Schneewittchen – Musical zwischen Tradition und Zeitgeist

Zum Jahresauftakt hieß es gleich schon mal Augen und Ohren aufsperren, denn mit dem Schneewittchen-Musical ging eine meisterhafte wie grandiose Vorstellung an den Start, die große und kleine Zuschauer gleichermaßen begeisterte. Foto: Schnurawa

Königstein (js) – Wer bisher glaubte Märchen seien nur etwas für Kinder, der durfte bei dem erst kürzlich im HdB präsentierten Märchen Schneewittchen, das in Gestalt eines Musicals zu sehen war, definitiv eines Besseren belehrt worden sein. Denn hier schlugen nicht nur die Herzen des jungen, sondern gleichwohl auch die des älteren Publikums höher, was wohl vor allem in der Art der Darbietung begründet lag. Mit einer Mischung aus Musical, Theater und klassischem Märchen verzauberte das in Dortmund beheimatete Kindertheater Liberi, welches erstmalig auch in Königstein gastierte.

Mucksmäuschenstill wird es, als sich der Saal verdunkelt und ein mächtig wirkender, in dramatisch grelles Licht getauchter Thron erkennbar wird. Die in tiefblau gehüllte böse Königin erscheint. Um sie herum tänzeln zwei heitere, junge Hofdamen, welche der eitlen Dame immer wieder aufs Neue ihre Schönheit bestätigen müssen. Wer sich an die böse Königin aus dem Märchen erinnert, weiß sehr wohl, dass sie neben ihren gebieterischen Hofdamen auch immerfort die Bestätigung ihres treuen Freundes, dem sprechenden Spiegel einfordert, der ihr die immer gleiche Frage mit „Ja Frau Königin, Ihr seid die Schönste“ beantworten muss. „Auf dass ich schöner werde als der Tag und alles um mich herum“, ruft sie sodann zufrieden und voller Zustimmung über so viel Lob und Komplimente.

Als das sittsame und immer schöner werdende Schneewittchen mit ungekämmten Haaren erscheint, wird es gleich gerügt. Sie solle sich ein Beispiel an der Schönheit ihrer Mutter nehmen. „Meinst Du, meine Haare wären so schön, wenn ich sie nicht kämmen würde?“, fragt die stolze Königin, die sogleich auch das Publikum in dieser Frage zu Rate zieht, provokant. Verdutzt und ratlos zugleich schaut das junge intelligente Mädchen seine Mutter an und kann die eher unangemessene Reaktion so gar nicht begreifen.

In völligem Kontrast zu der kaltherzigen, arroganten Stiefmutter, lehnt Schneewittchen es doch ganz entschieden ab, ihr Leben nur nach Äußerlichkeiten auszurichten. Sie ist ein natürliches, fröhliches Wesen, das so gar keine Gemeinsamkeiten mit der oberflächlichen, herrschsüchtigen Königin hat.

Freilich stand bei dieser Art der Inszenierung auch der Gesang im Vordergrund, den jeder der Schauspieler auf seine Weise perfekt beherrschte. „Ich möchte doch einfach nur so sein, wie ich bin“, singt Schneewittchen voller Gefühl und mit einer zu Herzen gehenden, von Trauer ergriffenen Stimme, was auch einer der Gründe sein mag, weshalb Schneewittchen bereits von Anbeginn so viel Sympathie von Jung und Alt erhält. Einen nicht unerheblichen Beitrag zur Sympathie- und Antipathiebildung leistete natürlich auch die besonderen szenische wie akustische Gestaltung, die stets auf die jeweiligen Auftritte und Emotionen abgestimmt war.

Plötzlich ist das junge Mädchen nicht mehr allein und ein junger Mann taucht an ihrer Seite auf, der sich von der Schönheit des Mädchens wahnsinnig in den Bann gezogen fühlt. Komplimente über Komplimente werden ihr zuteil, die sie jedoch wider Erwarten kühl und schroff abschmettert – eine Verhaltensweise Schneewittchens, die man aus dem ursprünglichen Märchen so gar nicht kennt. Doch ist gerade die Intention des Produzenten Lars Arend, seine Figuren an die heutige Zeit adaptiert hat, sodass auch eine Identifikation mit jenen Charakteren möglich ist. Und so nimmt es auch nicht Wunder, dass die junge Frau immer wieder auf`s Neue selbstbewusst auftritt. Ob bei dem Prinzen, den sie sogar mit den Worten „hässliche Kröte“ tituliert oder später bei den sieben Zwergen, die ihr beim Haushalt ganz selbstverständlich auch zur Hand gehen müssen und für die sie, nicht wie aus dem Märchen bekannt, alle häuslichen Pflichten erledigt. Die immer gut gelaunten und gleichzeitig auch ein wenig verrückten Zwerge gehorchen ihr jedoch zumeist aufs Wort, wenngleich sie, anders als im Märchen, eher faul und unmotiviert erscheinen. Dafür aber versprühen sie umso größere Lebensfreude, Gelassenheit und Herzenswärme, wobei sie Schneewittchen mit offenen Armen in ihrer Mitte aufnehmen.

Im Gegensatz zum emanzipierten Schneewittchen, scheint die böse Stiefmutter, die nicht einmal den Mumm hat, die von ihr als Konkurrenz empfundene Tochter selbst aus dem Weg zu räumen, eher weniger der Zeit angepasst. Nichts als ihre Schönheit hat die inzwischen in die Jahre gekommene Frau, die einen Jäger beauftragt den heimtückischen Mord bei einem scheinbar harmlosen Waldspaziergang auszuführen. Glücklicherweise missglückt dieser Plan. Als alte schwache Frau erscheint sie vor dem Haus Schneewittchens, die aufgrund ihres guten Herzens der gebrechlich wirkenden Dame ein Glas Wasser und einen Apfel anbietet, worauf die Alte einen Apfeltausch vorschlägt, der ebenfalls eine neue Komponente der leicht modernisierten Geschichte ist. Um das verwunderte, argwöhnische Schneewittchen zu diesem etwas seltsamen Tausch zu ermutigen, erzählt sie ihr einfach kurzerhand, dass sie sich dann etwas wünschen dürfe, was dann auch mit hoher Wahrscheinlichkeit in Erfüllung gehen würde. Dramatische Musik ertönt, als Schneewittchen ohnmächtig zu Boden sinkt. Darauf werden leise Seufzer vom mitfühlenden Publikum vernehmbar.

Allerdings hat die böse Königin hier die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Dabei folgt nicht nur das obligatorische „Happy End“, wie ja jedem bekannt sein dürfte, der die Story kennt, sondern es folgt auch noch eine durch und durch romantische Schlussszene, die mit dem heiß ersehnten Befreiungskuss endet, der mit einem mal das schreckliche Gift aus Schneewittchens Körper vertreibt. Das einzige, was vielleicht wahre Romantiker ein klein wenig enttäuscht haben mochte, dürfte die Tatsache gewesen sein, dass die Kussszene nur als imaginäres Schattenbild angedeutet wurde, da sich das Paar hinter der Gardine eines Fensters befand.

Doch bei solch einer sowohl grandiosen, schauspielerischen als auch gesanglichen Darbietung konnte man darüber leicht hinwegsehen.



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