Königstein (sk) – Das berühmteste Merkel-Zitat kennt jeder: „Wir schaffen das“ lautet der am häufigsten zitierte Satz der Kanzlerin. Seit Sommer 2015 beschäftigt Deutschland die Frage „Schaffen wir das wirklich?“ Parteitage, Talkrunden, Wirtschaftsverbände, Kirchen und die ganze große Politik haben diese Glaubensfrage schon vielfach diskutiert. Doch nicht auf dieser Ebene wird sich entscheiden, ob Deutschland diese historische Aufgabe meistert oder an ihr scheitert, sondern in den Städten und Gemeinden des Landes, also auch in Königstein. Aber was bedeutet das für eine Stadt wie Königstein, knapp 160 Menschen aus einem fremden Kulturkreis aufzunehmen und zu integrieren?
Als Flüchtling oder Asylberechtigter werden in Deutschland nur Menschen anerkannt, die vor Verfolgung oder einer anderen Gefahr für ihr Leben oder ihre Freiheit fliehen. Das im Grundgesetz (Artikel 16a GG) verankerte Recht auf Asyl erhalten Menschen, die in ihrer Heimat politisch, das heißt durch den Staat, verfolgt werden. 2015 wurden danach weniger als ein Prozent als asylberechtigt anerkannt.
Weitaus mehr Menschen erhalten Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie in ihrer Heimat etwa wegen ihrer Nationalität, ihrer politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt werden. Fast alle Flüchtlinge aus Syrien und die meisten Flüchtlinge aus dem Irak oder aus Eritrea erhalten einen solchen Flüchtlingsschutz. So auch der 22-jährige Kurde Soran Ahmad Mirza aus dem Irak, der vor etwa eineinhalb Jahren über die Türkei nach München, von dort nach Frankfurt, Gießen, Kirchheim und schließlich nach Königstein kam und seitdem in der Flüchtlingsunterkunft Am Kaltenborn lebt. Über seine Erlebnisse auf seiner Wochen andauernden Flucht gibt er kaum Auskunft. Zu aufrüttelnd und bewegend sind die Erinnerungen daran.
Wenn ein Ausländer nach seiner Ankunft in Deutschland erklärt, dass er einen Asylantrag stellen möchte, wird er in die nächstgelegene Aufnahmestelle gebracht. Mithilfe des „Easy“-Systems (Erstverteilung der ASYlbegehrenden) wird die Verteilung auf die Bundesländer vorgenommen und die zuständige Erstaufnahmeeinrichtung ermittelt. Das geschieht nach jährlich neu ermittelten Quoten im sogenannten Königsteiner Schlüssel. Grundlage der Berechnung sind Steuereinnahmen (Zwei-Drittel-Anteil) und Bevölkerungszahl (Ein-Drittel-Anteil) der Länder. Und innerhalb der jeweiligen Bundesländer gibt es häufig noch einmal einen eigenen Verteilmechanismus für Städte und Kommunen.
Soran Mirza stellte seinen Asylantrag in Gießen. Er wurde in einer zentralen Datenbank registriert und erhielt einen fälschungssicheren „Ankunftsnachweis“, in dem Personendaten sowie ein Foto und Fingerabdrücke gespeichert werden. Auch Daten zur Schulbildung und zur beruflichen Qualifikation oder – wie in Soran Mirzas Fall – eine berufliche Tätigkeit als Praktikant sind in dem Ausweis aufgenommen. Für das eigentliche Asylverfahren sind Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BaMF) verantwortlich.
Greift die Dublin-Verordnung nicht, weil kein anderer Staat als Deutschland für das Asylverfahren zuständig ist, wird der Asylsuchende mithilfe von Dolmetschern in einer persönlichen Anhörung zu seinen Lebensumständen und den Fluchtgründen genau befragt. So musste auch Soran Mirza seine Herkunft und Fluchthintergründe in einem vierstündigen Gespräch schildern. Danach wird die Bleibeberechtigung des Flüchtlings geprüft. Als kurdischer Iraker hat Soran Mirza eine positive Bleibeprognose; sein Verfahren ist allerdings noch nicht entschieden.
Die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren liegt zurzeit noch bei fünf Monaten. Allerdings warten Hunderttausende alter Verfahren beim BaMF darauf, abgeschlossen zu werden und schätzungsweise mehrere hunderttausend bereits registrierte Flüchtlinge konnten noch gar keinen offiziellen Asylantrag stellen. Auch Soran Mirza konnte erst im April dieses Jahres seinen Antrag stellen, obgleich er schon im Mai 2015 nach Deutschland kam. Seine Deutschkenntnisse erwarb der junge Iraker in dem vom Freundeskreis Asyl organisierten Deutschunterricht. Im Frühjahr 2016 vermittelte ihm eine engagierte Unterstützerin des Freundeskreises Asyl eine Praktikumsstelle in dem Friseursalon Intercoiffure Königslook in der Kirchstraße. Hintergrund war seine berufliche Tätigkeit im Irak als Friseur. „Die Zusammenarbeit funktionierte gut, die Arbeit machte dem jungen Mann Spaß und er passte gut in unser Team“, erklärte Robert (Roby) Katterbach, der Inhaber des Salons. Trotzdem verblüffte es ihn, als der junge Flüchtling nach Beendigung der Probearbeitszeit morgens wieder hochmotiviert vor der Tür des Salons stand und darum bat, weiter dort arbeiten zu können. Er habe sich in der Unterkunft gelangweilt und eine sinnvolle Beschäftigung gesucht, erklärte Roby Katterbach das Verhalten seines Schützlings, der mittlerweile seit September 2016 im Rahmen eines Einstiegsqualifizierungsjahres (EQJ) in dem Salon Königslook beschäftigt ist.
Die Einstiegsqualifizierung ist ein sozialversicherungspflichtiges Langzeitpraktikum von maximal zwölf Monaten und dient als Brücke in die sich daran anschließende reguläre Ausbildung im Friseurhandwerk. Neben seinem Praktikum im Königslook besucht Soran Mirza an vier Vormittagen in der Woche Deutschkurse. Die Sprache zu beherrschen sei enorm wichtig für ihn, definierte der junge Iraker sein vorrangiges Ziel. Darin unterstützt ihn der Saloninhaber Roby Katterbach mit seinem ganzen Team. Auch seine Kunden reagierten mehrheitlich überaus positiv auf den jungen Mann und zeigten enorme Hilfsbereitschaft bei der Suche nach einer geeigneten Wohnung für ihn. Eine Kundin habe bereits Geschirr, Töpfe und sonstige Haushaltsgegenstände für ihn gesammelt, verriet Roby Katterbach stolz, machte aber auch keinen Hehl daraus, wie mühsam es sei, bezahlbaren Wohnraum in Königstein für einen Flüchtling zu finden und die behördlichen Genehmigungen dafür einzuholen. Ohne die tatkräftige Unterstützung des Freundeskreis Asyl wäre die Anstellung des jungen Irakers gar nicht möglich gewesen, lobte der Saloninhaber das beispiellose Engagement der aktiven ehrenamtlichen Helfer. Inzwischen fand sich eine geeignete Wohnung für Soran Mirza. Noch im Dezember verließ er die Flüchtlingsunterkunft und gehört damit zu den wenigen Flüchtlingen, die noch während ihres laufenden Asylverfahrens eine eigene Wohnung beziehen dürfen. Viele Helfer und Unterstützer waren notwendig, um dem jungen Mann das Ankommen in Königstein zu erleichtern und ihm den Weg in eine gelungene Integration zu ebnen. Für Königstein bedeutet dies, dass Integration von Flüchtlingen zu schaffen ist. Soran Mirza ist ein gutes Beispiel dafür.