Königstein (hhf) – Zum letzten Mal in diesem Jahr konnte Moderator Professor Dr. Diether Döring in der wohlgefüllten Schalterhalle der Volksbank den Vortragsabend im Rahmen des Königsteiner Forums eröffnen. Während der Referent noch einen ganzen Koffer seiner Schriften am Büchertisch der Buchhandlung Millennium ablieferte, berichtete Döring von den Schwierigkeiten, einen geeigneten Redner für das Thema zu finden, das den Zyklus „Des Menschen Bild. Des Menschen Wert. Gewalt oder Menschenwürde?“ abrunden sollte: „Ein Blick in die Zukunft – eine echte Zumutung“.
Mit Professor Dr. Volker Sommer Ph. D., Lehrstuhlinhaber für evolutionäre Anthropologie am University College London, war es dem Beirat wieder einmal gelungen, nicht nur den richtigen Fachmann ausfindig zu machen, sondern auch einen sehr eloquenten Redner zu gewinnen, der sein Publikum abwechselnd zum Lachen und zum Staunen brachte. Mit einer Arbeit über Schmetterlinge hatte es Sommer – Jahrgang 1954 – bereits als Schüler zum Bundessieger bei „Jugend forscht“ gebracht, ein Studium in Biologie, Chemie und Theologie in Göttingen, Marburg, Berlin und Hamburg schloss sich an. Nach Promotion (1985) und Habilitation (1990) wechselte er zwischen Verhaltensbeobachtungen an Gibbons in Thailand oder Schimpansen in Tansania sowie Kenia und Lehraufträgen in Göttingen, Kalifornien sowie Projekten für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, dabei veröffentlichte er rund 100 wissenschaftliche Arbeiten.
Schon mit der Begrüßung „Liebe Primaten“ stellte Volker Sommer klar, dass er keine großen Unterschiede zwischen Menschenaffen und Homo sapiens zulassen wollte. Dem Vortragsthema „Der kultivierte Schimpanse – Perspektiven der evolutionären Anthropologie“ hängte er aktuell noch den Zusatz „Wie Tiere Traditionen pflegen“ an und behauptete schließlich noch: „Schimpansen haben Religion!“ Beweisbar sei letzteres bislang zwar noch nicht, aber: „Ich habe es trotzdem gesagt.“ Angesichts eines Fotos von Schimpansenhand in Tierpflegerhand unterstellte er „Sie glauben auch an Evolution?“, differenzierte dann aber mit Blick auf Körper und Geist: „Die Hardware ist geklärt, aber die Software?“. Gerade im geistigen Bereich sei nicht jedem Menschen die Vorstellung von Verwandtschaft mit Affen angenehm, aber ob die alte Klassifizierung als abgestiegene Engel so viel schmeichelhafter sei, wollte der Referent erst einmal dahingestellt lassen.
Trotz des Abstiegs von den Bäumen sieht der Biologe lieber die Version von Charles Darwin als Aufstieg von den Affen, zweifelt allerdings die „Alleinstellungsmerkmale“ der „Sonderstellungsphilosophie“ der Menschheit an. Zum Beispiel der opponierbare Daumen, das Lächeln oder die Asymmetrie des Gehirns hat man bei Schimpansen längst nachgewiesen und auch negative menschliche Eigenschaften kommen ihm zu – Artgenossentötung ebenso wie Kannibalismus, nur beim Selbstmord streiten die Gelehrten noch.
Zwecks unvoreingenommener Forschung plädiert Professor Sommer daher für zwei psychologische Tricks: Anthropomorphisierung, also Vermenschlichung des Verhaltens von Menschenaffen und Zoomorphisierung (Vertierlichung) menschlicher Denk- und Handlungsweisen komme dem hohen Verwandtschaftsgrad sehr entgegen. Als Beispiel dafür führte er zwar die Märchen der Gebrüder Grimm an, in denen die Tiere sehr menschliche Züge haben, verband diese aber mit moderner Taxonomie: „Der Schimpanse (Pan) könnte bald zu Homo werden“.
Auf der Suche nach Kunst, Religion, Kultur in der Welt der Primaten stieß der Forscher auf verschiedene verblüffende Beispiele. So waschen Japan-Makaken Süßkartoffeln in Salzwasser, Schimpansen und Gorillas benutzen gefaltete Blätter als Abführmittel gegen Darmparasiten, Kapuzineraffen knacken Nüsse mit Steinen oder es werden verschieden lange Stöcke als Ameisenangeln benutzt – je nach deren Angriffslust. Ganz offensichtlich werden solche Verhaltensweisen an Teile der Mitwesen weitergegeben, jedoch nicht an alle. Es scheint also kulturelle Unterschiede je nach Region zu geben wie auch „bildungsresistente“ Mitglieder der Gesellschaft. Zu letzteren gehören oft ältere Männchen, während der Nachwuchs sehr auf Lernen von Mama programmiert ist – mitunter sorgen aber auch andere Umweltbedingungen dafür, dass ein Verhalten sich in Nachbargruppen nicht durchsetzt. Wie sollte zum Beispiel ein Berg-Makake an Meerwasser für seine Kartoffeln kommen?
Ähnliches gilt übrigens auch für den Menschen, der zum Beispiel dort, wo man Reis klumpig kocht, mit Stäbchen isst, woanders aber Gabel oder Löffel für körnigen Reis benutzt. Obwohl mancher Lehrer nicht ganz zu Unrecht von Affenzirkus berichtet, setzt der Mensch auf verschiedene gezielte Wissensvermittlungsmethoden wie Unterricht oder Nachahmung, gerne über lokale oder soziale Stimulation gefördert. Solche Strukturen lassen sich in der Tierwelt bisher nicht deutlich voneinander unterscheiden, deren Ergebnisse aber durchaus fassen. So gehört – analog zu Fussballvereinen, Dialekten oder Parteibüchern – auch bei Primaten ein Wir-Gefühl zur Kultur (definiert als innerartliche Verhaltensvielfalt), das zum Beispiel durch gewisse Grußformeln oder andere, offenbar nutzlose Verhaltensweisen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe unterstreicht.
Generell helfen Verhaltensweisen wie Flucht oder essen von Ameisen dabei, auf Herausforderungen der Umwelt zu reagieren, aber dazu gehören eben auch die Artgenossen, mit denen man paktieren oder Krieg führen kann, was im Extremfall auch einen direkten Bezug zum Überleben hat, wenn zum Beispiel die Nahrung im Revier knapp wird. Wenn sich Schimpansen mit Grashalmen im Ohr schmücken oder bestimmte Stellungen beim Lausen einnehmen, bewegt sich das als Zugehörigkeitgeste zwischen Mode und Kultur.
Wenn sie aber bestimmte Nahrung meiden, sich vor Wasser fürchten oder „Regentänze“ aufführen, steht tatsächlich der Glaube an eine höhere Macht im Raum. Diese allerdings hat es bisher weder beim Menschen noch beim Schimpansen vermocht, eine Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen erfolgreich zu vermeiden.
„Das Aussaugen von Ressourcen aus der Umwelt ist natürliches Verhalten“, erinnerte Professor Volker Sommer zwar, doch kommt das Zerstören von lebenswichtigen Palmen beim Essen von Palmenherzen in Kreisen der Schimpansen der Umweltverschmutzung durch Menschen sehr nahe. Die Auswirkungen unterscheiden sich vielleicht nur dadurch, dass – auch „dank“ dem großen Bruder – die Schimpansen nur in kleiner Zahl auf dem Globus randalieren können, während die Menschheit es schon zur „Überbevölkerung“ gebracht hat.