelle, die sich mit dieser Gründungsphase befasst“, ja im Kalender findet sich nicht einmal ein Gedenktag zur Gründung der BRD. Und natürlich gibt es auch keine Stabsstelle, die diesbezüglich Feierlichkeiten für 2019 auf Bundesebene koordiniert.
Die Erklärung dafür ist einfach: „Kultur ist Ländersache“, also wird das Thema dezentral behandelt und die gemeinsamen Gründerzeiten sind wohl irgendwo unter den Tisch gefallen. Ob der vielleicht in Wiesbaden steht, und noch etwas darunter liegen geblieben ist? Möglicherweise waren die Inhalte aber auch wieder zu bedeutend und sind in einem höherrangigen Archiv gelandet, fachfremd auf Bundesebene eingeordnet.
Dazu ein Tipp aus der KöWo-Redaktion: Man könnte eigentlich nach 70 Jahren mal wieder eine Tagung in der Villa Rothschild ansetzen, bei der sich Archivare aller Bundesländer und des Bundesrates über eine gemeinsame Verwahrung der Zeugnisse der Gründerjahre verständigen.
„Wiege der BRD“
Natürlich war Königstein nicht der einzige Tagungsort zum Beispiel der westdeutschen Ministerpräsidenten oder auch des Wirtschaftsrates der Bizone, doch wird das Haus der Länder in deren Reihen konkret als „Wiege des deutschen Grundgesetzes und der Bundesrepublik“ bezeichnet – auf wen solche Aussprüche quellensicher zurückgehen, das liegt aber schon wieder im Dunkel der jüngeren Geschichte, die Weitergabe erfolgte wohl über die berühmten „gut informierten Kreise“.
Nicht einmal der Name „Haus der Länder“ ist einem bestimmten Entstehungsdatum zuzuordnen, er taucht 1948 auf, nachdem das Gebäude 1947 für die neuen Zwecke umgebaut worden ist. Nicht einmal die Buchführung der Drogerie Krönke hilft da weiter, obwohl der Bedarf von Handwerkern deutlich von den Bestellungen der Putzkolonne zu unterscheiden ist.
Sitz des Bundesrates?
Man darf durchaus spekulieren, dass die Villa Rothschild damals als Sitz des noch zu gründenden Bundesrates im Gespräch war, schließlich hatte man vor Konrad Adenauers heimatverbundenem Eintreten für Bonn Frankfurt am Main als neue Hauptstadt im Visier. Rund um die zerbombte Stadt (noch) ohne die passenden Räumlichkeiten unterhielten Nachbarländer bereits Vertretungen, während – zufällig oder eben nicht? – in Königstein nicht unbedeutende Passagen des Grundgesetzes erarbeitet wurden oder im „Königsteiner Staatsabkommen“ festgelegt wurde, wie die Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen in der BRD gehandhabt werden soll (damals „Deutsche Forschungshochschule“). Dieses Finanzierungsmodell lag später auch dem „Königsteiner Schlüssel“ zugrunde, der bis heute länderübergreifende Finanzierungsfragen zwischen Bundesländern regelt.
„Roland Koch hat recht: Es ist einer der wichtigsten Gründungsorte der Bundesrepublik“, fasst Christoph Schlott die Ereignisse im Haus der Länder zwischen 1947 und 1949 zusammen, wobei er betont, dass in dessen wirklicher Erforschung erst einmal der Anfang gemacht werden muss, aber „wir bleiben an dem Thema dran“, pflichten ihm Rudolf Krönke und Ulrich Hiller bei.
Geheime Gespräche
Die Forschungen werden schwierig, das steht fest, denn vor allem die Gespräche zum Bund der Länder im Haus der Länder in den Jahren 1948 und 1949 unterlagen höchsten Sicherheits- und Geheimhaltungsstufen. Für Verhandlungen zwischen CDU und CSU über eine Fraktionsgemeinschaft im Bundestag darf wohl dasselbe angenommen werden. Ob auch sie sich einmal wieder hier treffen sollten, sei dahin gestellt, aber ein Blick in Archive dieser beiden Parteien könnte doch Informationen über das Haus der Länder zu Tage fördern.
Um genau solche Umwege geht es bei den Chancen, die sich die Heimatforscher ausrechnen, denn Offizielles ist rar, die Ministerpräsidenten tagten zum Beispiel stets unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Aber keine Abschottung ist völlig dicht, schon gar nicht, wenn innerhalb und außerhalb Menschen wohnen und arbeiten. Und da kommt wieder Königstein mit seinen Nachbarorten ins Spiel.
Erinnerungen gesucht
Ob als Küchenhilfe oder Buchhalter, Hausmeister oder Handwerker, viele Menschen aus der näheren Umgegend müssen Arbeit im Haus der Länder selbst gefunden haben. Müllfahrer, Verkehrspolizisten, Lieferanten und Lokalpolitiker müssen mit dem Haus der Länder und den darin verkehrenden Menschen in Berührung gekommen sein. Schulkinder, Verwandte auf Besuch, Pensionsgäste oder Autofahrer mögen zufällig interessante Beobachtungen gemacht oder wenigstens tolle Gerüchte gehört haben.
Nach 70 Jahren ist eigentlich alles wichtig, woran Zeitzeugen sich noch erinnern können, es sind Spuren, denen man nachgehen kann. „Die Amerikaner haben immer ihren Müll zur Abholung am Kronberger Stock – dem heutigen Kreisel – zur Abholung gesammelt, daran müssen die Ministerpräsidenten dann immer mit ihren Chauffeuren vorbeigefahren sein“, kombiniert Rudolf Krönke, der selbst solch ein Zeitzeuge ist, sein Wissen mit logischer Folgerung.
Die kleinste Information ist ihm wichtig, sei es, dass jemand jemanden kannte, dessen Kusine dort kellneriert hat, sei es, dass jemand mitbekommen hat, wie die Familie des Hausmeisters nach Australien ausgewandert ist – so könnte man den Zeitzeugen und -zeugnissen nachspüren. Mit heimlichen Fotos ist wohl kaum zu rechnen, doch könnten sich Speisekarten, Aufdrucke, vielleicht Porzellan oder wenigstens Tagebuchaufzeichnungen noch auf irgendeinem Speicher finden.
Aktionen geplant
Wer etwas zum Thema beisteuern kann, muss es nicht einmal hergeben, fotografieren oder abschreiben genügt den Forschern, Leihgaben für eventuelle Ausstellungen nehmen sie natürlich auch gerne. „Wir haben keine Ahnung, wie das im März kommt“, gesteht Christoph Schlott ein, doch es ist wenigstens geplant, zum 70. Geburtstag der BRD einige Aktionen auf die Beine zu stellen.
Danach soll dann auch generell die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aufgearbeitet werden, denn es ist wieder einmal klar geworden, wie wichtig es ist, Wissen von Zeitzeugen rechtzeitig zu sichern, bevor es verloren geht.
Wer also etwas abgeben oder seine Geschichte erzählen will, oder eine Idee hat, wo sich weitere Suche lohnen könnte, ist herzlich gebeten, sich an Rudolf Krönke zu wenden. Der Vorsitzende des Vereins für Heimatkunde ist in seiner Geschäftsstelle telefonisch in der Regel von 10 bis 12 und von 14 bis 16 Uhr unter (06174) 21455 erreichbar. Thomas Schwenk, ebenfalls Vorstandsmitglied des Vereins, fungiert ebenfalls als Kontaktperson, er ist als Inhaber meistens in der Buchhandlung Millennium in der Fußgängerzone anzutreffen.
Am Dienstagabend haben sich bereits die ersten Königsteiner zu Wort gemeldet. Ein gesonderter Bericht über deren erste Erinnerungen und den vorangegangenen Vortrag, dem eine neue Bachelor-Arbeit über die wichtigsten Grundlagen der Vorgänge im Haus der Länder zu Grunde lag, folgt in den nächsten Wochen.
Repro: Terra Incognita